OGH 1Ob109/23w

OGH1Ob109/23w20.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Marcus Januschke, MBA, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen zuletzt 43.862,64 EUR und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. April 2023, GZ 14 R 12/23x‑62, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Dezember 2022, GZ 30 Cg 1/20t‑56, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00109.23W.0920.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich der Abweisung eines Zahlungsbegehrens von 31.274 EUR sA sowie der Abweisung des Feststellungsbegehrens unter Vorbehalt der Kostenentscheidung als Teilurteil bestätigt.

Im Übrigen, also im Umfang des restlichen Zahlungsbegehrens von 12.588,64 EUR sA und im Kostenpunkt, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden insoweit weitere Verfahrenskosten.

 

EntscheidungsgründeundBegründung

 

[1] Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Suchtgifthandels. 2016 ordnete sie seine Observation sowie eine Überwachung seiner Nachrichten an. Es bestand auch der Verdacht, dass der „Geschäftspartner“ des Klägers (dessen „Komplize“) am Suchgifthandel beteiligt sei, weshalb auch zu diesem ein Ermittlungsverfahren geführt wurde.

[2] Im Juni 2017 wurden verdeckte Ermittlungen durch eine Vertrauensperson angeordnet, die aber nur zum Komplizen des Klägers und nicht auch zu diesem selbst zielführend waren, sodass sie hinsichtlich des Klägers „zunächst“ widerrufen wurden. Am 22. 9. 2017 wurde neuerlich eine verdeckte Ermittlung zum Kläger durch eine Vertrauensperson angeordnet. Obwohl zuvor (insbesondere im August 2017) kein Ermittlungsauftrag zum Kläger bestand, sammelte die Vertrauensperson im Zuge ihrer – zu seinem Komplizen geführten – Ermittlungen auch zum Kläger bestimmte Informationen.

[3] Bei ihrer Einvernahme vor der Kriminalpolizei sagte die Vertrauensperson unter anderem aus, dass sie – im Zuge ihrer Ermittlung zum Komplizen des Klägers – auch mit dem Kläger selbst über den Ankauf von bis zu 10 Kilogramm Kokain gesprochen habe. Sein Komplize habe ihr mitgeteilt, dass der Kläger (als sein „Geschäftspartner“) über das Drogengeschäft Bescheid wisse und die Vertrauensperson auch mit ihm verhandeln könne. In der Folge habe sie auch persönlichen Kontakt mit dem Kläger gehabt und mit ihm im August 2017 den Kauf von „10 Kilogramm um 40 pro Kilo“ vereinbart. Zwar habe sich der Kläger dabei nicht auf Kokain sondern auf „Vodka“ bezogen. Er habe in diesem Zusammenhang aber angemerkt, von der Polizei observiert zu werden. Bei weiteren Treffen mit dem Kläger und seinem Komplizen sei über den Ankauf von bis zu 10 Kilogramm Kokain um 400.000 EUR gesprochen worden.

[4] Am 20. 1. 2018 bewilligte das Landesgericht die staatsanwaltschaftliche Anordnung der Festnahme des Klägers. Grundlage dafür war die genannte Aussage der Vertrauensperson. Der Kläger wurde am 20. 4. 2018 festgenommen. Am 23. 4. 2018 wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Mit Beschluss vom 7. 5. 2018 wurde diese verlängert. Am 17. 5. 2018 wurde die Untersuchungshaft aufgrund eines Antrags des Klägers aufgehoben. Am 8. 8. 2018 wurde er mangels Schuldbeweises gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

[5] Die Verhängung der Untersuchungshaft löste beim Kläger eine ängstlich‑depressive Anpassungsstörung aus. Dadurch erlitt er (komprimiert auf den 24‑Stunden‑Tag) sechs Tage leichte Schmerzen.

