OGH 15Os98/23k

OGH15Os98/23k4.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Auslieferungssache des * B*, AZ 27 HR 126/23f des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 21. Juni 2023 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Betroffenen und seiner Verteidigerin Mag. Scheed zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00098.23K.1004.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Auslieferungsverfahren des Landesgerichts Feldkirch, AZ 27 HR 126/23f, verletzt der Beschluss vom 21. Juni 2023 in seinem Ausspruch, dass die Auslieferung „ohne die Wirkungen der Spezialität“ erfolgt, § 23 Abs 1 ARHG und Art 3 4. ZP-EuAlÜbk.

Dieser Beschluss wird im Umfang dieses Ausspruchs aufgehoben.

 

Gründe:

[1] Mit Note vom 17. Mai 2023 ersuchte die Schweizerische Eidgenossenschaft (Bundesamt für Justiz BJ) um Auslieferung des * B* zur Strafverfolgung (ON 8).

[2] Dem diesem Ersuchen zugrunde liegenden Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich vom 4. Mai 2023 zufolge besteht gegen den Betroffenen der dringende Verdacht, er habe von 28. auf den 29. April 2023 in * im Zusammenwirken mit einer derzeit nicht identifizierten Drittperson namens „* C*“ einen Einbruchsdiebstahl verübt, dabei einen Sachschaden in der Höhe von 500 CHF verursacht, anschließend einen Lieferwagen mit dem Kennzeichen * sowie mehrere Flaschen Wein im Wert von ca 77 CHF entwendet und dadurch einen (mit Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten) Diebstahl nach Art 139 Z 1 schweizerisches StGB, eine Sachbeschädigung nach Art 144 Abs 1 schweizerisches StGB sowie einen Hausfriedensbruch nach Art 186 schweizerisches StGB begangen.

[3] Nachdem die Staatsanwaltschaft Feldkirch das Auslieferungsersuchen am 19. Mai 2023 dem Landesgericht Feldkirch (im Nachhang [ON 8 S 1] zur bereits am 12. Mai 2023 aus Anlass einer Information über die SIS‑Ausschreibung des B* erfolgten Antragstellung auf Einleitung des Auslieferungsverfahrens [ON 1 S 1 f iVm ON 2]) zugeleitet und dieses dem Genannten mit Beschluss vom 25. Mai 2023 Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers bewilligt hatte (ON 6), führte das genannte Gericht am 21. Juni 2023 eine mündliche (Auslieferungs‑)Verhandlung durch. In dieser erklärte sich der Betroffene (nach einer entsprechenden Belehrung über den mit einer allfälligen Zustimmung verbundenen Verlust des Spezialitätenschutzes und die Unwideruflichkeit einer solchen Erklärung) mit „einer vereinfachten Übergabe bzw Auslieferung“ einverstanden (unjournalisiertes Protokoll vom 21. Juni 2023 S 1 f).

[4] Mit daraufhin verkündetem (und sogleich in Rechtskraft erwachsenem) Beschluss erklärte das Landesgericht Feldkirch die Auslieferung des Betroffenen an die Schweiz zur Strafverfolgung wegen der im erwähnten Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich vom 4. Mai 2023 angeführten Taten für zulässig und erklärte, dass die Auslieferung „ohne die Wirkungen der Spezialität“ erfolge. Unter einem schob es die Auslieferung bis zur Verbüßung der mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Oktober 2021, GZ 38 Hv 40/21b‑107, verhängten Freiheitsstrafe auf.

[5] Mit Schreiben vom 4. Juli 2023 übermittelte das Landesgericht Feldkirch den Akt schließlich dem Bundesministerium für Justiz (ON 1 letzte Seite).

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt, steht der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 21. Juni 2023, AZ 27 HR 126/23f, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[7] Zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft sind das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320 – ergänzt durch das Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978, BGBl 1983/297 (2. ZP-EuAlÜbk), das Dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010, BGBl III 2015/70 (3. ZP-EuAlÜbk), und das Vierte Zusatzprotokoll vom 20. September 2012, BGBl III 2016/42 (4. ZP-EuAlÜbk) – sowie der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung (BGBl 1974/717) anwendbar.

[8] Nach Art 12 Abs 1 3. ZP-EuAlÜbk sowie Art 7 Abs 1 4. ZP‑EuAlÜbk ist das Europäische Auslieferungsübereinkommen sinngemäß anzuwenden, soweit es mit den Bestimmungen der genannten Zusatzprotokolle vereinbar ist. Nach Art 22 EuAlÜbk findet – soweit im Übereinkommen nichts anderes bestimmt ist – auf das Verfahren der Auslieferung ausschließlich das Recht des ersuchten Staats Anwendung, somit (hier relevant) das ARHG unter teils sinngemäßer Anwendung der StPO (§§ 9 Abs 1, 26 Abs 1, 29 Abs 1 ARHG).

