OGH 504Präs60/23t

OGH504Präs60/23t23.11.2023

Beschluss:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:504PRA00060.23T.1123.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz ist von der Entscheidung über die Ausgeschlossenheit einer Richterin des Oberlandesgerichts Graz im Verfahren über die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. August 2023, GZ 172 Hv 20/16k-565, womit der Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens abgewiesen wurde, ausgeschlossen.

Infolge Ausgeschlossenheit aller anderen Richter und Richterinnen des Oberlandesgerichts Graz wird die Entscheidung über diese Beschwerde dem Oberlandesgericht Wien übertragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 29. September 2016, GZ 172 Hv 20/16k-456, rechtskräftig der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt und in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Juni 2023, GZ 132 Bs 127/17x-552, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der Schuldspruch umfasst ua das zum Nachteil einer Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Graz ausgeführte Verbrechen nach §§ 15, 75 StGB.

Der Verurteilte erhob gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. August 2023, GZ 172 Hv 20/16k-565, womit sein Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens abgewiesen wurde, Beschwerde. Das Rechtsmittelverfahren ist beim Oberlandesgericht Graz zu AZ 1 Bs 108/23a anhängig.

Die zur Berichterstatterin bestellte Richterin zeigte ihre Ausgeschlossenheit im Hinblick auf ihren freundschaftlich-kollegialen Kontakt mit der erwähnten Senatspräsidentin an.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz, der für die Entscheidung über die Ausgeschlossenheit von Richtern des Oberlandesgerichts zuständig ist, gründet seine nach § 44 Abs 2 StPO erstattete Anzeige auf den Umstand, dass die Tat eine Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts betraf. Bis zu deren Übertritt in den Ruhestand habe er ihr gegenüber Verpflichtungen als Dienstgeber gehabt. Vom Standpunkt eines objektiven Betrachters könnten daher Zweifel an der völligen Unbefangenheit des Präsidenten, aber im Hinblick auf die langjährige Zugehörigkeit der betroffenen Senatspräsidentin zum Oberlandesgericht auch Zweifel an der Unvoreingenommenheit sämtlicher Richter:innen des Oberlandesgericht bestehen.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz zeigt damit Gründe auf, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit in Zweifel zu ziehen (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO). Da diese Gründe auch für die anderen Richterinnen und Richter dieses Oberlandesgerichts gelten, also kein ordentlich besetzter Senat zur Entscheidung über die Beschwerde gebildet werden kann, war die Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Wien zu übertragen (vgl schon 1 Präs 2690-3149/15x).

Die Übertragungskompetenz der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs gründet sich darauf, dass den auf die Entscheidung über die Anzeige der Ausgeschlossenheit und über den Antrag auf Ablehnung bezogenen Vorschriften der StPO, nicht anders als dieser insgesamt, die Annahme einer hierarchischen Gerichtsstruktur zugrunde liegt, womit die Zuständigkeit eines Präsidenten des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Ausgeschlossenheit von Richtern eines anderen Oberlandesgerichts ausscheidet. Diese fällt daher der insoweit übergeordneten Präsidentin des Obersten Gerichtshofs zu, der folgerichtig auch die Übertragung der Sache selbst und nicht bloß der darauf bezogenen Entscheidung über die Ausgeschlossenheit von Richtern zukommt (vgl RS0125943).

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