OGH 12Os89/23i

OGH12Os89/23i19.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Besic in der Strafsache gegen * P* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1 erster Fall, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten P* und * B* gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 9. März 2023, GZ 49 Hv 32/22h‑195.3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00089.23I.1019.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * B* wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der zu den Punkten II.A.1., II.A.3. und II.B. des Schuldspruchs des B* genannten Taten auch unter § 130 Abs 1 zweiter Fall StGB, demzufolge in der zu diesem Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit und im Strafausspruch des B* (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P* und jene des Angeklagten B* im Übrigen werden zurückgewiesen.

Der Angeklagte B* wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Vorerst hat das Oberlandesgericht Wien über die Berufung des Angeklagten P* zu entscheiden.

Beiden Angeklagten fallen auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Relevanz – der Angeklagte * P* des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1 erster Fall, 143 (zu ergänzen: Abs 1) zweiter Fall StGB (I.1.), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I.2.) und des Vergehens des Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 130 Abs 1 zweiter Fall StGB (II.A.2.) sowie der Angeklagte * B* des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1 erster Fall, 143 (zu ergänzen: Abs 1) zweiter Fall StGB (I.1.), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I.2.) und des Vergehens des schweren Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 zweiter Fall, 15 StGB (II.A.1., II.A.3. und II.B.) schuldig erkannt.

[2] Danach haben

I. P* und B* am 2. September 2022 in T* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

1. unter Verwendung einer Waffe mit Gewalt * A* fremde bewegliche Sachen, nämlich einen Rucksack mit 2.870 Euro Bargeld, zwei originalverpackte Mobiltelefone und zwei Paar Sportschuhe mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie dem Genannten zwei Faustschläge gegen seinen Kopf versetzten, ihn mit zwei Dosen Pfefferspray besprühten und seinen Rucksack an sich nahmen, worauf A* einen der Täter festhielt, bis dieser ein Springmesser zog;

2. durch die unter Punkt I.1. geschilderte Handlung Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich sechs Asylkarten, welche sich in dem Rucksack befanden, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer (richtig:) Tatsache gebraucht werden;

II. fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen und wegzunehmen versucht, nämlich

A. P* und B* mit dem abgesondert verurteilten * S* in wechselnder Beteiligung im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in S* und an anderen Orten Nachgenannten und zwar

1. B* mit dem abgesondert verurteilten S* am 5. November 2022 dem DI * L* eine Herrenuhr der Marke IWC im Wert von 8.600 Euro, 200 israelische Schekel (entspricht circa 56 Euro) und 325 Euro Bargeld;

2. P* mit dem abgesondert verurteilten S* in der Nacht vom 8. auf den 9. November 2022 der * T* 17.000 mexikanische Pesos (entspricht circa 800 Euro);

3. B* mit dem abgesondert verurteilten S* dem Mag. * W* eine Aktentasche mit 30 Euro Bargeld, einer Brieftasche, einer optischen Brille, diversen Schlüsseln, einer Füllfeder und einem Tablet Marke Apple iPad 2 im Gesamtwert von circa 700 Euro,

B. B* allein am 16. November 2021 in V* zwei im Urteil genannten Personen Bargeld und andere im Urteil angeführte Wertgegenstände in einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Gesamtwert,

wobei P* und B* „den Diebstahl“ im Rahmen einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung und B* überdies den Diebstahl an Sachen mit einem 5.000 Euro insgesamt übersteigenden Wert begingen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P* sowie die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 10 StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B*.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des P*:

Punkt I. des Schuldspruchs:

[4] Indem die Beschwerde (nominell Z 5 erster bis fünfter Fall) die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten damit kritisiert, dass die Täterbeschreibung des Opfers auf keinen der beiden Angeklagten zutreffe, bekämpft sie die – maßgeblich auf die Täteridentifizierung durch das Opfer (ON 18.2, 4 und ON 19.5, 3 f) gestützte (US 12 f) – Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0106588 [insbesondere T13]).