[9] Gemäß § 31 Abs 1 ARHG entscheidet das Gericht grundsätzlich nach Maßgabe des § 33 ARHG (und somit nach Durchführung eines förmlichen Auslieferungsverfahrens) mit Beschluss über die Zulässigkeit der Auslieferung. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses hat das Gericht (bzw im Falle eines Beschwerdeverfahrens das Rechtsmittelgericht) die Akten dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen (§ 31 Abs 6 und Abs 7 ARHG).

[10] Nach § 32 Abs 1 ARHG kann sich die betroffene Person aufgrund eines ausländischen Ersuchens um Auslieferung (oder um Verhängung der Auslieferungshaft) mit der Auslieferung aber auch einverstanden erklären und einwilligen, ohne Durchführung eines förmlichen Auslieferungsverfahrens übergeben zu werden („vereinfachte Auslieferung“; § 32 Abs 1 ARHG; vgl auch Art 1 und Art 4 Abs 1 3. ZP‑EuAlÜbk). In einem solchen Fall ist eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung mit Beschluss nicht vorgesehen; vielmehr hat das Gericht die Akten unmittelbar dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen (§ 32 Abs 4 ARHG; Göth-Flemmich/Riffel in WK² ARHG § 32 Rz 8; Göth-Flemmich in Göth‑Flemmich/ Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 32 ARHG Rz 7).

[11] Im Auslieferungsrecht gilt – als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts – der Grundsatz der Spezialität (vgl Art 3 4. ZP‑EuAlÜbk [zuvor Art 14 EuAlÜbk] sowie § 23 ARHG). Dieser soll sicherstellen, dass die ausgelieferte Person ausschließlich wegen der Straftat(en) strafrechtlich verfolgt wird, derentwegen der ersuchte Staat die Auslieferung bewilligt hat oder deren Verfolgung er nach Durchführung der Auslieferung zugestimmt hat (§§ 23 Abs 1 und Abs 2, 40 ARHG; Göth‑Flemmich/Riffel in WK² ARHG § 23 Rz 1 f und § 40 Rz 1; Göth-Flemmich in Göth‑Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 23 ARHG Rz 1 f und 6 sowie § 40 Rz 1).

[12] In Entsprechung dieses Grundsatzes ist eine Auslieferung prinzipiell nur dann zulässig, wenn die Spezialität der Auslieferung gewährleistet ist (§ 23 Abs 1 ARHG).

[13] Nach § 32 Abs 2 ARHG (vgl auch Art 5 lit a 3. ZP-EuAlÜbk einschließlich der von Österreich bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu Art 5 des 3. ZP‑EuAlÜbk abgegebenen Erklärung [BGBl III 2015/70]) ist mit der Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung allerdings ein Verlust ihrer Spezialitätsbindung iSd § 23 Abs 1 und 2 ARHG bzw Art 3 4. ZP-EuAlÜbk untrennbar verbunden (Göth-Flemmich/Riffel in WK² ARHG § 32 Rz 6; Göth-Flemmich in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/ Martetschläger, Internationales Strafrecht § 32 ARHG Rz 5).

[14] Wird jedoch trotz Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung ein Beschluss nach § 31 Abs 1 ARHG gefällt, so ist die Auslieferung dennoch nur unter Spezialitätsvorbehalt für zulässig zu erklären, zumal das ARHG keinen Verzicht der betroffenen Person auf die Beachtung der Spezialität vorsieht (Göth‑Flemmich/Riffel in WK² ARHG § 23 Rz 1 und § 32 Rz 8; Göth‑Flemmich in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/ Martetschläger, Internationales Strafrecht § 23 ARHG Rz 1).

[15] Der fallaktuell trotz Zustimmung des Betroffenen zur vereinfachten Auslieferung gefasste Beschluss des Landesgerichts Feldkirch, mit dem dieses die Auslieferung des B* für zulässig erklärte, verletzt in seinem Ausspruch, wonach die Auslieferung „ohne die Wirkungen der Spezialität“ erfolge, demnach § 23 Abs 1 ARHG und Art 3 4. ZP-EuAlÜbk.

[16] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang zur Klarstellung aufzuheben (zur bloß deklaratorischen Natur des Ausspruchs über die Spezialität vgl 13 Os 77/23g).

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