[6] Der Kläger macht Ansprüche nach dem StEG sowie dem AHG geltend. Letztere leitet er unter anderem – soweit für das Revisionsverfahren maßgeblich – daraus ab, dass das Strafverfahren aufgrund der schuldhaft (bewusst) wahrheitswidrigen Aussage der Vertrauensperson zum angeblich beabsichtigten Verkauf einer größeren Menge Suchtgifts im August 2017 gegen ihn fortgesetzt und deshalb die Untersuchungshaft über ihn verhängt worden sei. Die Beklagte hafte für die hoheitliche Tätigkeit der Vertrauensperson als ihrem Organ nach § 1 Abs 2 AHG.

[7] Aufgrund seiner Verhaftung habe der Kläger – ein Profisportler (Kickboxer) – an zwei Wettkämpfen nicht teilnehmen können. Dadurch sei ihm eine fixe Gage von 9.000 EUR sowie – für den ersten Kampf – eine Siegesprämie in Höhe von 2.000 EUR entgangen. Außerdem seien seine Aufwendungen von 7.554 EUR für die Wettkampfvorbereitung (Flug nach Thailand sowie dortiges Training) frustriert worden. Für die durch die Haft erlittenen psychischen Beeinträchtigungen – aus denen der Kläger auch sein Feststellungsbegehren ableitete – stehe ihm ein Schmerzengeld von 22.440 EUR zu. Außerdem seien ihm die Kosten seiner Strafverteidigung von 17.450,64 EUR zu ersetzen.

[8] Da ihm die Beklagte insgesamt 14.582 EUR (560 EUR Schmerzengeld, 9.000 EUR Verdienstentgang sowie 5.022 EUR an Verteidigerkosten) ersetzt habe, verbleibe ein weiterer Ersatzanspruch von 43.862,64 EUR.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[10] Durch den Ersatz der Gage für die Wettkämpfe sei der Kläger so gestellt worden, als hätte er an diesen teilgenommen. Seine Aufwendungen für die Wettkampfvorbereitung seien daher nicht frustriert worden. Dass er den ersten Kampf gewonnen und daher die Siegesprämie erhalten hätte, habe nicht festgestellt werden können.

[11] Da der Kläger durch die Untersuchungshaft psychische Beeinträchtigungen mit bloß geringem Krankheitswert erlitten habe, stünden ihm nach dem StEG nur 20 EUR pro Hafttag zu. Seine diesbezüglichen Ansprüche habe ihm die Beklagte bereits ersetzt. Spät‑ und Dauerfolgen seien auszuschließen.

[12] Auch die durch die Haft verursachten Kosten des Strafverfahrens habe der Kläger von der Beklagten bereits ersetzt bekommen. Vor und nach der Haft angefallene Kosten seien durch diese nicht verursacht worden. Auch während der Haft angefallene, durch diese aber (sonst) nicht verursachte Kosten seien von der Beklagten nach dem StEG nicht zu ersetzen.

[13] Auf ein behauptetes Fehlverhalten der Vertrauensperson könne der Kläger seinen Amtshaftungsanspruch nicht stützen, weil diese nicht hoheitlich und somit nicht als Organ der Beklagten gehandelt habe. Eine im Auftrag der Kriminalpolizei mit verdeckten Ermittlungen beauftragte Vertrauensperson wäre der Ermittlungsbehörde nur dann zuzurechnen, wenn ihr ein konkreter Ermittlungsauftrag erteilt worden wäre. Zum „in Frage kommenden Zeitpunkt“ (ersichtlich gemeint: August 2017) sei die Vertrauensperson – aus deren Aussage der Kläger eine Amtshaftung ableitet – aber mit keinen verdeckten Ermittlungen zum Kläger beauftragt gewesen. Sie habe vielmehr bloß zu seinem Komplizen einen solchen Ermittlungsauftrag gehabt. Die Informationen zum Kläger habe sie daher (im August 2017) „aus eigenem“ gesammelt und an die Behörde weitergegeben und insoweit nicht als deren Organ gehandelt.

[14] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision zu.

[15] Nicht jeder, der zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben beitrage, sei ein Organ des Rechtsträgers. Die Bestellung einer Privatperson könne nur dann als Beleihung mit einer hoheitlichen Funktion angesehen werden, wenn damit der Auftrag verbunden sei, selbst hoheitliche Handlungen zu setzen bzw solche mitzuvollziehen. Dafür sei erforderlich, dass sie auftragsgemäß an Handlungen mitwirke, die in einem hinreichenden inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe des Rechtsträgers stünden.

