European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00009.24W.0111.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unionsrecht
Spruch:
I. Das mit Beschluss vom 9. November 2023, AZ 5 Ob 181/23p, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 1 Abs 2 lit d der Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II‑VO“) dahin auszulegen, dass er sich auch auf Schadenersatzansprüche gegen ein Organ einer Gesellschaft bezieht, die ein Gesellschaftsgläubiger auf deliktischen Schadenersatz wegen Verletzung von Schutzgesetzen (wie etwa Bestimmungen des Glücksspielrechts) durch das Organ stützt?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:
Ist Art 4 Abs 1 der genannten Verordnung dahin auszulegen, dass sich der Ort des Schadenseintritts bei einer deliktischen Schadenersatzklage gegen ein Organ einer konzessionslos Online-Glücksspiel in Österreich anbietenden Gesellschaft wegen erlittener Spielverluste richtet nach
a) dem Ort, von dem aus der Spieler Überweisungen von seinem Bankkonto auf das von der Gesellschaft geführte Spielerkonto leistet,
b) dem Ort, wo die Gesellschaft das Spielerkonto führt, auf dem Einzahlungen des Spielers, Gewinne, Verluste und Boni gebucht werden,
c) dem Ort, von dem aus der Spieler Spieleinsätze über dieses Spielerkonto tätigt, die letztlich zu einem Verlust führen,
d) dem Wohnort des Spielers als Belegenheitsort seiner Forderung auf Auszahlung seines Guthabens auf dem Spielerkonto,
e) dem Belegenheitsort seines Hauptvermögens?
III. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
Zu I.:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der erkennende Senat unterbrach das Verfahren mit Beschluss vom 9. November 2023 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 19. Oktober 2023 zu 5 Ob 110/23x an den EuGH gestellten Antrag auf Vorabentscheidung.
[2] Der Kläger in dem dieser Vorlage zugrunde liegenden Verfahren zog nun seine Klage unter Anspruchsverzicht zurück, was mit Beschluss des erkennenden Senats vom 23. November 2023 zur Kenntnis genommen und das Vorabentscheidungsersuchen zurückgezogen wurde. Das unterbrochene Verfahren war daher fortzusetzen, um die unionsrechtliche Frage in diesem Verfahren zu klären.
Zu II.:
A. Sachverhalt
[3] Die T* Limited (in der Folge nur: Limited)betrieb von ihrem Sitz auf Malta aus über die Website www.* ein Online-Casino. Sie richtete ihr Angebot auf den gesamten europäischen Markt aus. Sie ist Inhaberin einer aufrechten maltesischen Glücksspielkonzession, nicht aber einer Konzession nach dem Österreichischen Glücksspielgesetz und befindet sich derzeit in Insolvenz.
[4] Der im Sprengel des Erstgerichts wohnhafte Kläger spielte im Zeitraum von 14. 11. 2019 bis 3. 4. 2020 über die Webseite der Limited Online-Glücksspiele und zahlte insgesamt den Klagebetrag ein, ohne Gewinne zu machen. Die Beklagten waren in diesem Zeitraum „Direktoren“ der Limited.
[5] Um auf der Webseite der Limited spielen zu können, hatte der Kläger ein Kundenkonto in Malta zu eröffnen. Er zahlte von seinem österreichischen Bankkonto auf ein Konto bei einer maltesischen Bank ein, um damit seinen Spieleraccount (sein Kundenkonto) aufzuladen. Diese Einzahlungen buchte die Limited als Guthaben. Es handelte sich bei dem für den Kläger angelegten Konto in Malta um ein Echtgeldkonto der Limited für ihn als Spieler, das mit dem Gesellschaftsvermögen der Limited nicht vermengt wurde. Entschied sich der Kläger, an einem Glücksspiel teilzunehmen, wurde der Spieleinsatz vom Spielerkonto abgebucht. Im Fall eines Gewinnes wäre dieser ebenso auf dem Spielerkonto verbucht worden. Der Kläger erlitt einen Gesamtspielverlust von 18.547,67 EUR.