[5] Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall, nominell auch erster und dritter bis fünfter Fall) zuwider liegt bei – wie hier (US 6) – von vornherein einkalkulierter Gewaltanwendung auch im Fall bloß gewaltloser Mitgewahrsamsbegründung Raub und nicht räuberischer Diebstahl vor, wenn die Ausübung von Gewalt der Erlangung von Alleingewahrsame an der Beute diente (RIS‑Justiz RS0093704, RS0124007). Aus diesem Grund spricht sie vor dem Hintergrund der nicht infrage gestellten Feststellung eines von Anfang an auf Gewaltanwendung gerichteten Tatplans (US 6) mit dem Hinweis auf Verfahrensergebnisse, die für eine Gewaltanwendung erst nach Begründung von Mitgewahrsame an der Beute sprechen würden, keine für die (hier zufolge des eine Tatbeurteilung nach § 131 StGB anstrebenden Beschwerdevorbringens) Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache an. Solcherart verfehlt die Rüge den Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS‑Justiz RS0117499).

[6] Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit dem neuerlichen Hinweis auf die – aus Sicht der Beschwerde mit den Angeklagten nicht übereinstimmende – Täterbeschreibung des Opfers keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0099649).

[7] Soweit sich die weitere Tatsachenrüge gegen die Feststellungen zur Gewaltanwendung noch vor Begründung von (Mit‑)Gewahrsame (US 7) richtet, bezieht sie sich aus den bereits zuvor angeführten Erwägungen nicht auf eine entscheidende Tatsache (vgl abermals RIS‑Justiz RS0117499).

 

Punkt II.2. des Schuldspruchs:

[8] Die Tatrichter leiteten die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten P* aus der Bekanntschaft zwischen den beiden Angeklagten und dem bereits verurteilten Mittäter, den Aufenthalten in derselben Unterkunft und (in verschiedenen Beteiligungen) in Tatortnähe, der Sicherstellung eines Vierkantschlüssels beim Angeklagten P* und der Verwendung eines solchen Gegenstands bei den vom Angeklagten B* eingestandenen Taten zu Punkt B. (ON 193, 16) des Schuldspruchs, der vom Angeklagten P* eingeräumten, von ihm als Abwehr eines Angriffs geschilderten Beteiligung am zu Punkt I. des Schuldspruchs inkriminierten Geschehen (ON 193, 8 f) sowie dem Geständnis des bereits verurteilten S* zur alleinigen Tatbegehung ab (US 14 ff). Dass diese Begründung den Beschwerdeführer nicht überzeugt, begründet der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider keine Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0118317 [T9]).

[9] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) das Fehlen von Verfahrensergebnissen für die Täterschaft des Angeklagten P* behauptet, verfehlt sie die gesetzmäßige Darstellung, weil sie solcherart keine dem Ausspruch über entscheidende Tatsachen entgegenstehende Verfahrensergebnisse aufzeigt (RIS‑Justiz RS0128874).

[10] Mit dem weiteren Einwand, dass aus der Bekanntschaft zum abgesondert verurteilten S* und aus dem Lichtbild eines Bahnsteigs nicht auf die Tatbegehung durch den Angeklagten P* geschlossen werden könne, bekämpft die Rüge die tatrichterliche Beweiswürdigung (vgl aber RIS‑Justiz RS0118780).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[12] Dieses wird zu beachten haben, dass dem Schuldspruch zu Punkt II.A.2. nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) anhaftet, weil den Entscheidungsgründen für die rechtliche Unterstellung der Tat unter § 130 Abs 1 zweiter Fall StGB notwendige Feststellungen zur Dauer, auf welche der Zusammenschluss angelegt war, fehlen (vgl RIS-Justiz RS0125232 [T7]).

[13] Anlass für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bestand nicht, weil sich dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen bei der Strafrahmenbildung (nach § 143 Abs 1 StGB) nicht auswirkte und bei der Strafzumessung lediglich das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit mehreren Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) als erschwerend gewertet wurde (US 19).

