OGH 9Ob48/23h

OGH9Ob48/23h18.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) R*, 2.) G*, und 3.) Dr. M*, alle vertreten durch Linsinger & Partner Rechtsanwälte OG in St. Johann im Pongau, wegen 1.) Unterlassung (Streitwert: 7.000 EUR) und 2.) 15.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Juni 2023, GZ 3 R 66/23f‑53, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 4. April 2023, GZ 57 Cg 28/21b‑48, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00048.23H.1218.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.056,76 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 342,79 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt die Unterlassung der Baumfällung auf ihrem Grundstück sowie die Zahlung von 15.000 EUR an Deckungskapital für drei gefällte Lärchen. Hilfsweise begehrt sie die Beklagten schuldig zu erkennen, einen Auftrag zur Aufforstung von 20 Lärchenforstpflanzen im Frühjahr oder Sommer 2023 zu erteilen. Der Drittbeklagte sei Jagdpächter in diesem Gebiet. Er habe die Erst‑ und Zweitbeklagten um den 20. 9. 2019 veranlasst, drei etwa hundertjährige Lärchen zu fällen, um ein freies Schussfeld vor seinem Jägersitz zu haben. Wiederholungsgefahr liege vor, weil in der Zwischenzeit neuerlich eine hundertjährige Lärche im Schussfeld des Jägersitzes gefällt worden sei.

[2] Die Beklagten wenden insbesondere ein, keine Lärchen gefällt zu haben.

[3] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab. Dazu stellte es ua fest, dass die Klägerin grundbücherliche Eigentümerin des Grundstücks 409 ist. Der Drittbeklagte ist seit 2016 Jagdpächter in diesem Gebiet. Es steht nicht fest, dass der Erst‑ und Zweitbeklagte auf seine Veranlassung um den 20. 9. 2019 drei Lärchen auf dem Grundstück 409 gefällt haben. Rechtlich führte es aus, dass die Klägerin nicht bewiesen habe, dass Erst‑ und Zweitbeklagter im Auftrag des Drittbeklagten im September 2019 drei Lärchen gefällt haben. Auf die – festgestellte – Fällung eines Baums im Jahr 2017 habe die Klägerin ihr Begehren nicht gestützt. Abgesehen davon seien die Beklagten 2017 davon ausgegangen, die Zustimmung des (vermeintlichen) Grundstückseigentümers zu dieser Fällung eingeholt zu haben, sodass auch nicht vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise im Kostenpunkt, nicht aber in der Hauptsache Folge. Ein Anwendungsfall des Anscheinsbeweises liege nicht vor, weil das Grundstück der Klägerin für jedermann frei zugänglich sei und es keine „allgemeine Lebenserfahrung“ gebe, dass die Lärchen nur von den Beklagten und nicht von dritten Personen gefällt worden seien. Die Annahme des Anscheinsbeweises dürfe nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen. Wiederholungsgefahr liege nicht vor. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteige. Es ließ die Revision nachträglich zu, „weil es (allenfalls) einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedarf, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Anwendung des Anscheinsbeweises auf den vorliegenden Sachverhalt angesichts des Umstands, dass gewisse beweispflichtige Umstände in der Sphäre der Beklagten liegen, falsch beurteilt“ habe.

[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von den Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung der Klage anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig.

[7] 1.1 Der Oberste Gerichtshof darf im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nur prüfen, ob in einem bestimmten Fall ein Anscheinsbeweis zulässig ist. Ob er erbracht oder erschüttert worden ist, ist hingegen eine vom Revisionsgericht nicht mehr überprüfbare Beweisfrage (RS0086050 [T2, T11]; RS0022624).

[8] 1.2 Im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle kann es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sein, in jedem Fall, in dem behauptet wird, dass ein bestimmter allgemein bekannter Erfahrungssatz bestehe, dazu in der Sache Stellung zu nehmen. Der Lösung der Rechtsfrage, ob unter den konkreten Umständen der Anscheinsbeweis geführt werden kann, kommt daher regelmäßig keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (vgl RS0022624 [T5, T8]; RS0040196 [T15]). Der Anscheinsbeweis ist dort ausgeschlossen, wo der Kausalablauf durch den individuellen Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann. Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, gibt für den Beweis des ersten Anscheins keinen Raum (RS0040288).

[9] 1.3 Die Revision macht geltend, dass von einem typischen Geschehensablauf auszugehen sei, weil den Aussagen der Beklagten „unmittelbar nach dem Vorfall“ im Ermittlungsverfahren höhere Glaubwürdigkeit zukomme und von der Klägerin nicht erwartet werden könne, während der Fällung der Lärchen anwesend zu sein. Mit diesen Ausführungen zeigt die Klägerin keine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf, weil sie sich inhaltlich lediglich gegen die im Revisionsverfahren nicht anfechtbare Beweiswürdigung des Erstgerichts wenden.

[10] 2. Das Erstgericht hat das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr verneint. Diese Beurteilung wurde von der Klägerin in der Berufung nicht bekämpft. Die rechtliche Überprüfung einer Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht erfolgt aber nur insoweit, als im Rahmen einer Rechtsrüge Rechtsfragen zu (selbständigen) Ansprüchen und Einwendungen ausgeführt worden sind (RS0043338 [T7, T20, T32]). Bereits dem Berufungsgericht war daher die Überprüfung dieses rechtlich gesondert beurteilbaren Aspekts verwehrt. Für die Überprüfung der Berufungsentscheidung kann nichts anderes gelten, sodass auf die Ausführungen der Revisionswerberin zur behaupteten Wiederholungsgefahr nicht einzugehen ist.

[11] Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

[12] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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