OGH 8Ob38/23f

OGH8Ob38/23f19.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen Feststellung (Interesse 4.500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 1. Februar 2023, GZ 21 R 259/22d‑22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Haag vom 6. Oktober 2022, GZ 201 C 385/21x‑18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00038.23F.1019.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der Beklagten die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger, bei dem es sich um einen Verband nach § 29 Abs 1 KSchG handelt, führte im Jahr 2020 zum wiederholten Mal eine „Energiekosten‑Stop‑Aktion“ durch. Es handelt sich dabei um ein Ausschreibungsverfahren, bei dem verschiedene Energieanbieter teilnehmen und Tarifangebote legen können. In der Folge wird der Bestbieter ermittelt. Vom Ergebnis werden die an der Aktion teilnehmenden Verbraucher, die sich zuvor beim Kläger dafür registriert hatten, verständigt. Diese können daraufhin mit dem Bestbieter entsprechende Energielieferverträge direkt abschließen. Der Kläger hatte im Jahr 2020 in der Ausschreibung eine Preisgarantie von 18 Monaten vorgegeben.

[2] Die beklagte Partei, ein Energielieferant, ging als Bestbieter aus der Aktion „Energiekosten‑Stop‑Aktion“ 2020 hervor. Ihre Auftragsunterlagen nannten zum einen eine Preisgarantie von 18 Monaten, zum anderen eine beidseitige Vertragsbindung, auch als Mindestvertragslaufzeit bezeichnet, von 12 Monaten.

[3] Die Allgemeinen Stromlieferbedingungen der Beklagten, die den einzelnen Lieferverträgen zugrunde gelegt wurden, enthalten unter anderem folgende Klauseln:

3. Vertragslaufzeit / Kündigung

3.1. Sofern nicht anders vereinbart, wird der Vertrag auf unbestimmte Zeit mit einer Bindungsfrist von einem Jahr abgeschlossen.

3.2. Der Vertrag kann von (Beklagte) unter Einhaltung einer Frist von acht Wochen ordentlich gekündigt werden.

3.3. Der Kunde kann den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen ordentlich kündigen. Sind Bindungsfristen vereinbart, so ist die ordentliche Kündigung der Vertragsparteien unter Einhaltung der genannten Fristen zum Ende der Bindungsfrist, bei Verbrauchern (...) jedenfalls zum Ende des ersten Vertragsjahres und in weiterer Folge jederzeit unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen möglich

(...)

6. Preise / Steuern / Abgaben / Gebühren / Zuschläge / Preisänderungen

(...)

6.3.3. Für sämtliche Preisänderungen gelten folgende Rahmenbedingungen:

Preisänderungen sind erst (i) nach Ablauf der Fristen für etwaige vereinbarte Preisgarantien und/oder (ii) nach Ablauf einer zumindest zweimonatigen Frist ab Vertragsabschluss und jedenfalls höchstens zwei Mal pro Kalenderjahr zulässig. (...)“

[4] Der Kläger macht ihm abgetretene Ansprüche eines Kunden der Beklagten geltend. Dieser hatte als Verbraucher online zwei Energielieferverträge auf Grundlage des Anbots der Beklagten mit Preisgarantie abgeschlossen. Er verstand die Anbotsunterlagen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) dahin, dass er eine Bindung von 12 Monaten eingeht und den Strom von der Beklagten für 18 Monate zum vereinbarten Preis beziehen kann. Beide Verträge wurden in der Folge von der Beklagten bereits zum Ablauf der Bindungsfrist von 12 Monaten aufgekündigt.

[5] Der Kläger vertritt den Standpunkt, diese Kündigungen seien mit der Preisgarantie unvereinbar und daher rechtswidrig. Ein redlicher Erklärungsempfänger habe die Anbotsunterlagen sowie die AGB der Beklagten nur so verstehen können, dass ihr während der aufrechten Garantiedauer kein ordentliches Kündigungsrecht zustehe. Die Beklagte sei daher zum Ersatz des Schadens des Kunden, der ihm aus dem ersatzweisen Abschluss eines anderen Energielieferungsvertrags im verbleibenden Garantiezeitraum entstehe, verpflichtet. Der Höhe nach sei dieser Schaden noch nicht bezifferbar, sodass ein Feststellungsbegehren erhoben werde.