[16] Strafrechtliche Ermittlungen erfolgten in Vollziehung der Gesetze und somit hoheitlich. Dies gelte auch für Privatpersonen, die von der Kriminalpolizei mit verdeckten Ermittlungen beauftragt würden, weil diese nur aufgrund eines konkreten behördlichen Auftrags tätig werden dürften. Der Auftrag müsse auf die Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gerichtet sein. Fehle es an einem solchen Auftrag, bestehe kein hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang mit hoheitlichen Ermittlungen. Der Privatperson komme dann keine Organstellung im Sinn des AHG zu.

[17] Bei einer von der Kriminalpolizei eingesetzten Vertrauensperson handle es sich um eine Privatperson, die neben kriminalpolizeilichen Organen verdeckte Ermittlungen vornehme. Ihr komme keine generelle Organstellung zu, vielmehr handle sie nur im Rahmen eines konkreten kriminalpolizeilichen Ermittlungsauftrags hoheitlich. Dass ein solcher Auftrag in einem gegen eine bestimmte Person geführten Ermittlungsverfahren erteilt worden sei, begründe keinen hinreichenden (inneren) Zusammenhang mit „eigenmächtigen Ermittlungen“ gegenüber einer anderen Person. Für eine von einem konkreten Ermittlungsauftrag nicht gedeckte „schlichte Auskunftserteilung“ bestehe daher keine Amtshaftung.

[18] Im vorliegenden Fall habe die Vertrauensperson (im August 2017, als sie angeblich mit dem Kläger über den Verkauf von Suchtgift gesprochen habe) keinen Auftrag gehabt, gegenüber diesem zu ermitteln. Vielmehr sei sie dem Kläger gegenüber „aus eigenem“ tätig geworden. Insoweit habe sie daher nicht hoheitlich gehandelt. Daran ändere es nichts, dass die Vertrauensperson mit verdeckten Ermittlungen zum Komplizen des Klägers beauftragt gewesen sei.

[19] Unabhängig von der fehlenden Organstellung der Vertrauensperson bei ihrer Ermittlung gegenüber dem Kläger sei dessen Schmerzengeldbegehren im Umfang von 21.720 EUR aber schon deshalb nicht berechtigt, weil die festgestellten – durch seine psychische Beeinträchtigung aufgrund der Haft verursachten – Schmerzen nur einen Ersatz in Höhe von 720 EUR rechtfertigen würden.

[20] Die Revision sei zulässig, weil zur Organstellung von Vertrauenspersonen keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Rechtliche Beurteilung

[21] Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und mit ihrem hilfsweisen Aufhebungsantrag teilweise berechtigt:

[22] 1. Der Kläger stützt seine Ansprüche in dritter Instanz nur mehr auf eine Amtshaftung der Beklagten und nicht mehr auf das StEG. Seinen Amtshaftungsanspruch leitet er nur mehr daraus ab, dass das Strafverfahren gegen ihn aufgrund der (bewusst) unrichtigen Aussage der Vertrauensperson zum (angeblich) beabsichtigten Suchtgiftgeschäft fortgesetzt und er aus diesem Grund inhaftiert worden sei. Die Beklagte müsse sich das Verhalten der Vertrauensperson zurechnen lassen. Auf ein in erster Instanz behauptetes schuldhaftes Verhalten „sonstiger“ Ermittlungsorgane, insbesondere deren Sorglosigkeit bei der Auswahl der Vertrauensperson, kam der Kläger schon in zweiter Instanz nicht mehr zurück.