[14] Das Oberlandesgericht ist im Rahmen des Berufungsverfahrens an die fehlerhafte Subsumtion nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des B*:

[15] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) verletzt die Abweisung des (zu Punkt I. des Schuldspruchs gestellten) Antrags auf Durchführung eines „Lokalaugenscheins“ und (offensichtlich gemeint) einer Tatrekonstruktion unter Beteiligung des Zeugen A* (§ 149 Abs 1 Z 2 StPO) zum Beweis dafür, dass es für das Opfer zu dunkel gewesen sei, um Personen zu erkennen (ON 195.2, 27), keine Verteidigungsrechte:

[16] Der Beweisantrag zielte darauf, die Glaubwürdigkeit des Zeugen A* zu erschüttern und war solcherart grundsätzlich auf erhebliche Tatsachen gerichtet, weil die Beweisführung zur Beweiskraft von – wie hier – schulderheblichen Beweismitteln ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0028345; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340, 350). Berechtigt ist ein solcher Antrag aber nur dann, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, der betreffende Zeuge habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS‑Justiz RS0120109 [T3]). Derartige Ausführungen enthielt der Antrag jedoch nicht.

[17] Das den Beweisantrag ergänzende Vorbringen in der Beschwerde ist angesichts des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich (vgl abermals RIS‑Justiz RS0099618).

[18] Die zu II.A. und II.B. des Schuldspruchs den Entfall der Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) erklärt nicht, weshalb die Konstatierung, dass B* einen 5.000 Euro übersteigenden „Gesamtwert des Diebesgutes“ ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand (US 10), die Annahme der Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB nicht zu tragen vermag und es insoweit auf jede einzelne Tat bezogener Feststellungen zum qualifizierten Vorsatz bedurft hätte (vgl RIS‑Justiz RS0116569; 14 Os 16/20i; vgl im Übrigen RS0132778).

[19] Der weitere Einwand der Subsumtionsrüge, zu Punkt II.B. des Schuldspruchs fehlten Festellungen zu einem die Qualifikationsgrenze des § 128 Abs 1 Z 5 StGB übersteigenden Wert der weggenommenen Sachen, zeigt nicht auf, aus welchen Gründen sich trotz weiterer nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB qualifizierter Taten die rechtliche Beurteilung der Diebstähle in ihrer Gesamtheit (§ 29 StGB) ändern sollte (RIS‑Justiz RS0120980; Ratz in WK² StGB § 29 Rz 5 ff).

[20] Indem die (den Entfall der Qualifikation nach § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB anstrebende) Subsumtionsrüge schließlich zu I.1. einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur Verwendung einer Waffe durch B* und einen die Verwendung einer Waffe durch P* umfassenden Vorsatz behauptet, orientiert sie sich nicht am Urteilssachverhalt, wonach B* dem A* mit einem Pfefferspray in die Augen sprühte und er es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, den Rucksack des A* mit Gewalt und unter Einsatz eines Pfeffersprays wegzunehmen (vgl aber RIS-Justiz RS0099810; im Übrigen RS0093928 [T55]; Eder-Rieder in WK² StGB § 143 Rz 16).

[21] Hingegen zeigt die (den Entfall der Qualifikation nach § 130 Abs 1 zweiter Fall StGB anstrebende) Subsumtionsrüge zu den Punkten II.A.1., II.A.3. und II.B. des Schuldspruchs zutreffend einen Rechtsfehler mangels Feststellungen auf, weil den Entscheidungsgründen Feststellungen dazu, auf welche Dauer der Zusammenschluss angelegt war (vgl erneut RIS‑Justiz RS0125232 [T7]), nicht zu entnehmen sind.

[22] Dies erforderte – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils in der rechtlichen Unterstellung der zu den Punkten II.A.1., II.A.3. und II.B. des Schuldspruchs des Angeklagten B* genannten Taten unter § 130 Abs 1 zweiter Fall StGB und demzufolge in der zu diesem Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit sowie im Strafausspruch des Angeklagten B* wie aus dem Spruch ersichtlich bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

[23] Mit seiner Berufung war der Angeklagte B* auf diese Entscheidung zu verweisen.

[24] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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