[6] Die Beklagte wandte ein, aus ihren Anbots- und Vertragsunterlagen gehe für einen redlichen Erklärungsempfänger völlig klar hervor, dass die Bindungsfrist kürzer als die Preisgarantie ist und der Vertrag bereits vor deren Auslaufen durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. Die Preisgarantie habe nur für das aufrechte Vertragsverhältnis Bedeutung.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass sich die Beklagte aufgrund der Divergenz zwischen Mindestvertragsdauer und Dauer der Preisgarantie undeutlicher Bestimmungen bedient habe. Diese seien im Zweifel so auszulegen, dass sie eine wirksame und sinnvolle Anwendung der strittigen Bestimmung ermöglichen. Wenn der Unternehmer bereits nach 12 Monaten kündigen könne, habe er im Grunde keine wirksame Preisgarantie für 18 Monate abgegeben. Es sei daher davon auszugehen, dass die Beklagte erst zum Ablauf der Garantiefrist kündigen hätte dürfen. Diese Auslegung sei mit den AGB der Beklagten konform, die im Punkt 3.1. ausdrücklich auf die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung über die Bindungsfrist Bezug nähmen.

[8] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

[9] Entgegen der Auffassung des Erstgerichts habe der Kunde aufgrund der Vertragsunterlagen als redlicher Erklärungsempfänger nicht den Eindruck gewinnen können, dass die Beklagte einen Kündigungsverzicht für 18 Monate abgegeben habe. Es sei ausdrücklich auf die Mindestlaufzeit einerseits und die Preisgarantiefrist andererseits hingewiesen worden. Die Preisgarantie werde durch die bloße Möglichkeit einer früheren Kündigung nicht sinnlos, weil der Vertrag auch aufrecht bleiben könne. Mangels rechtswidriger Kündigung bestehe ein Schadenersatzanspruch jedenfalls nicht zu Recht.

[10] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil von den strittigen Vertragsbedingungen der Beklagten eine erhebliche Anzahl von Verbrauchern betroffen sei und daher ausnahmsweise von einer erheblichen Bedeutung der vorgenommenen Vertragsauslegung auszugehen sei.

[11] Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers strebt die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts an. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[13] 1. Im vorliegenden Verfahren ist nicht die Zulässigkeit von Vertragsklauseln iSd § 28 KSchG zu beurteilen, sondern der Kläger macht abgetretene Ansprüche eines individuellen Kunden der Beklagten geltend. Maßgeblich ist hier eine Vertragsauslegung im Einzelfall, nämlich ob die Preisgarantie der Beklagten gleichzeitig als schlüssiger Kündigungsverzicht für die ersten 18 Monate anzusehen war. Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanz mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, kommt doch der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0042776; RS0043253; RS0109021 [T5]). Die Revisionszulässigkeit ergibt sich auch nicht schon daraus, dass im konkreten Fall mehrere Vertragspartner der Beklagten Verträge abgeschlossen haben, die gleichartige Bedingungen enthalten, oder dass weitere ähnliche Gerichtsverfahren anhängig sind (RS0042816 [T1, T3, T5]).

[14] Insbesondere hat der Oberste Gerichtshof bereits in der gegen die selbe Beklagte geführten Rechtssache 3 Ob 131/23w zu den hier wesentlichen Auslegungsfragen Stellung genommen und die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bestätigt, die sich mit der im vorliegenden Fall maßgeblichen Beurteilung deckt.

[15] Die zu 3 Ob 131/23w maßgebliche Entscheidungsbegründung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

[16] Im Individualprozess hat die Auslegung zunächst nach den Grundsätzen der §§ 914, 915 ABGB zu erfolgen (RS0016590 [T32]) und zwar so, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen (RS0008901 [T15]). Unklarheiten gehen zu Lasten des Verwenders, das heißt, im Regelfall zu Lasten des Unternehmers (RS0050063 [T3]).