B. Prozessstandpunkte der Parteien und bisheriges Verfahren
[6] Der Kläger begehrt die Rückzahlung seines Verlusts von beiden Beklagten. Mangels österreichischer Konzession der Limited sei der Glücksspielvertrag nichtig. Seine Forderung stützte er auf Schadenersatz, weil der Eingriff in das österreichische Glücksspielmonopol eine Schutzgesetzverletzung bewirke. Die Beklagten seien als Geschäftsführer der Limited dafür zuständig gewesen, dass diese in Österreich illegales Glücksspiel angeboten habe. Sie hafteten den Gläubigern persönlich und als Mittäter gemäß § 1301 ABGB solidarisch für die Verletzung der Spielerschutzvorschriften des österreichischen Glücksspielgesetzes. Die Zuständigkeit des Erstgerichts wurde (unter anderem) auf Art 7 Nr 2 EuGVVO gestützt.
[7] Die Beklagten erhoben die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Art 7 Nr 2 EuGVVO stehe dem Kläger nicht zur Verfügung. Die Beklagten hätten nicht die Befugnis gehabt zu entscheiden, ob sich die Limited aus dem bereits etablierten österreichischen Markt zurückziehen solle. Unternehmensstrategische Entscheidungen hätten sie nicht getroffen, der Zweitbeklagte sei nur Verbindungsperson zur maltesischen Glücksspielbehörde gewesen. Handlungs- und Erfolgsort lägen in Malta. Den Beklagten gegenüber sei nicht österreichisches, sondern maltesisches Sachrecht anzuwenden, das eine Haftung der Organe der Gesellschaft gegenüber deren Gläubigern nicht kenne.
[8] Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.
[9] Das Rekursgericht hob diese Entscheidung insoweit auf, als der Kläger seine Ansprüche auf den Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes stützte, und trug dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.
[10] Die Voraussetzungen für den Gerichtsstand des Deliktsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 seien unter Berücksichtigung der jüngst vom Obersten Gerichtshof zu einem ähnlichen Sachverhalt ergangenen Entscheidung 10 Ob 56/22s erfüllt. An sich hafteten die Geschäftsführer einer GmbH für ihr eigenes schuldhaftes Verhalten nur der Gesellschaft gegenüber, Ausnahmen bestünden nur bei entsprechender gesetzlicher Regelung, bei vorsätzlicher Gläubigerschädigung, bei gerichtlich strafbaren Handlungen oder bei schuldhafter Verletzung eines Schutzgesetzes. In der Entscheidung 6 Ob 168/19b habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass in der Verletzung von Bestimmungen zum Spielerschutz nicht nur ein Pflichtenverstoß liege, der die Gesellschaft über deren Zurechnung als Organe nach außen schadenersatzpflichtig mache, sondern die beklagten Geschäftsführer vom Kläger auch persönlich in Anspruch genommen werden könnten. Darauf stütze der Kläger sich auch hier. Der Erfolgsort liege in Österreich, weil sich der in Malta erliegende Spieleinsatz nach dem Erfolg oder Misserfolg des Spieles richte und Verluste mit Gewinnen ausgeglichen würden. Erst der letztlich verbleibende Verlust sei ein Erstschaden, der sich für den Spieler durch das Fehlen des entsprechenden Betrags in seinem in Österreich befindlichen Vermögen auswirke. Auch der behauptete Verstoß der Beklagten gegen öffentlich-rechtliche österreichische Eingriffsnormen führe zum Schadenserfolg in Österreich.
[11] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte für vergleichbare Klagen gegen Geschäftsführer von Glücksspielgesellschaften fehle.
[12] Der Revisionsrekurs der Beklagten strebt die Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung der erstgerichtlichen Klagezurückweisung an, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung an die Vorinstanzen.