2. Grundsätzliches zur Organstellung:

[23] 2.1. Für die Organstellung nach § 1 Abs 2 AHG kommt es darauf an, ob eine Person hoheitliche Aufgaben zu besorgen hat. Sie ist dann Organ, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt, gewählt, ernannt oder sonst wie herangezogen wurde und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist (RS0087679). Für die Begründung der Organstellung kommt es auch nicht auf den zugewiesenen Verantwortungsgrad, eine Entscheidungs- oder Leitungsbefugnis oder einen hierarchischen Rang an, den eine Person in der Organisation des Rechtsträgers oder bei Besorgung einer hoheitlichen Aufgabe einnimmt. Vielmehr hängt das Vorliegen einer Organeigenschaft nur davon ab, ob hoheitlich gehandelt wurde (RS0087675).

[24] 2.2. Eine Privatperson handelt auch dann als Organ, wenn sie keine Hoheitsakte zu setzen hat, sondern ihre Tätigkeit nur in der unterstützenden Mitwirkung bei der Besorgung hoheitlicher Aufgaben und Zielsetzungen besteht und sie in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden wird, um andere Organe bei ihren hoheitlichen Aufgaben zu unterstützen (RS0104351). Sie muss aber mit einer solchen Tätigkeit beauftragt worden sein (RS0049954). Nicht jeder, der irgendwie zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben beiträgt, ist Organ im Sinn des § 1 Abs 2 AHG, sondern nur wem ein entsprechender Auftrag zur Mitwirkung am hoheitlichen Vollzug erteilt wurde (1 Ob 103/99z; 1 Ob 190/08k; 1 Ob 79/14w ua). Eine Privatperson muss zur Erfüllung hoheitlicher Fragen „herangezogen“ worden sein (RS0087679).

3. Zur Ermittlung durch Vertrauenspersonen:

[25] 3.1. Gemäß § 2 Abs 1 StPO haben die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Anfangsverdacht einer Straftat, die nicht bloß auf Verlangen einer dazu berechtigten Person zu verfolgen ist, in einem Ermittlungsverfahren von Amts wegen aufzuklären. Strafrechtliche Ermittlungen sind nach § 91 Abs 2 StPO Tätigkeiten der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dienen. Sie sind zweifellos dem Hoheitsbereich zuzuordnen, was sich schon aus den in § 93 StPO eingeräumten Zwangsrechten ergibt. Als „verdeckte Ermittlung“ definiert § 129 Z 2 StPO den Einsatz kriminalpolizeilicher Organe oder anderer Personen im Auftrag der Kriminalpolizei, die ihre amtliche Stellung oder ihren Auftrag weder offen legen noch erkennen lassen. Dass auch verdeckte Ermittlungen hoheitlich erfolgen, wurde von den Parteien sowie den Vorinstanzen zutreffend nicht in Zweifel gezogen.

[26] 3.2. Mit den in § 129 Z 2 StPO angesprochenen „anderen Personen, die im Auftrag der Kriminalpolizei verdeckt ermitteln“, sind vor allem sogenannte Vertrauenspersonen gemeint (ErlBemRV 25 BlgNR 22. GP 180 f; ErlBemRV 763 BlgNR 25. GP 13 f zu § 54 SPG). Bei diesen handelt es sich gemäß § 54b SPG um in der beim Bundesminister für Inneres geführten Vertrauenspersonenevidenz offiziell registrierte Personen, die „für die Sicherheitsbehörden Informationen [...] weitergeben“. Davon sind bloße „Informanten“ zu unterscheiden, die der Polizei zwar ebenfalls Informationen übermitteln, aber in kein Register eingetragen sind (Zerbes in Fuchs/Ratz, WK‑StPO Vor §§ 129–133 Rz 4; vgl auch Schwaighofer, Die verdeckte Ermittlung und das Scheingeschäft [2016] 63 f; Tomasits, Staatliche Tatprovokation im österreichischen Strafrecht [2017] 8 f).

[27] 3.3. Dass § 133 Abs 3 Satz 1 StPO verdeckte Ermittlungen durch die Kriminalpolizei vorsieht, bedeutet nicht, dass dabei nur kriminalpolizeiliche Organe tätig werden dürften. Vielmehr können nach § 129 Z 2 StPO (anders als etwa bei Observationen nach Z 1 leg cit; vgl Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens [2017] Rz 7.362) eben auch „andere Personen“ im Auftrag der Kriminalpolizei herangezogen werden. Diese unterliegen nach § 131 Abs 3 StPO – ebenso wie verdeckt ermittelnde Kriminalpolizisten – der Führung und Überwachung durch die Behörde.

