OGH 7Nc21/23g

OGH7Nc21/23g18.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Weber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen M* S*, AZ 38 Ps * des Bezirksgerichts Linz, infolge Vorlage zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070NC00021.23G.1018.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. August 2023, GZ 38 Ps *, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird genehmigt.

 

Begründung:

[1] Das Bezirksgericht Linz übertrug mit Beschluss vom 4. August 2023 die Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, weil sich der Minderjährige nunmehr ständig in dessen Sprengel aufhalte. Es ersuchte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien um Zustellung des Beschlusses an die Parteien. Dieses lehnte die Übernahme der Zuständigkeit mit Beschluss vom 18. August 2023 ab und stellte den Akt dem Bezirksgericht Linz zurück.

[2] Das Bezirksgericht Linz legte nach Rechtskraft seines Beschlusses den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Übertragung ist zu genehmigen.

[4] 1. Wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder einer sonst schutzberechtigten Person gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium für die Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist das Kindeswohl (RS0047074 [T1]). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am Besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RS0047300 [T1, T23]). Offene Anträge hindern eine Übertragung grundsätzlich nicht, doch kann im Einzelfall eine Entscheidung durch das schon bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sein, insbesondere wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt oder es sich bereits eingehend mit dem offenen Antrag befasst und dazu Vernehmungen durchgeführt hat, weil die gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden können (RS0047074 [T10]).

[5] 2. Im vorliegenden Fall lebt der Minderjährige seit über einem halben Jahr bei seinem Vater in Wien und möchte auch dort bleiben. Offen ist lediglich der Antrag der Mutter vom 26. Juli 2023 auf Verlegung des Wohnorts des Minderjährigen zu ihr. Da eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Antrag noch nicht erfolgt ist, war die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht des Aufenthaltsorts des Kindes ungeachtet des offenen Antrags im Sinn des § 111 Abs 2 JN zu genehmigen (vgl RS0047074 [T11]).

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