[13] Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
C. Relevante Rechtsvorschriften
[14] Art 7 der EuGVVO lautet:
Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, kann in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden:
…
2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
[15] Art 1 der Rom II‑VO lautet:
Abs 1: „Diese Verordnung gilt für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. …“
Abs 2: „Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind
…
d) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus dem Gesellschaftsrecht, dem Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen, die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person sowie die persönliche Haftung der Rech nungsprüfer gegenüber einer Gesellschaft oder ihren Gesellschaftern bei der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen.“
[16] Art 4 Abs 1 der Rom II‑VO lautet:
„Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.
[17] § 1301 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) lautet:
Für einen widerrechtlich zugefügten Schaden können mehrere Personen verantwortlich werden, indem sie gemeinschaftlich, unmittelbarer oder mittelbarer Weise, durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen und dergleichen; oder auch nur durch Unterlassung der besonderen Verbindlichkeit das Übel zu verhindern, dazu beigetragen haben.
[18] § 1311 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) lautet:
„Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet. Hat aber jemand den Zufall durch ein Verschulden veranlasst, hat er ein Gesetz, das zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten; oder hat er sich ohne Not in fremde Geschäfte gemengt, so haftet er für allen Nachteil, welcher außer dem nicht erfolgt wäre.“
§ 3 des Österreichischen Glücksspielgesetzes (GSpG) lautet:
„Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).“
D. Begründung der Vorlage
[19] 1.1. Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind nach der österreichischen Rechtsprechung die Klageangaben maßgeblich. Die ausdrückliche Berufung auf einen Gerichtsstand nach der EuGVVO ist nicht erforderlich. Der Kläger muss nur das erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen. Bei den sogenannten „doppelrelevanten Tatsachen“, also jenen, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs abgeleitet wird, muss die Schlüssigkeit desKlagevorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten. Die Frage der internationalen Zuständigkeit ist daher danach zu beurteilen, ob die Klageangaben schlüssig sind.
[20] 1.2. Nach zum österreichischen Recht schon vorliegender Rechtsprechung kann eine Außenhaftung eines Organs einer Gesellschaft bei schuldhafter Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB grundsätzlich bestehen, wobei Spielerschutzvorschriften des GSpG bereits als Schutzgesetze qualifiziert wurden. Eine dem vergleichbare Haftung kennt das maltesische Schadenersatzrecht nach den Behauptungen der Beklagten nicht.
[21] 1.3. Die Behauptung von deliktischen Schadenersatzansprüchen gegen die Beklagten, die auf einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinn von Art 7 Nr 2 EuGVVO beruhen, wäre – auf Basis österreichischen Schadenersatzrechts – somit nicht unschlüssig. Auf seine Schlüssigkeit zu prüfen ist aber die vom Kläger unterstellte Anwendbarkeit österreichischen Sachrechts. Diesbezüglich liegt nach Auffassung des erkennenden Senats kein „acte claire“ vor, sodass die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof geboten erscheint.
[22] 2. Mit der Reichweite der Ausnahmebestimmung des Art 1 Abs 2 lit d der Rom II‑VO setzte sich der Europäische Gerichtshof – soweit überblickbar – noch nicht auseinander. Seiner Entscheidung in der Rechtssache C‑147/12 , ÖFAB, ist allerdings – für den Bereich des internationalen Zivilprozessrechts – zu entnehmen (Rn 42), dass der Begriff „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ in Art 5 Nr 3 der (damals anzuwendenden) Verordnung Nr 44/2001 dahin auszulegen war, dass er Klagen erfasste, die von einem Gläubiger einer Aktiengesellschaft erhoben werden, um ein Mitglied des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft und einen Anteilseigner der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftbar zu machen, weil sie es zugelassen hatten, dass die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb weiterführt, obwohl sie unterkapitalisiert war und einem Liquidationsvefahren unterworfen werden musste.