[17] Die Dauer einer Vertragsbindung sowie die Möglichkeit und Bedingungen der Kündigung des Dauerschuldverhältnisses einerseits und andererseits die Preisgarantie, also ein Verzicht auf Erhöhung des laufenden Entgelts für einen bestimmten Zeitraum des laufenden Vertragsverhältnisses, sind zwei unterschiedliche, voneinander getrennte Aspekte. Dem entspricht der Text der von der Beklagten formulierten Klauseln, der diese unterschiedlichen Themenbereiche klar voneinander getrennt behandelt und regelt. Die beiderseitige Vertragsbindung (Mindestlaufzeit) ist mit 12 Monaten festgelegt und dem entsprechend ist beiden Vertragsparteien eine Kündigung erst zum Ende dieser Frist vertraglich eingeräumt. Durch eine eigene Überschrift gekennzeichnet und von der Regelung über die Mindestlaufzeit von einem Jahr getrennt bestimmt Punkt 6.3.3 („Preise/[...]/Preisänderungen"), dass Preisänderungen (unter anderem) erst nach Ablauf der Fristen für etwaige vereinbarte Preisgarantien zulässig sind. Damit ist aber für den Leser der vorformulierten Regelungen des Vertrags klar, dass der Energieanbieter die Dauer seiner allfälligen Preisgarantie gesondert zusagt und diese nicht – wie der Kläger offenbar meint – ihrerseits Auswirkungen auf die Mindestlaufzeit haben sollte. Die Beklagte erklärte mit ihrer insgesamt 18 Monate geltenden Preisgarantie, dass sie für den Fall der längeren Vertragsdauer noch für eine längere Zeit (sechs weitere Monate nach Ende der Mindestlaufzeit) auf ihr Preisanpassungsrecht verzichte und in diesem längeren Zeitraum (bei aufrechter Vertragsbeziehung) keine Änderung der Preise vornehmen werde.

[18] Auch zur Frage der Verwendung des Wortes „Bindungsfristen“ in den AGB der Beklagten hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 131/23w bereits Stellung bezogen und darauf verwiesen, dass auch § 76 Abs 1 EIWOG von „Bindungsfristen“ spricht, dies allerdings nur im Zusammenhang mit den einzuhaltenden Kündigungsfristen.

[19] Die Zweifelsregel des § 915 ABGB ist erst dann für die Auslegung heranzuziehen, wenn die Ermittlung der erklärten Absicht der Parteien ohne eindeutiges Ergebnis geblieben ist (vgl RS0109295). Steht der Vertragsinhalt eindeutig fest, dann ist für die Anwendung des § 915 ABGB kein Raum (RS0017752; RS0017957).

[20] Nach § 864a ABGB werden Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in AGB oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte, es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen. Als objektiv ungewöhnlich wird eine Klausel beurteilt, wenn sie nach einem objektiven Maßstab von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, sodass er mit ihr nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte (RS0014627 [T6]).

[21] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass diese Voraussetzungen bei objektiver Betrachtung hier nicht vorliegen, sondern die Bestimmungen zur Kündigung und Preisgestaltung klar und verständlich getrennt unter den jeweils sachlich dazu passenden Überschriften zu finden sind, ist keineswegs unvertretbar.

[22] Auch die Behauptung mangelnder Transparenz der strittigen Regelungen in ihrem Zusammenwirken wurde in der Entscheidung 3 Ob 131/23w geprüft und verneint. Der Oberste Gerichtshof kam – übereinstimmend mit dem Berufungsgericht – zu dem Ergebnis, dass ein durchschnittlicher Verbraucher mit Bindungsfristen und Preisgarantien bei Dauerschuldverträgen durchaus vertraut ist und aus der vorliegenden Regelung erkennt, dass er selbst schon vor Ablauf des Garantiezeitraums kündigen kann, wenn er einen günstigeren Anbieter findet, aber auch das Unternehmen nach Ablauf der Mindestbindungsdauer kündigen kann und der Vertrag damit vorzeitig beendet wird. Dieser Fall ist nicht, wie der Kläger es sieht, einfach als Umgehen der Preisgarantie zu werten, zumal das Unternehmen mit der Kündigung auch seine Rechte aus dem Dauerschuldverhältnis aufgibt und mit einiger Wahrscheinlichkeit den verärgerten Kunden auf Dauer verliert.

[23] Das Berufungsgericht hat auch eine gröbliche Benachteiligung des Kunden iSd § 879 ABGB ohne einen aufzugreifenden Rechtsirrtum verneint. Die Regelung über die Kündigungsmöglichkeiten entspricht § 76 Abs 1 EIWOG. Eine vom Kunden ausdrücklich gewünschte Preisgarantie ist auch dann für ihn günstig, wenn sie letztlich nur während der Mindestbindungsdauer zum Tragen kommt.

[24] Bei der ordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses handelt es sich auch begrifflich nicht um eine einseitige Änderung der vertraglich geschuldeten Leistung iSd § 6 Abs 2 Z 3 KSchG.

[25] Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

[26] Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht geltend gemacht. Ein Kostenersatz gebührt hier dennoch, weil zum Zeitpunkt des Einbringens der Revisionsbeantwortung die Vorentscheidung 3 Ob 131/23w noch nicht veröffentlicht war.

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