[28] 3.4. Gemäß § 129 Z 2 StPO (ebenso wie nach § 54 Abs 3 SPG) muss die verdeckte Ermittlung durch eine „andere Person“ (Vertrauensperson) auf einem behördlichen Auftrag beruhen. Erst damit wird sie von der Ermittlungsbehörde zur Mitwirkung an hoheitlichen Handlungen herangezogen. Durch den Ermittlungsauftrag erfolgt die Einbindung in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, um die kriminalbehördlichen Organe bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. Insoweit ist die Vertrauensperson daher selbst Organ im Sinn des § 1 Abs 2 AHG. Die Gesetzesmaterialien (ErlBemRV 763 BlgNR 25. GP 13; ErläutAB 988 BlgNR 25. GP 14) sprechen zwar ganz allgemein von der „Einbindung privater Personen als Hilfsorgane des Staates, dessen Behörden das von der Privatperson gesetzte Verhalten zugerechnet wird“. Die Vertrauensperson ist aber nicht schon kraft ihrer „Stellung“ (insbesondere nicht bereits aufgrund ihrer Eintragung in die Vertrauenspersonenliste) ein Organ des Rechtsträgers, sondern sie wird dazu erst durch ihre Beauftragung mit einer konkreten verdeckten Ermittlung.

[29] 3.5. Dies entspricht auch der herrschenden Ansicht in der rechtswissenschaftlichen Literatur:

[30] Zerbes (in Fuchs/Ratz, WK‑StPO Vor §§ 129–133 Rz 11; § 129 StPO Rz 27) geht davon aus, dass Vertrauenspersonen, soweit sie tatsächlich einen konkreten Auftrag der Kriminalpolizei ausführen, im Namen der Gebietskörperschaft handeln und in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte wahrnehmen.

[31] Nach Madl (in Kert / Kodek , Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht² [2022] Rz 22.14 ff) ist das Handeln von Privatpersonen, an die Ermittlungstätigkeiten „ausgelagert“ werden, den Strafverfolgungsbehörden funktionell zuzurechnen. Beauftrage eine Ermittlungsbehörde eine private Person mit der Vornahme einer Ermittlungshandlung, sei ihr Handeln so zu werten, als ob die Behörde die Handlung selbst vorgenommen hätte. Die Privatperson werde zum verlängerten Arm der Strafverfolgungsbehörde. Abseits einer ausdrücklichen Beauftragung erscheine die Abgrenzung zwischen privatem und staatlichem Handeln hingegen „nicht mehr ganz so eindeutig“.

[32] Nimmervoll (Das Strafverfahren² [2017] 259 Rz 266) vertritt, dass Vertrauenspersonen in Ausübung ihres Auftrags funktional Beamte im Sinn des § 74 Abs 1 Z 4 StGB seien; ebenso Tomasits (Staatliche Tatprovokation im österreichischen Strafrecht [2017] 8 f). Beamter ist nach dieser Bestimmung, wer dazu bestellt wurde, im Namen eines Rechtsträgers als dessen Organ Rechtshandlungen vorzunehmen, oder wer sonst mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung betraut ist.

[33] Nach Wiederin (Privatsphäre und Überwachungsstaat [2003] 132 f; dort unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR) sind dem Staat auch Überwachungsmaßnahmen Privater in ihrer Eigenschaft als Vertrauensleute zuzurechnen, sofern staatliche Organe die Aktion „initiiert“ (und die betreffende Person „mit Geräten unterstützt“) haben.

[34] Hauer / Keplinger (SPG 4 [2011] § 54 Anm 4) nehmen zwar keine Verantwortung des Staats für eine „schlichte“ Auskunftserteilung durch eine Vertrauensperson an. Bediene sich die Sicherheitsbehörde einer solchen aber durch Aufträge („gleich einem menschlichen Ermittlungswerkzeug“), sei ihr auftragsgemäßes Verhalten dem Staat nach Art 23 B‑VG zuzurechnen.