[23] 3. Nationale Rechtsprechung zur Reichweite dieser Ausnahmebestimmung fehlt. In der österreichischen und deutschen Literatur finden sich folgende Auffassungen:
[24] 3.1. Wagner, Die neue Rom II‑Verordnung, IPRax 2008, 1, meint, dass eine extensive Interpretation des Art 1 Abs 2 lit d zwar auch die Haftung von Gesellschaftern und Organen für Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft und gegenüber externen Gläubigern einbeziehen würde. Allerdings sprechen nach Wagner aus normativ-funktionaler Sicht die besseren Gründe dafür, jedenfalls eine Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber Gesellschaftsgläubigern deliktsrechtlich anzuknüpfen.
[25] 3.2. Nach Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 (2021) Rz 5/14 ff sei bei der Ausnahme hinsichtlich der persönlichen Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft fraglich, ob sich diese bloß auf die korporative Haftung(‑sbeschränkung) (dh in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform, etwa die Durchgriffshaftung der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft) bezieht oder darüber hinaus auch die Haftung für sonstiges Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft und ihren Gläubigern erfasst. Sie weisen darauf hin, dass die Rechtsprechung des EuGH (Rs C‑147/12 ) jedenfalls im Bereich der internationalen Zuständigkeit eine deliktsrechtliche Qualifikation von Durchgriffshaftungsansprüchen annimmt.
[26] 3.3. Nach Neumayr in KBB7 Art 1 Rom II‑VO Rz 6 gilt die Ausnahme nicht für deliktische Schadenersatzansprüche gegen Gesellschafter und Organwalter.
[27] 3.4. In Deutschland wird zur Ausnahme-bestimmung vertreten, dass die Qualifikation im Gesellschaftsrecht radizierter Ansprüche als außervertragliche, insbesondere deliktische Ansprüche denkbar sei, wenn die persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft betroffen sei (Junker in MüKomm8 Art 1 Rz 36). Der deutsche BGH (II ZR 84/05, NJW 2007, 1529) beschäftigte sich damit, welches Recht auf die persönliche Haftung anzuwenden sei, wenn von einer GmbH niederländischen Rechts der auf die Haftungsbeschränkung hinweisende Formzusatz nicht geführt wird, und qualifizierte die persönliche Haftung des Gesellschafters nicht gesellschaftsrechtlich, sondern deliktsrechtlich, weil die Führung eines Firmenzusatzes nicht zu den spezifisch gesellschaftsrechtlichen Pflichten gehöre (vgl auch Junker aaO Rz 38).
[28] 3.5. Auch die vom BGH auf materiell-deliktsrechtlicher Grundlage entwickelte Existenzvernichtungshaftung (§ 826 BGB), die eine unbestimmte Zahl von Gläubigern schützen soll, denen der Gesellschafter durch sittenwidriges Handeln Schaden zugefügt hat, wird in Deutschland überwiegend deliktsrechtlich qualifiziert (vgl Junker aaO Rz 38 f mwN auch auf davon abweichende Meinungen).
[29] 3.6. Die vom Europäischen Gerichtshofzu C‑147/12 , ÖFAB,vertretenedeliktische Anknüpfung von Schadenersatzansprüchen externer Gesellschaftsgläubiger im internationalen Zivilverfahrensrecht könnte nach Auffassung des erkennenden Senats auch für den Bereich der Rom II‑VO dafür sprechen, die Ausnahmebestimmung in deren Art 1 Abs 2 lit d ungeachtet ihres weiten Wortlauts eng auszulegen und deliktische Schadenersatzansprüche von Gläubigern der Gesellschaft als davon nicht erfasst anzusehen.
[30] 4. Sollte die Ausnahmebestimmung hier nicht anzuwenden sein, wäre nach der Rom II‑VO primär nach einer Rechtswahl iSd Art 14 der Verordnung anzuknüpfen, dann nach den Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9, schließlich nach der Grundregel des Art 4 Rom II‑VO (Neumayr in KBB7 VorArt 1 Rom II‑VO Rz 3; 6 Ob 186/21b).
