OGH 22Ds7/23h

OGH22Ds7/23h21.9.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 21. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwältin Dr. Mascher und den Rechtsanwalt Dr. Schimik als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung vonBerufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 5. September 2022, GZ D 93/20‑22, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0220DS00007.23H.0921.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte Rechtsanwalt *der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür nach § 16 Abs 1 (richtig:) Z 2 DSt zu einer Geldbuße in Höhe von 1.000 Euro verurteilt.

[2] Das Erkenntnis wurde dem Beschuldigten per webERV am 30. Dezember 2022 zugestellt (Beilage zu ON 22) und ist diesem – insoweit unbestritten – auch zugekommen.

[3] Am 30. Jänner 2023 übermittelte er seine dagegen gerichtete Berufung (als Anhang „hprakdis004[ber].pdf“) per E-Mail an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * und gab dazu im Anschreiben bekannt, dass „offensichtlich der webERV (mit einer sogenannten Teilnehmerdirektzustellung im Wege des Z‑Codes), auf der Empfängerseite nicht funktionieren dürfte“, weshalb die Berufung „auf diesem Wege … gemäß Attachment“ übermittelt werde (ON 23).

[4] Auf Basis der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskünfte des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * (samt einem Ausdruck des im fraglichen Zeitraum erstellten Logbuchs sowie den Ergebnissen der Überprüfungen des Systems [durch die kammerinterne IT‑Abteilung] und des Logbuchs [durch die Support-Abteilung der Anwaltssoftware Advokat]; ON 6 und 11 im Ds‑Akt) und der Übermittlungsstelle (§ 89b Abs 2 GOG iVm § 2 Abs 2 ERV 2021; ON 14 im Ds‑Akt) sowie der dazu erstatteten Äußerung des Beschuldigten (samt „Bildschirmhardcopy“ über das von der Software „zur Dokumentation erzeugte ... Journal Einsicht über den elektronischen Rückverkehr“; ON 9 im Ds‑Akt) überzeugte sich der Oberste Gerichtshof in freier Beweiswürdigung davon, dass am 30. Jänner 2023 auf Seiten der Rechtsanwaltskammer kein – vom Beschuldigten behauptetes – technisches Gebrechen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs vorlag, die „Übermittlungsversuche“ des Beschuldigten per webERV („via Anwaltssoftware Xpert“) vom 30. Jänner 2023 (um 22:59:00 Uhr) vielmehr aus in seiner Sphäre gelegenen und daher ihm zuzurechnenden Gründen scheiterten.

[5] Die Berufung wurde demgemäß nicht (wirksam) im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * eingebracht (vgl dazu RIS‑Justiz RS0126237; Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG II5.01 § 89d GOG Rz 7, 13 mwN [insb VfGH 23. 11. 2017], E 178/2017; zu Teilnehmer‑Direktzustellungen vgl auch Stummvoll in Fasching/Konecny³ II/2 § 112 ZPO Rz 10), sondern diesem bloß per E‑Mail übersendet.

Rechtliche Beurteilung

[6] Gemäß § 48 Abs 1 DSt ist die Berufung gegen ein Disziplinarerkenntnis binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung bei dem Disziplinarrat, der sie gefällt hat, schriftlich in dreifacher Ausfertigung einzubringen.

[7] Über diese Vorschrift hinaus enthält das DSt bezüglich der Form der Eingabe keine weitere Regelung, weshalb insoweit (vgl § 77 Abs 3 DSt) die entsprechenden Bestimmungen der StPO im Disziplinarverfahren anzuwenden sind (vgl 21 Os 5/15s).

[8] Nach der – hier maßgeblichen – Bestimmung des § 84 Abs 2 erster Satz StPO können Rechtsmittel, Rechtsbehelfe und alle sonstigen Eingaben schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) eingebracht werden. Die Eingabe per E-Mail stellt hingegen nach § 6 ERV 2021 nur dann eine zulässige Form der elektronischen Übermittlung im Sinne dieser Verordnung dar, wenn dieser Übermittlungsweg durch besondere gesetzliche Regelungen oder im Verordnungsweg ausdrücklich angeordnet wird, was in Ansehung der Einbringung einer Berufung weder nach dem DSt noch nach der StPO der Fall ist (vgl [zu § 5 Abs 1a ERV 2006] RIS‑Justiz RS0127859; Murschetz, WK‑StPO § 84 Rz 12; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 84 Rz 6).

[9] Demzufolge entspricht eine – nach dem Vorgesagten wie hier – (bloß) per E‑Mail an den Disziplinarrat übermittelte Berufung nicht dem Formerfordernis des § 48 Abs 1 DSt und ist damit unzulässig (erneut RIS‑Justiz RS0127859 [T2]; Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 48 Rz 1).

[10] Mit seinem weiteren Vorbringen in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur (ON 7 und 9 im Ds‑Akt), wonach sich auf der Homepage der Rechtsanwaltskammer * kein Hinweis auf Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen dieser (Verwaltungs-)Behörde und den Beteiligten im Sinn des § 13 AVG finde und „die Rechtsanwaltskammer (der Disziplinarrat)“ eine Mängelbehebung nach § 13 Abs 3 AVG veranlassen hätte müssen, „wenn die Übermittlung der Berufung per E‑Mail nicht gesetzmäßig gewesen wäre/sein sollte“, übersieht der Beschuldigte die in § 77 Abs 3 DSt normierte – oben bereits angesprochene – subsidiäre Anwendbarkeit der StPO (nicht des AVG) im gesamten Disziplinarverfahren (also auch in erster Instanz; vgl dazu auch 19 Ob 2/21i Rz 19).

[11] Gleiches gilt für die auf § 61 AVG gestützte Kritik am Unterbleiben einer (schriftlichen) Rechtsmittelbelehrung im Erkenntnis (vgl im Übrigen zur [bloß] mündlich zu erteilenden Belehrung über die dem Angeklagten zustehenden Rechtsmittel gegen Urteile § 268 letzter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0132695; zur Irrelevanz des Unterbleibens einer solchen Belehrung für den Ablauf der Rechtsmittelfrist Ratz, WK‑StPO § 284 Rz 9 sowie Danek/Mann, WK‑StPO § 268 Rz 15).

[12] Die Berufung war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 50 Abs 1 DSt iVm § 54 Abs 1 DSt zurückzuweisen.

[13] Bleibt anzumerken, dass es dem Beschuldigten, der – nach eigenen Angaben – zumindest Zweifel am Erfolg seiner Einbringungsversuche per webERV hegte, bei Unmöglichkeit (auch) einer fristgerechten Einbringung der Berufung per Post oder Telefax (vgl auch § 84 Abs 2 zweiter Satz StPO) freigestanden wäre, binnen 14 Tagen ab dem Aufhören des – die Fristversäumung bewirkenden – Hindernisses einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist einzubringen und die versäumte Prozesshandlung unter einem in zulässiger Form nachzuholen (§ 364 StPO iVm § 77 Abs 2 DSt).

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