European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00073.23A.1024.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten * N* zu A./III./ und IV./, sowie zu D./III./ und IV./, demnach auch im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch sowie im Ausspruch über den Verfall aufgehoben und es wird in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant, wurde mit dem angefochtenen Urteil * N* jeweils des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB (A./III./ und IV./) und des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach „§ 153d Abs 1, 2 und 3 erster und zweiter Fall StGB“ (richtig: § 153d Abs 1 und 3 erster und zweiter Fall StGB sowie § 153d Abs 2 und 3 erster und zweiter Fall StGB [B./III./]) sowie des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (Abs 5 Z 4) iVm § 161 Abs 1 StGB (D./III./ und IV./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S* und andernorts teils als leitender Angestellter (§ 161 Abs 1 StGB), teils als faktischer Machthaber
A./ Bestandteile des Vermögens der nachgenannten Unternehmen beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung deren Gläubiger vereitelt oder geschmälert, indem er Gelder von den Gesellschaftskonten in bar behob und sich zueignete, PKWs zum Schein an Dritte verkaufte und sich diese oder die dafür allenfalls erlangten Gelder zueignete, Angehörige zum Schein bei den Unternehmen anmeldete und sich die fiktiven Entgelte selbst zueignete und offene Forderungen und den PKW-Bestand gegenüber den Insolvenzverwaltern verschwieg und dadurch einen nicht mehr feststellbaren, 300.000 Euro nicht übersteigenden Schaden herbeiführte, und zwar
III./ als Geschäftsführer und Gesellschafter der L* GmbH von 3. März bis 7. April 2020;
IV./ „betreffend die S* GmbH“ von 6. Dezember 2019 bis Mitte 2021;
B./ die Anmeldung von Dienstnehmern zur Sozialversicherung, „nämlich zur BUAK und anderen Versicherungsträgern“ (ersichtlich gemeint: insbesondere zur ÖGK [Abs 1; vgl US 10] und zur BUAK [Abs 2]), in dem Wissen vorgenommen, vermittelt oder in Auftrag gegeben, dass die „in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge“ (ersichtlich gemeint: und in Folge der Meldung auflaufenden Zuschläge nach dem Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungsgesetz) nicht vollständig geleistet werden sollen, wobei er die Tat gewerbsmäßig und in Bezug auf eine größere Zahl von Personen beging, und zwar
III./ als Geschäftsführer und Gesellschafter der L* GmbH von 3. März bis 7. April 2020 in Bezug auf 122 Personen;
D./ grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit nachgenannter Unternehmen dadurch herbeigeführt, dass er kridaträchtig handelte, indem er Geschäftsbücher und geschäftliche Aufzeichnungen zu führen unterließ oder so führte, dass ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unternehmen erheblich erschwert wurde, oder sonstige geeignete und erforderliche Kontrollmaßnahmen, die ihm einen solchen Überblick verschaffen, unterließ, und zwar
III./ als Geschäftsführer und Gesellschafter der L* GmbH von 3. März bis 7. April 2020;
IV./ „betreffend die S* GmbH“ von 6. Dezember 2019 bis Mitte 2021.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.
[4] Zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zu A./III./ und IV./ eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf. Diese stützte das Erstgericht darauf, dass der Angeklagte bei der A* GmbH als Sekretär beschäftigt sowie „im festgestellten Zeitraum“ auch geschäftsführender Gesellschafter bei der L* GmbH gewesen sei und nachÜbergabe dieser Funktion an * C* weiterhin als Sekretär fungiert habe. Auch bei der S* GmbHsei er nach der Insolvenz der A* GmbH und nach seiner Tätigkeit bei der L* GmbH als Sekretär tätig gewesen, „weshalb jedenfalls davon auszugehen war, dass es auch * N* zumindest ernstlich für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, das Vermögen der L* GmbH und der S* GmbH zu verringern und dadurch die Gläubiger dieser Gesellschaften zu schädigen“. Darüber hinaus ergebe sich „aus den bei der Hausdurchsuchung gefundenen Unterlagen, insbesondere dem Chatverkehr (ON 134)“, dass der Angeklagte spätestens bei der L* GmbH, jedenfalls aber auch bei der S* GmbH, „eine äußerst zentrale Rolle im Firmengeflecht des * R*“ hatte (US 14).
[5] Diese lediglich auf die Position des Angeklagten in den einzelnen Gesellschaften abstellenden Ausführungen bieten – wie die Beschwerde zu Recht kritisiert – keine taugliche Basis für die Annahme bedingten Vorsatzes in Bezug auf die (im Übrigen bloß rudimentär festgestellte) Vermögensverringerung und die dadurch bewirkte Vereitelung oder Schmälerung der Befriedigung zumindest eines der (mehreren) im Tatzeitpunkt bereits vorhandenen Gläubiger.