[31] 4.1. Eine Rechtswahl wurde nicht behauptet. Die Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9 Rom II‑VO betreffen Produkthaftung, unlauteren Wettbewerb, Umweltschädigung, Verletzung von Rechten geistigen Eigentums und Arbeitskampfmaßnahmen, sie sind nicht einschlägig.
[32] 4.2. Abzustellen ist daher auf Art 4 Rom II‑VO. Der in dessen Abs 2 geregelte Fall, dass die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten, liegt nach den Klagebehauptungen nicht vor. Maßgeblich ist somit die Grundregel des Art 4 Abs 1 Rom II‑VO.
[33] 4.3. Danach ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Mit „Schaden“ ist der Primärschaden gemeint, Bezug genommen wird auf den Ort, an dem das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (Neumayr in KBB7 Art 4 Rom II‑VO Rz 3 mwN).
[34] 4.4. Bei reinen Vermögensschäden ohne Verletzung absoluter Rechte – wie sie auch hier zur Diskussion stehen – ist die Bestimmung des Erfolgsorts iSd Art 4 Abs 1 Rom II‑VO nach der Literatur schwierig (Melcher, Reine Vermögensschäden im internationalen Zuständigkeits- und Privatrecht, VbR 2017, 126; Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 Rz 5/37 ff mwN insbesondere in Fn 81). Bezug zu nehmen ist im Sinn der auch laut ErwG 7 Rom II‑VO vorgesehenen Kohärenz auch auf das Zuständigkeitsrecht gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
[35] 4.5. Für die Bestimmung des Erfolgsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist auf den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs abzustellen (EuGH C‑709/19 , Vereniging van Effechtenbezitters, Rn 26 ff), wobei besondere zuständigkeitsrechtliche Zuweisungskriterien von vornherein für einen Erfolgsort im Wohnsitzmitgliedsstaat des Klägers sprechen können, was zu einem Klägergerichtsstand führt (EuGH C‑12/15 , Universal Music; C‑304/17 , Löber, Rn 34). Als derartige Kriterien kommen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs etwa der Verstoß gegen die Prospektpflicht oder die Verletzung von gesetzlichen Informationspflichten im Wohnsitzstaat des Klägers (EuGH C‑709/19 , Vereniging van Effechtenbezitters)oder die Führung der anlage- und schadenstypischen Konten (Bankkonto und Wertpapierdepot) bei Banken im Wohnsitzstaat des Klägers (EuGH C‑304/17 , Löber) in Betracht. Für den Ort, an dem sich ein reiner Vermögensschaden unmittelbar auf einem Bankkonto verwirklicht hat, gilt, dass dort ein Gerichtsstand iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 nur dann begründet werden kann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Sachverhalts eine solche Zuständigkeit stützen (vgl Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 Rz 5/37).
[36] 4.6. In den zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 in Glücksspielfällen gegen eine maltesische Gesellschaft kürzlich ergangenen Entscheidungen 10 Ob 56/22s und 8 Ob 172/22k ging der Oberste Gerichtshof davon aus, es sei nicht entscheidend, wo diese die Spielerkonten führt. Die Einzahlung des Spielers schädige sein Vermögen noch nicht, weil ihm in gleicher Höhe eine Forderung gegen die Gesellschaft gegenüberstehe, die er sich jederzeit auf Verlangen wieder auszahlen lassen könne. Erst ein die Gewinne übersteigender Verlust aus dem verbotenen Glücksspiel schädige das Vermögen des Spielers, indem sich sein Auszahlungsanspruch dadurch um den Verlustbetrag vermindere. Als nach Österreich weisend wurde dort der Umstand gewertet, dass die den Schadenersatz begründende Rechtswidrigkeit aus dem Verstoß gegen das österreichische Glücksspielrecht resultiert, also einem Verstoß gegen öffentlich‑rechtliche österreichische Eingriffsnormen. Auch die Entscheidungen 3 Ob 164/23y und 6 Ob 168/23h, die jeweils Schadenersatzklagen gegen die Glücksspiel-gesellschaften selbst betrafen, gingen davon aus, die schadensrelevante Pflichtverletzung liege in Österreich.
