OGH 4Ob82/23x

OGH4Ob82/23x12.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, und ihrer Nebenintervenientin V* GmbH & Co OG, *, vertreten durch Mag. Joachim Matt, Rechtsanwalt in Lochau, gegen die beklagte Partei B * OG, *, vertreten durch Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen Feststellung (Streitwert 500.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. März 2023, GZ 1 R 214/22p‑87, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00082.23X.0912.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin verkaufte der Beklagten eine Liegenschaft um den Kaufpreis von 500.000 EUR. In der Folge schrieb die Beklagte der Klägerin, dass die Voraussetzungen für die Anfechtung und Rückabwicklung des Kaufvertrags und für die Geltendmachung damit verbundener Schadenersatzansprüche gegeben seien. Dem Schreiben war ein Klagsentwurf beigeschlossen, demgemäß der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag aufgehoben und die Klägerin verpflichtet werden sollte, der Beklagten 500.000 EUR zu bezahlen.

[2] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage (im zweiten Rechtsgang modifiziert) die Feststellung, dass im Rechtsverhältnis zu ihr der Beklagten kein Recht zustehe, die Aufhebung des Kaufvertrags zu begehren, insbesondere aus dem Rechtsgrund der Wandlung (Gewährleistungsrecht), der Naturalrestitution aus dem Bereich des Schadenersatzrechts, der Geltendmachung eines wesentlichen Geschäftsirrtums, laesio enormis und Arglist, sowie dass der Beklagten kein Rechtsanspruch auf Rückforderung von 500.000 EUR zustehe.

[3] In einem Parallelprozess fordert die hier Beklagte von der Klägerin 100.000 EUR an Preisminderung. Im hier anhängigen Feststellungsprozess brachte sie letztlich vor, ausdrücklich und unwiderruflich auf eine Aufhebung und Rückabwicklung des Kaufvertrags aus jedwedem Vertragsaufhebungs‑ und Rechtsgrund für sich und ihre Rechtsnachfolger zu verzichten. Trotz dieses Umstands sowie eines Vergleichsanbots der Beklagten (allerdings ohne Kostentragung) führte die Klägerin das Verfahren fort.

[4] Das Berufungsgericht wies die Klage wegen fehlenden Feststellungsinteresses ab. Durch die von der Beklagten abgegebenen Erklärungen bestehe kein aktueller Anlass mehr, die zuvor strittige Frage, ob der Beklagten ein Recht zustehe, die Aufhebung des Kaufvertrags aus welchem Grund auch immer zu begehren, im Wege eines Feststellungsurteils abschließend zu klären. Diese Frage sei durch den unwiderruflich erklärten Verzicht nicht mehr aktuell. Der begehrten Feststellung fehle jegliche „rechtlich‑praktische Bedeutung“. An dieser Beurteilung vermöge es auch nichts zu ändern, dass die Parteien keine Einigung über die Kostenfrage erzielt hätten. Für die Klägerin wäre es nach Vorliegen der umfassenden Verzichtserklärung möglich (und zur Vermeidung von kostenrechtlichen Nachteilen geboten) gewesen, eine Klagseinschränkung auf Kosten vorzunehmen.

[5] Die Klägerin macht in ihrer außerordentlichen Revision im Wesentlichen geltend, die Verzichtserklärung der Beklagten habe keine Bindungswirkung. Überdies sei die Klägerin – in sinngemäßer Anwendung der Rechtsprechung zur Wiederholungsgefahr im Zusammenhang mit Unterlassungsbegehren nach dem UWG – nicht gehalten gewesen, den angebotenen Vergleich anzunehmen, da keine Kostenzahlung angeboten worden sei.

[6] Damit zeigt die Klägerin jedoch keine erheblichen Rechtsfragen auf. Ihre Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen:

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1. Das zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemachte Rechtsverhältnis muss eine unmittelbare rechtliche Wirkung auf die Rechtsstellung des Klägers ausüben, es muss also geeignet sein, die Beeinträchtigung der Rechtssphäre durch den Gegner zu beenden und einen künftigen weiteren Rechtsstreit zu vermeiden; dieser vorbeugenden Wirkung können Feststellungsklage und Feststellungsurteil nur dann gerecht werden, wenn ein aktueller Anlass zu einer solchen vorbeugenden Klärung überhaupt gegeben ist (RS0039071). Die Feststellung von bloßen „Rechtslagen“ reicht dafür nicht aus (RS0037422 [T8]).

[8] 1.2. Auch die bloße Möglichkeit, dass es in der Zukunft einmal zu einem Streit über das Rechtsverhältnis kommen könnte, schafft noch kein aktuelles Feststellungsinteresse (Frauenberger-Pfeiler in Fasching/ Konecny³ § 228 ZPO Rz 87).

[9] 1.3. Ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung kann regelmäßig nur bejaht werden, wenn eine Verschlechterung der rechtlichen Position des Klägers bei einer Verweisung auf ein erst später mögliches gerichtliches Vorgehen zu befürchten wäre (RS0039215 [T8]).

[10] 1.4. Der Mangel des rechtlichen Interesses bei Feststellungsklagen ist von Amts wegen und auch noch im Rechtsmittelverfahren zu beachten (RS0038939).

[11] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung muss das Feststellungsinteresse noch im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorhanden sein (RS0039204 [T1]; RS0039085). Ob ungeachtet einer vom Beklagten im Lauf des Prozesses zugunsten des Klägers abgegebenen Erklärung der Fortbestand eines rechtlichen Interesses des Letzteren an einer alsbaldigen Feststellung des begehrten Inhalts bejaht werden kann, lässt sich nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falls beurteilen. Rein theoretische Befürchtungen genügen den Erfordernissen des § 228 ZPO im Bezug auf die „rechtlich‑praktische Bedeutung“ der begehrten Feststellung nicht (RS0039224 [T3]).

[12] 2.2. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ausdrücklich auf die Anfechtung des Kaufvertrags aus jedem Rechtsgrund verzichtet und einen entsprechenden gerichtlichen Vergleich angeboten. Damit hat das Berufungsgericht vertretbar das Bestehen eines Feststellungsinteresses der Klägerin iSv § 228 ZPO verneint, zumal kein konkreter, aktueller Anlass für eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung besteht.

[13] 2.3. Auch mit ihrem Verweis auf die Rechtsprechung zum Wegfall der Wiederholungsgefahr bei Unterlassungsansprüchen zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal nach der Rechtsprechung dort die Wiederholungsgefahr nur verneint wird, wenn es geradezu ausgeschlossen wäre, dass die beanstandeten gesetz‑ oder sittenwidrigen Handlungen (weiter) gesetzt werden (vgl RS0119007), während das Feststellungsinteresse nach § 228 ZPO schon dann verneint wird, wenn kein konkreter, aktueller Anlass besteht, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernsten Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (RS0039215).

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