[35] Eine abweichende Ansicht vertritt nur Ch. Funk (Sicherheitspolizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, JRP 1996, 26 [32]). Nach diesem Autor handelt es sich bei Vertrauensleuten „aus rechtlicher Sicht um Personen, die keine Organe der Sicherheitsbehörden sind“. Sie stünden außerhalb der Wahrnehmung staatlicher Funktionen, auch wenn sie über „Bestellung“ der Polizei Informationen lieferten. Diese Ansicht beruht jedoch auf der Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz 2004, wodurch die verdeckte Ermittlung (auch durch Privatpersonen) eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfuhr ( Zerbes in Fuchs / Ratz , WK‑StPO Vor §§ 129–133 Rz 1).

[36] 4. Die Ermittlungen der Vertrauensperson zum Kläger im August 2017 standen in einem hinreichend engen Zusammenhang mit ihrem hoheitlichen Auftrag:

[37] 4.1. Zwar führt der Umstand, dass jemand in Vollziehung der Gesetze tätig ist, noch nicht dazu, dass sein gesamtes Verhalten dem Hoheitsbereich zuzuordnen wäre. Vielmehr ist dieses jeweils auf seinen Zusammenhang mit der hoheitlichen Funktion zu prüfen (1 Ob 201/16i). Demnach begründet nicht jede Tätigkeit, die eine „denklogische“ Voraussetzung für die (spätere) Verrichtung einer hoheitlichen Aufgabe ist, per se eine Organstellung (1 Ob 203/15g). Ist eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sind aber auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RS0049948; RS0049897). Der Tätigkeitsbereich, der die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben zum Gegenstand hat, ist nämlich einheitlich als hoheitlich anzusehen, auch wenn einzelne Teile dieser Aufgaben so erfüllt werden, wie sie für sich genommen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von jedermann vorgenommen werden könnten (RS0049948 [T3, auch T8]). Davon sind (nur) Handlungen und Unterlassungen abzugrenzen, die vom Organ bloß anlässlich bzw bei Gelegenheit (und daher außerhalb) seines Tätigkeitsbereichs begangen werden (RS0049948 [T11]).

[38] 4.2. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen wurde im Juni 2017 eine verdeckte Ermittlung zum Kläger sowie zu seinem Komplizen angeordnet und zu letzterem weitergeführt. Dies kann nur dahin verstanden werden, dass die Vertrauensperson im August 2017 weiterhin mit verdeckten Ermittlungen zum Komplizen des Klägers beauftragt war. Davon geht auch die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung aus.

[39] 4.3. Dass die Vertrauensperson bei ihren verdeckten Ermittlungen zum Komplizen des Klägers auch Informationen zu diesem selbst als dessen „Geschäftspartner“ erlangte und an die Strafverfolgungsbehörde weitergab, stand damit in einem engen inneren und nicht bloß äußerlichen örtlichen oder zeitlichen (1 Ob 123/20z) Zusammenhang. Nach der festgestellten Aussage der Vertrauensperson vor der Kriminalpolizei erfolgte der Hinweis darauf, dass (angeblich) auch der Kläger in Drogengeschäfte involviert sei, durch seinen Komplizen, der auch den persönlichen Kontakt zum Kläger herstellte. Damit sind die zu diesem gewonnenen Informationen aber das Ergebnis der auftragsgemäßen Ermittlung der Vertrauensperson zu seinem Komplizen und kein bloßer Zufallsfund anlässlich („bei Gelegenheit“) dieser hoheitlichen Tätigkeit. Die Informationsgewinnung zum Kläger wäre im Übrigen auch dann hoheitlich erfolgt, wenn die Vertrauensperson damit ihren Ermittlungsauftrag zu seinem Komplizen formal überschritten hätte (vgl RS0049948 [insb T21]; RS0049897 [T2, T3]). Die Unterscheidung der Vorinstanzen danach, ob der Ermittlungsauftrag auch den Kläger oder nur seinen Komplizen betraf, liefe auf einen wenig sachgerechten Formalismus hinaus, der das für die Abgrenzung der hoheitlichen von einer rein privaten Tätigkeit maßgebliche Kriterium des ausreichend engen (vor allem) inneren und äußeren Zusammenhangs ausblendete.