[6] Gleichfalls im Recht ist der zu D./III./ und IV./ erhobene Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zu einem grob fahrlässigen Handeln des Angeklagten (US 11 f). Denn die (neben einem [nur den objektiven Tatbestand betreffenden] Verweis auf die Ausführungen des Buchsachverständigen zu Art und Gestaltung der [nach seiner Einschätzung mangelhaften] Aufzeichnungs- und Kontrollmaßnahmen „bei allen Gesellschaften“) zur Fundierung dieser Konstatierungen herangezogene – als Teilgeständnis beurteilte – Passage aus der Verantwortung des Angeklagten N*, wonach „dort total Chaos, in Ordner, im Büro, überall“ gewesen sei, als er „die Firma (ersichtlich gemeint: die L* GmbH) genommen habe“ (US 14; ON 215 S 13), die im Urteil zudem unvollständig zitiert wurde (vgl ON 215 S 13 im unmittelbaren Anschluss: „Also einen Monat war nur das, bis ich eine Ordnung gehabt habe für Akten. Dann habe ich diese Firma übergeben …“), lässt weder in Betreff der L* GmbH noch der S* GmbH einen ausreichenden Bezug zu einer der konstatierten (als grob sorgfaltswidrig beurteilten) kridaträchtigen Handlungen des Angeklagten erkennen.
[7] Die aufgezeigten Begründungsmängel erfordern die Aufhebung des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO). Ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen in Betreff der kassierten Schuldsprüche A./III./ und IV./ sowie D./III./ und IV./ ist damit nicht erforderlich.
[8] Ebenso zu beseitigen (§ 289 StPO) war das Verfallserkenntnis, weil dieses ohne Nennung des (oder der) davon betroffenen Angeklagten (vgl aber RIS‑Justiz RS0134391) undifferenziert das „sichergestellte“ Bargeld als Erlös aus den „gegenständlichen strafbaren Handlungen“ umfasst (US 6, 15), sodass nicht beurteilt werden kann, ob es im rechtskräftigen Teil der Schuldsprüche Deckung findet (vgl zuletzt 14 Os 31/23z; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7; siehe im Übrigen – mit Blick auf §§ 64, 444 StPO – zur Sicherstellung des Bargeldes beim abgesondert rechtskräftig verurteilten * R* ON 68.4 iVm ON 68.20, ON 88 und 89).
[9] Zu B./III./ kommt der Nichtigkeitsbeschwerde jedoch keine Berechtigung zu. Das Schöffengericht leitete die dazu getroffenen Feststellungen – entgegen der Beschwerde – nicht nur aus den zu A./III./ und IV./ angestellten Erwägungen ab. Es stützte diese Konstatierungen auch auf die – die L* GmbH betreffende – Sachverhaltsdarstellung der BUAK, die hohe Anzahl der bei dieser gemeldeten Personen und die diesbezügliche Verantwortung des Angeklagten, der die Frage der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, ob „klar gewesen“ sei, „dass Dienstnehmer angemeldet wurden und nichts bezahlt wird bei der Sozialversicherung“, in Bezug auf den Zeitraum, in dem er als Geschäftsführer fungierte, bejaht und eingeräumt habe, Daten von neuen Arbeitnehmern zwecks Anmeldung an die Buchhaltung weitergeleitet zu haben (US 14). Dass diese Begründung den Kriterien logischen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS‑Justiz RS0099413), zeigt die Rüge (Z 5 vierter Fall) weder mit der Behauptung, die Ausführungen könnten „in keiner Weise“ nachvollzogen werden, da ein Schluss von den erstgerichtlichen Erwägungen auf die Feststellungen nicht möglich erscheine, noch mit jener, die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite würden „einer eigenständigen Begründung“ bedürfen, auf.
[10] Warum die Angaben des Angeklagten „unter Berücksichtigung des Zusammenhangs“ keine tragfähige Entscheidungsgrundlage für die bestrittenen Urteilsfeststellungen darstellen oder zu deren Begründung ungeeignet sein sollten, weil der Angeklagte in diesem Zusammenhang auch angab, „keine Ahnung“ zu haben, was im Zeitraum „nach März“ passiert sei, da er dann bis Mai „nicht einmal in Österreich“ gewesen sei (ON 215 S 13), erklärt die Beschwerde nicht (vgl auch den Tatzeitraum 3. März bis 7. April 2020).
[11] An sich zutreffend kritisiert die Beschwerde (Z 5 vierter Fall), dass die Feststellungen zu einem auf gewerbsmäßige Begehung gerichteten Vorsatz (US 11) offenbar unzureichend begründet sind, weil die Absicht des Angeklagten, sich durch die wiederkehrende betrügerische Anmeldung von Personen zur BUAK „und anderen Versicherungsträgern“ iSd § 153d Abs 1 und 2 StGB längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, in der gegenständlichen Konstellation nicht bloß auf die Anzahl der angemeldeten Personen gestützt werden kann. Da die beiden Qualifikationsvarianten des § 153d Abs 3 StGB aber rechtlich gleichwertig sind (zu § 153d Abs 3 StGB als alternativen Mischtatbestand vgl RIS‑Justiz RS0131508), spricht die Beschwerde mit Blick auf die ebenfalls angenommene, jedoch nicht erfolgreich bekämpfte zweite Qualifikation des § 153d Abs 3 StGB keine entscheidende Tatsache an (vgl RIS‑Justiz RS0116655).
[12] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[13] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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