European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00007.24H.0117.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
[1] Die Vorinstanzen haben der Mutter die Obsorge gemäß § 107 Abs 2 AußStrG vorläufig entzogen und auf den Kindes‑ und Jugendhilfeträger übertragen.
Rechtliche Beurteilung
[2] Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist nicht zulässig.
[3] 1. Die Erlassung einer vorläufigen Maßnahme hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, es sei denn, dass bei dieser Entscheidung das Wohl des Kindes nicht ausreichend bedacht worden wäre (RS0097114 [T18]; vgl RS0007101 [zum Kinder‑ und Jugendhilfeträger insb T10, T11]; RS0115719 [T2]), was hier nicht der Fall ist.
[4] 2. Der Revisionsrekurs releviert einen vom Rekursgericht verneinten Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz. Derartige Mängel können grundsätzlich keinen Revisionsrekursgrund bilden (RS0050037). Dieser Grundsatz erfährt zwar ausnahmsweise im Pflegschaftsverfahren, aber nur dann eine Durchbrechung, wenn dies aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RS0050037 [T1, T4]). Solche Gründe zeigt der Revisionsrekurs für das konkrete Obsorgeverfahren aber nicht auf. Vielmehr geht die Mutter zu Unrecht davon aus, dass die Obsorge nur bei vorliegender akuter Gefährdung des Kindeswohls vorläufig entzogen werden dürfe. Auf die Begründung des Rekursgerichts, wonach vorläufige Maßnahmen bereits bei dessen Förderung erfolgen dürfen (RS0129538), geht der Revisionsrekurs gar nicht ein.
[5] 3. Ohne auf die als bescheinigt angenommene Sachverhaltsgrundlage einzugehen, bemängelt der Revisionsrekurs einen durch die Entscheidung bewirkten Eingriff in die Rechte der Mutter. Dabei wird übersehen, dass oberste Richtschnur bei der Obsorgeentscheidung stets das Kindeswohl ist (siehe nur RS0007101 [T1]), was vom Gesetzgeber durch Festlegung dieses Grundsatzes im Verfassungsrang verdeutlicht wurde (Art 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 2011/4). Demgegenüber sind die Interessen der Eltern nachrangig (1 Ob 207/21d).
[6] 4. Ausgehend vom tatsächlich festgestellten Sachverhalt ist die Minderjährige durch einen seit Jahren bestehenden Konflikt zwischen ihr und der Mutter psychisch stark belastet. Es hat sich, seitdem sie im Rahmen von betreutem Wohnen untergebracht ist, ihr Zustand verbessert. Ihr emotionales Gefüge hat sich stark stabilisiert, und es ist seither eine signifikant positive Veränderung ihrer Grundstimmung eingetreten, sodass derzeit keinerlei Rückschlüsse (mehr) auf suizidale oder depressive Symptomatik gezogen werden können. Die schon im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz selbstständig verfahrensfähige Minderjährige will dezidiert nicht mehr bei der Mutter wohnen.
[7] Auf Basis dieses Sachverhalts kann die Mutter in ihrem Rechtsmittel keinerlei Bedenken gegen die Schlussfolgerung der Vorinstanzen, die Maßnahme sei zur Förderung des Kindeswohls notwendig, wecken.
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