OGH 7Ob177/23i

OGH7Ob177/23i24.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* L*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juni 2023, GZ 50 R 68/23s‑28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 3. März 2023, GZ 15 C 374/21s‑22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00177.23I.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung R917 (ARB 2016) zugrunde, die auszugsweise lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.4), gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses. [...]

[...]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1 und Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 17 Pkt. 2.4, Artikel 23 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes un ter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[...]“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Der Kläger erwarb während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel‑PKW und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB, § 874 ABGB sowie die Verordnung (EU) Nr 715/2007 gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie eine Haftung für Spät‑ und Dauerfolgen gegen die V* AG wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[4] 1.2. Die Beklagte vermeint, dass sich der Versicherungsfall hier nicht nach Art 2.3 ARB 2016, sondern nach Art 2.1 ARB 2016 richte, weil der Kläger einen Vermögensschaden geltend mache, der auf einen Sachschaden zurückzuführen sei. Dies habe zur Folge, dass der Schaden nicht beim Kläger eingetreten sei, weil dieser einen Gebrauchtwagen gekauft habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten macht der Kläger keinen Sachschaden im Sinn des Art 2.1 ARB 2016 geltend (7 Ob 89/23y; 7 Ob 114/23z; 7 Ob 120/23g; 7 Ob 140/23y ua). Der Versicherungsfall richtet sich daher nach Art 2.3 ARB 2016.

[5] 2.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144 [T3]). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offensichtlich aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs‑ oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448; RS0117144). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer den Versicherungsschutz ablehnen (7 Ob 55/23y mwN).

[6] Die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Rechtsschutzversicherung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0081929 [T3]). Auch die Auslegung des Vorbringens einer Partei bildet grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage, weil deren Bedeutung nicht über den Einzelfall hinausgeht (RS0042828 [T16]).

[7] 2.2. Nach dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers beabsichtigt er die Klageführung gegen die V* AG. Er brachte dazu vor, in seinem Fahrzeug sei der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgelieferte Motor EA189 verbaut. Der „Handlungsunwert“ der V* AG zeige sich – nach vorangegangenem Abgasmanipulationsbetrug – darin, dass sie sich bewusst für die technisch unzulängliche „Softwarelösung“ und dem Belassen der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung entschieden habe. Dass die V* AG den im PKW des Klägers verbauten Motor entwickelt hatte, wurde von der Beklagten selbst vorgebracht.

[8] Wenn die Vorinstanzen bei diesen Umständen des Einzelfalls zum Ergebnis gelangten, der Kläger habe die beabsichtigte Anspruchsverfolgung ausreichend schlüssig dargelegt, sodass der Einwand der Beklagten, es bestehe gemäß Art 9.2.3 ARB 2016 keine Aussicht auf Erfolg, nicht greife, so ist dies nicht korrekturbedürftig. Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach „gerichtsnotorisch und allgemein bekannt“ sei, dass der Motor EA189 „von V* zu verantworten“ sei, kommt es demnach nicht an.

[9] 3. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[10] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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