[37] 4.7. Wendet man diese zum Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 vertretene Auffassung – aufgrund der gebotenen Kohärenz von internationalem Zuständigkeitsrecht und internationalem Privatrecht – auch auf den Ort des Schadenseintritts nach Art 4 Abs 1 Rom II‑VO an, wäre als Belegenheitsort für die Forderung des Klägers auf Auszahlung des Guthabens auf dem Spielerkonto wohl sein gewöhnlicher Aufenthalt heranzuziehen.
[38] 4.8. In diese Richtung ging die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 233/18k zu einem Sachverhalt, in dem ein Kläger von Österreich aus seine Vermögensdisposition getroffen und die Überweisung getätigt hatte. Die Anwendung österreichischen Sachrechts wurde dort bejaht. Der 6. Senat beanstandete – im Rahmen des dort gegen einen in der Schweiz ansässigen Notar, der unrichtige Prüfberichte zu Edelmetallbeständen ausstellte, geführten Verfahrens – nicht, den nach Art 4 Rom II‑VO maßgeblichen Erfolgsort in Hinblick auf die spezifischen Gegebenheiten dieser Situation in Österreich zu lokalisieren.
[39] 4.9. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist für die Beurteilung des Ortes des Eintritts des Primärschadens einerseits maßgeblich, worin dieser besteht, und andererseits, wo dieser – im Sinn einer erstmaligen Verringerung des entsprechenden Vermögensbestandteils – erstmals eingetreten ist. In Betracht kommen hier der Ort, von dem aus der Kläger Überweisungen von seinem Bankkonto auf sein Spielerkonto tätigt – wenn man davon ausgeht, die Forderung des Klägers auf Buchgeld gegenüber seiner Bank sei werthaltiger als diejenige auf Auszahlung eines rechnerischen Guthabens auf dem Spielerkonto gegenüber der Glücksspielgesellschaft, sodass dadurch bereits eine nachteilige Vermögensveränderung eingetreten wäre. Ebenso denkbar wäre, im Sinn der Einwendungen der Beklagten eine endgültige Vermögensverminderung erst durch den auf dem Spielerkonto eingetretenen Verlust anzunehmen und dies – da das Konto in Malta geführt wird – als in Malta eingetretenen Erstschaden zu werten. Da ein solcher Verlust aber davon abhängt, dass der Kläger wieder spielt (und verliert), könnte auch erst dieses zum Verlust führende (weitere) Spiel als erstschadenauslösend beurteilt und auf den Ort dieses Spiels abgestellt werden. Sieht man erst den (endgültigen) Verlust des Anspruchs auf Auszahlung eines Guthabens auf dem Spielerkonto als Erstschaden an, stellt sich die Frage, wo der Ort dieses Anspruchs liegt – in Malta, wo das Konto geführt wird, am Wohnort des Klägers, am Belegenheitsort seines Hauptvermögens oder anderswo.
[40] 4.10. Sollte der Ort des Eintritts des Primärschadens in Österreich liegen, wäre nach Auffassung des erkennenden Senats – im Sinn der genannten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 – auch für die Frage des anzuwendenden Rechts aber davon auszugehen, dass die spezifischen Gegebenheiten der Situation für eine Zuweisung an das materielle nationale Recht des Erfolgsorts sprechen. Eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat iSd Art 4 Abs 3 der Rom II‑VO wäre diesfalls nach Auffassung des erkennenden Senats nicht erkennbar.
Zu III.:
[41] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens beim Obersten Gerichtshof bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.
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