[40] 5. Auch die Aussage der Vertrauensperson über ihre Ermittlungsergebnisse ist dem Hoheitsbereich zuzuordnen:

[41] 5.1. Der Kläger leitet seinen Amtshaftungsanspruch daraus ab, dass die Vertrauensperson in dem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren (schuldhaft) falsch über ihre verdeckten Ermittlungen ausgesagt habe. Für eine Haftung der Beklagten muss daher auch diese Aussage – zumindest unterstützend (1 Ob 201/16i: vorbereitend oder abschließend) – der Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe zugeordnet werden.

[42] 5.2. Die bloße „Heranziehung als Beweismittel“ wird zwar im Allgemeinen nicht als Mitwirkung an einer hoheitlichen Aufgabe im Sinn des AHG angesehen (1 Ob 679/86; zur Mitwirkung von Sachverständigen an der Entscheidungsfindung etwa 1 Ob 79/14w mwN; vgl auch Schragel, AHG3 [2003] Rz 45). Die Aussage einer von der Kriminalpolizei mit verdeckten Ermittlungen beauftragten Vertrauensperson vor dieser Behörde über die von ihr gewonnenen Ermittlungsergebnisse steht mit ihrer hoheitlichen Aufgabe aber schon deshalb in einem engen inneren und äußeren Zusammenhang, weil erst diese Aussage die Verwertung der Ermittlungsergebnisse im Strafprozess ermöglicht. Die Aussage der Vertrauensperson über die bei ihrer Ermittlung gewonnenen Informationen ist mit dieser Ermittlung also sachlich eng verknüpft. Sie schließt die hoheitliche Ermittlungstätigkeit ab und gehört daher noch zur Erfüllung des behördlichen Auftrags.

[43] 6. Als Zwischenergebnis ergibt sich somit, dass die Vorinstanzen ein hoheitliches Handeln der Vertrauensperson bei ihren Ermittlungen zum Kläger zu Unrecht verneinten. Aufgrund dieser unrichtigen Rechtsansicht unterblieben erforderliche Feststellungen zu den weiteren Haftungsvoraussetzungen, insbesondere zur (verschuldeten) Unrichtigkeit der Aussage der Vertrauensperson als behauptetem Organfehlverhalten.

[44] 7. Die aufgrund dieses Feststellungsmangels erforderliche Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen hat aber auf jene Ansprüche beschränkt zu bleiben, zu denen die Klage nicht vom Erstgericht mit einer unbekämpft gebliebenen (Alternativ‑)Begründung abgewiesen oder die Klageabweisung vom Berufungsgericht (zu bestimmten Teilansprüchen) mit einer unbekämpft gebliebenen Begründung bestätigt wurde:

[45] 7.1. Einen Ersatz frustrierter Aufwendungen (7.554 EUR) für die Vorbereitung des Klägers auf zwei Wettkämpfe verneinte das Erstgericht schon deshalb, weil er durch den Ersatz der entgangenen Gage ohnehin so gestellt worden sei, als hätte er an diesen Wettkämpfen teilgenommen. Der Zweck der Vorbereitung sei daher nicht vereitelt worden. Ein Ersatz der Siegesprämie (2.000 EUR) stehe dem Kläger nicht zu, weil nicht feststehe, ob er den (ersten) Wettkampf gewonnen hätte (der Beweisrüge des Klägers folgte das Berufungsgericht nicht).

[46] Diese Begründung trägt die Abweisung des auf Zahlung von 9.554 EUR gerichteten Klagebegehrens unabhängig davon, ob der Anspruch insoweit auf das StEG oder das AHG gestützt wurde. Da der Kläger der dargelegten Begründung des Erstgerichts bereits in zweiter Instanz nicht entgegentrat, blieb die Abweisung seines Zahlungsbegehrens insoweit rechtlich unbekämpft (RS0043573 [insb T2, T31, T33, T43]).

