OGH 14Os85/23s

OGH14Os85/23s6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 142 Abs 1, § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Mai 2023, GZ 81 Hv 26/23w‑71.3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00085.23S.0906.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (I./A./), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I./B./), des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 (zu ergänzen [US 16]:) erster Fall StGB (I./C./), des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 und Abs 3 StGB (I./D./), des Verbrechens des schweren Raubes nach § 142 Abs 1, § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (II./A./), des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II./B./ und III./B./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./A./), sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 und § 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (III./C./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit für die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – in W*

I./ am (zu B./ seit) 29. März 2022

A./ * W* fremde bewegliche Sachen, nämlich dessen Tasche samt einem Mobiltelefon im Wert von etwa 150 bis 200 Euro sowie zwei Wohnungsschlüssel, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

B./ durch die zu A./ beschriebene Tat Urkunden, über die er nicht verfügen darf, nämlich den Personalausweis, den Studentenausweis, die Jahreskarte der Wiener Linien und die E‑Card des W*, mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden;

(...)

II./ am 8. Oktober 2022

A./ * T* mit Gewalt gegen dessen Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen und abgenötigt, indem er ihm einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, wodurch dieser einen Nasenbeinbruch erlitt, ihm anschließend eineKette im Wert von etwa 700 Euro vom Hals riss, ihn zur Herausgabe seiner Tasche aufforderte, „ansonsten er ihn abstechen werde“, wobei er seiner Forderung dadurch Nachdruck verlieh, dass er ein Stanleymesser in die Hand nahm und „mit diesem herumfuchtelte“, weshalb ihm der Genannte eine Tasche beinhaltend 2.800 Euro Bargeld aushändigte;

(...)

III./ am 2. Februar 2023

A./ * A* am Körper verletzt, indem er ihm mit der Faust ins Gesicht schlug, wodurch dessen Nase zu bluten begann;

(...)

C./ A* durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Freigabe des Weges zu nötigen versucht, nachdem dieser infolge der zu A./ beschriebenen Tat den Notruf verständigt und sich in Ausübung seines Anhalterechts nach § 80 Abs 2 StPO vor die Türe des Lokals gestellt hatte, um M* sowie * K* bis zum Eintreffen der Polizei am Verlassen des Lokals zu hindern, indem er mit einem Messer in der Hand zu ihm sinngemäß sagte „Lass uns raus, sonst bringe ich dich um“, wobei der Angesprochene der Aufforderung nicht Folge leistete (US 11).

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

[4] Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermissten Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der zum Schuldspruch III./C./ inkriminierten Äußerung befinden sich – bei gebotener Beachtung der Gesamtheit der Urteilsannahmen (RIS‑Justiz RS0099810) – auf US 11 und US 17 f, wonach die Aussage „Lass uns raus, sonst bringe ich dich um“ in Verbindung mit dem Vorhalten eines Messers geeignet war, begründete Besorgnis vor einem Anschlag auf das Leben des Opfers hervorzurufen und dies auch vom Willen des Angeklagten umfasst war, und dieser das Opfer „durch gefährliche Drohung mit dem Tod“ zu einer Handlung zu nötigen versuchte.

[5] Die weitere Rüge zu III./C./ behauptet das Fehlen von Feststellungen zur subjektiven Tatseite, weil in den Entscheidungsgründen (US 11) konstatiert wurde, dass der Angeklagte „bei T* begründete Besorgnis vor einem Anschlag auf sein Leben“ hervorrufen wollte, um ihn zu nötigen, sein Anhalterecht aufzugeben und den Ausgang frei zu machen. Warum aufgrund eines offenkundigen Schreibfehlers (vgl US 4, 10 f; vgl insb US 11 dritter Absatz, wo unmittelbar nach der zuvor zitierten Urteilspassage festgestellt wurde, dass * A* der Aufforderung des Angeklagten nicht Folge leistete), der Schluss zu ziehen sei, dass die subjektive Tatseite nicht festgestellt wurde, bleibt unklar. Dass sowohl in den Feststellungen als auch in der Beweiswürdigung „nur der Name T*“ genannt wurde, trifft im Übrigen nicht zu (siehe US 10 f, 13 f).

[6] Die zu II./A./ erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) reklamiert unter Verweis auf ein Lichtbild und die Angaben des Zeugen T* (ON 71.2, 30) das Fehlen der Feststellung, wonach die Klinge des bei der Drohung eingesetzten Stanleymessers nicht ausgefahren gewesen sei, zumal ein solches Messer in diesem Zustand nicht geeignet sei, „die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen“. Dass ein Stanleymesser trotz eingefahrener Klinge keine „Waffe“ im funktionalen Sinn sein sollte (vgl aber RIS‑Justiz RS0094147, RS0093928 [T9, T20, T49]; 13 Os 86/10m) und die begehrte Feststellung demnach für den Wegfall der Qualifikation des § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB entscheidend sei, leitet sie jedoch nicht argumentativ aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116569).

[7] Die Subsumtionsrüge (Z 10) zu III./C./ stellt die Erfüllung der Qualifikation nach § 106 Abs 1 Z 1 StGB mit dem Argument in Abrede, das Erstgericht habe trotz „eindeutige(r) Beweisergebnisse in diese Richtung“, nämlich die Aussagen der Zeugen A*, * Ke* und * Ka*, die Feststellung unterlassen, dass der Angeklagte nur ein kleines „Zitronenmesser“ in die Hand genommen und die Drohung damit nicht unterstützt habe. Sie vernachlässigt, dass ein Feststellungsmangel nur hinsichtlich eines nicht durch Konstatierungen geklärten (vgl aber US 11, 17 f), durch Ergebnisse des Beweisverfahrens indizierten Sachverhalts geltend gemacht werden kann. Somit erschöpft sie sich in Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StGB) Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0118580 [T25]).

[8] Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang meint, ein kleines „Zitronenmesser“ sei nur geeignet, begründete Besorgnis vor einer Körperverletzung, nicht aber vor einem Anschlag auf das Leben hervorzurufen, nimmt sie nicht an den (oben wiedergegebenen) Feststellungen zur Unterstützung der drohenden Äußerung durch Vorhalten des (nicht näher spezifizierten) Messers (US 11, 17 f) Maß (RIS‑Justiz RS0099810).

[9] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) behauptet zu Unrecht eine Überschreitung der Strafbefugnis infolge rechtsirriger Nichtanwendung des § 31 Abs 1 StGB. § 31 Abs 1 erster Satz StGB setzt nämlich voraus, dass sämtliche der nachträglichen Verurteilung zugrundeliegenden Taten zur Gänze vor dem Vor-Urteil erster Instanz begangen (§ 67 Abs 1 StGB) worden sind (RIS‑Justiz RS0090813 [T15]). Taten, die nach Fällung des früheren Urteils, aber vor dessen Rechtskraft begangen worden sind, können nicht Gegenstand einer nachträglichen Verurteilung im Sinn des § 31 StGB sein, weil ab Fällung des früheren Urteils eine gemeinsame Verfahrensführung (vgl § 37 Abs 1 StPO) in erster Instanz nicht mehr möglich gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0113612; Ratz in WK² StGB § 31 Rz 2 f).

[10] Der Angeklagte wurde zuletzt mit (am 30. März 2023 in Rechtskraft erwachsenem) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Oktober 2022, AZ 56 Hv 89/22z zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (US 7). Gegenständlich kommt eine Bedachtnahme nach § 31 Abs 1 StGB somit schon aufgrund der Tatzeiten zum Schuldspruch III./ (2. Februar 2023) nicht in Betracht.

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[12] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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