European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00121.23T.1108.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen
Spruch:
Im Verfahren AZ 10 Hv 112/22g des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzen
1./ die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung durch die Einzelrichterin § 31 Abs 3 Z 6a StPO;
2./ die Fällung des (Sach-)Urteils vom 15. Mai 2023 (ON 514) § 488 Abs 3 iVm § 31 Abs 3 Z 6a StPO.
Dieses Urteil wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz ist zur Entscheidung über den gegen * S* wegen der Vergehen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (C./) und der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB (D./1./) erhobenen Anklagevorwurf unzuständig.
Gründe:
[1] Soweit im Folgenden von Relevanz wurde * S* aufgrund der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz vom 27. Jänner 2020 (ON 405) mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. Jänner 2022, GZ 17 Hv 12/20z‑481, der Vergehen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall (mit einem durch die Tat herbeigeführten Schaden von 147.201,39 Euro; C./), der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB (D./1./) sowie der Begünstigung eines Gläubigers nach § 158 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB (D./3./) schuldig erkannt.
[2] In Stattgebung der gegen die Schuldsprüche C./ und D./1./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des S* hob der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 27. Juli 2022, AZ 15 Os 35/22v, das angefochtene Urteil in den Schuldsprüchen C./ und D./1./ und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und in der Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg auf, ordnete eine neue Hauptverhandlung an und verwies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz.
[3] Nach Rücklangen und Neuzuteilung des Verfahrens ordnete die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz am 5. April 2023 eine Hauptverhandlung an (ON 1 S 117), die sie am 15. Mai 2023 (ON 513) durchführte. Mit Urteil vom selben Tag wurde der Angeklagte – unter formal verfehlter (RIS‑Justiz RS0098685; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 33) Wiederholung des bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs wegen der Begünstigung eines Gläubigers nach § 158 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB (D./3./) – zu C./ – insofern abweichend von der Anklage – des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und zu D./1./ des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB schuldig erkannt (ON 514).
[4] Über die gegen dieses Urteil vom Angeklagten erhobene Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 519) hat das Oberlandesgericht Graz noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt, stehen die Anordnung und die Durchführung der Hauptverhandlung durch die Einzelrichterin sowie die Fällung des (Sach‑)Urteils vom 15. Mai 2023 mit dem Gesetz nicht im Einklang.
[6] Gemäß § 31 Abs 3 Z 6a StPO obliegt das Hauptverfahren wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB, wenn – wie fallaktuell – der durch die Tat herbeigeführte Schaden 50.000 Euro übersteigt oder sich der Vorsatz darauf erstreckt, dem Landesgericht als Schöffengericht. Demgemäß hätte die zuständige Leiterin der Gerichtsabteilung hinsichtlich der noch verfahrensgegenständlichen Anklagevorwürfe – ausgehend von den der ursprünglichen Anklage zugrunde liegenden Tatsachen (§ 293 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0119355, RS0101635) – eine Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Schöffengericht anberaumen müssen. Die Anordnung und Durchführung einer Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter verletzt daher § 31 Abs 3 Z 6a StPO.
[7] Weiters verletzt das am 15. Mai 2023 gefällte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz (ON 514) das Gesetz in § 488 Abs 3 iVm § 31 Abs 3 lit 6a StPO, weil die Einzelrichterin – trotz Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht – kein Unzuständigkeitsurteil, sondern ein Sachurteil fällte.
[8] Es ist nicht auszuschließen, dass die Gesetzesverletzungen dem Angeklagten zum Nachteil gereichen. Deren Feststellung war daher mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
[9] Die Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.
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