[47] 7.2. Für psychische Beeinträchtigungen aufgrund der Haft ersetzte die Beklagte dem Kläger nach dem StEG 560 EUR. Auf diese Rechtsgrundlage berief er sich im Rechtsmittelverfahren nicht mehr. Er begehrt aber nach wie vor ein auf Amtshaftung gestütztes Schmerzengeld von 21.880 EUR.

[48] Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die durch die Haft verursachte psychische Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers aufgrund der von ihm erlittenen Schmerzen nur einen Ersatz von 720 EUR rechtfertigte. Davon habe er bereits 560 EUR erhalten. Sein Schmerzengeldbegehren von 21.880 EUR bestehe daher mit einem Teilbetrag von 21.720 EUR schon aus diesem Grund – unabhängig von der Organstellung der Vertrauensperson – nicht zu Recht. Dem tritt der Kläger in seiner Revision nicht entgegen. Die Richtigkeit der Beurteilung dieser selbständigen Rechtsfrage ist daher vom Obersten Gerichtshof nicht zu prüfen (RS0043338 [insb T6]; 1 Ob 225/22b ua). Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit im Umfang der Abweisung eines Schmerzengeldbegehrens von 21.720 EUR zu bestätigen. Lediglich hinsichtlich eines solchen Begehrens in Höhe von 160 EUR sind diese aufzuheben, weil die Vorinstanzen diesen Teilanspruch zu Unrecht mangels Organstellung der Vertrauensperson abwiesen und daher Feststellungen zu den weiteren Haftungsvoraussetzungen unterblieben.

[49] 7.3. Die Beklagte ersetzte dem Kläger die durch die Haft verursachten Kosten seiner Strafverteidigung (5.022 EUR). Der Kläger berücksichtigte dies in seinem eingeschränkten Begehren. Für die darüber hinausgehenden Kosten von 12.428,64 EUR erkannte ihm das Erstgericht keinen Ersatz zu, weil die Haft für diese nicht kausal gewesen sei. Dies schließt aber nur einen auf das StEG gestützten Anspruch wegen der Inhaftierung aus. Der Amtshaftungsanspruch wurde aber auch auf die Fortsetzung des Strafverfahrens (wegen der behaupteten unrichtigen Aussage der Vertrauensperson im Ermittlungsverfahren) gestützt und ein Ersatz der dadurch verursachten Kosten der Strafverteidigung begehrt. Hinsichtlich der Kosten von 12.428,64 EUR, die nach dem Klagevorbringen nicht durch die Inhaftierung, sondern durch die Fortsetzung des Strafverfahrens verursacht wurden, werden die Vorentscheidungen daher ebenfalls aufgehoben.

[50] 7.4. Dass die Vorinstanzen das Feststellungsbegehren abwiesen, weil keine Spät- oder Dauerfolgen festgestellt werden konnten, blieb vom Kläger unbekämpft.

[51] 8.  Zusammengefasst sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang der Abweisung eines Zahlungsbegehrens von 31.274 EUR (frustrierte Aufwendungen von 7.554 EUR; Siegesprämie von 2.000 EUR; Schmerzengeld von 21.720 EUR) sowie des Feststellungsbegehrens zu bestätigen. Hinsichtlich eines Zahlungsbegehrens von 12.588,64 EUR (restliches Schmerzengeld von 160 EUR; restliche Kosten der Strafverteidigung von 12.428,64 EUR) werden sie hingegen zur weiteren Verfahrensergänzung durch die erste Instanz aufgehoben.

[52] 9. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Eine von der Kriminalpolizei mit verdeckten Ermittlungen beauftragte Vertrauensperson handelt bei ihren Ermittlungen sowie bei ihrer darauf bezogenen Aussage vor der Kriminalpolizei hoheitlich, wenn dies in einem ausreichend engen inneren Zusammenhang mit dem Ermittlungsauftrag steht.

 

[53] 10. Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO und in Bezug auf den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

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