OGH 7Ob79/23b

OGH7Ob79/23b30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen Mag. H*, vertreten durch Mag. Victoria Zeppitz, Rechtsanwältin in Linz als gerichtliche Erwachsenenvertreterin, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gerichtlichen Erwachsenenvertreterin gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. März 2023, GZ 15 R 440/22i‑65, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Urfahr vom 8. November 2022, GZ 19 P 178/18g‑60, teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00079.23B.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Die Einschreiterin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 16. 7. 2019 als gerichtliche Erwachsenenvertreterin für die Betroffene zur Besorgung folgender Angelegenheiten bestellt: Verwaltung des Vermögens und Einkommens, Vertretung vor Verwaltungsbehörden, Regulierung von Verbindlichkeiten, Vertretung im Verfahren zur Erlangung von Sozialleistungen und anschließende Verwaltung der Sozialleistungen, Abschluss von Rechtsgeschäften zur Deckung des Pflege- und Betreuungsbedarfs, Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen und sämtliche Rechtshandlungen im Zusammenhang mit der Auflösung des Mietverhältnisses.

[2] Mit Beschluss vom 22. 3. 2022 wurde von Amts wegen das Verfahren zur Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung gemäß § 128 AußStrG eingeleitet.

[3] Am 5. 8. 2022 beantragte die Einschreiterin die Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung auf den Erwachsenenschutzverein oder eine sonstige dem Gericht als geeignet erscheinende Person unter Berufung auf § 275 ABGB, weil (mittlerweile) keine Angelegenheiten mehr zu besorgen seien, die besondere Rechtskenntnisse erfordern würden. Die Betroffene wäre bei einem Erwachsenenvertreter mit psychologischer oder sozialpädagogischer Ausbildung besser aufgehoben.

[4] Mit Beschluss vom 8. 11. 2022 erneuerte das Erstgericht in Punkt 1. die gerichtliche Erwachsenenvertretung der Einschreiterin und wies in Punkt 2. den Antrag auf Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung ab.

[5] Dem dagegen erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht teilweise Folge. Hinsichtlich der Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung hob das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluss auf und verwies die Erwachsenenschutzsache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Einen Rechtskraftvorbehalt setzte es nicht. Hinsichtlich der Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung bestätigte es den erstgerichtlichen Beschluss; den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu.

[6] Gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Einschreiterin, die sich gegen die Rechtsansicht des Rekursgerichts wendet, die Ablehnungsgründe des § 275 Z 1 ABGB kämen im Zusammenhang mit einer Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung nicht zur Anwendung.

[7] Die Betroffene hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.

[9] I. Die Einschreiterin argumentiert, aufgrund der Regelung des § 128 AußStrG sei § 275 ABGB – als eine Vorschrift für das Verfahren zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters – auch im Verfahren über eine beantragte Übertragung der Erwachsenenvertretung anwendbar. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung 1 Ob 41/22v; demgegenüber stehe die Ansicht des Rekursgerichts, diese Bestimmung komme im Übertragungsverfahren nicht zur Anwendung, mit dieser Entscheidung in Widerspruch.

II. Verfahrensrechtliche Aspekte:

[10] 1. Auf das Umbestellungsverfahren war vor dem 2. ErwSchG § 128 AußStrG nicht anzuwenden, sondern die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des AußStrG. Dies führte in der Praxis immer wieder zu Unklarheiten (vgl Mondel in Rechberger/Klicka, AußStrG3 § 128 Rz 4).

[11] 2. Nach § 128 Abs 1 AußStrG sind nunmehr, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften für das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters (ua) auch auf das Verfahren zur Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung anzuwenden, in dem entschieden wird, ob der bisher bestellte gerichtliche Erwachsenenvertreter durch eine andere Person ersetzt werden soll (vormals: Umbestellung des Sachwalters).

[12] 3. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  70) führen dazu aus, es sei nicht einzusehen, weshalb die Sondervorschriften für Verfahren über die Erwachsenenvertretung auf Umbestellungsverfahren generell nicht angewendet werden sollen. § 128 AußStrG solle daher auch für solche Verfahren gelten. Die Vorschriften über das Bestellungsverfahren seien anzuwenden. Das bedeute insbesondere, dass in den in § 128 Abs 1 AußStrG angeführten Verfahren die Regelungen über die Verfahrensrechte, den einstweiligen Erwachsenenvertreter, über die Einholung eines Gutachtens und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (beides – aufgrund der Sonderregel des § 128 Abs 3 AußStrG – in der Regel nur, wenn vom Gericht für erforderlich gehalten), über die Beschlussbestandteile und die Begründung sowie über die Zustellung des Beschlusses jedenfalls an die betroffene Person, weiters über die Verständigungspflichten und die Kostentragung sowie die Angehörigenrechte gelten.

[13] 4. Dass das – materiell‑rechtliche – Ablehnungsrecht nach § 275 ABGB auch nach erfolgter Übernahme per se Grund für ein Verfahren über eine Übertragung der Erwachsenenvertretung wäre, ist weder aus dieser auf die verfahrensrechtlichen Bestimmungen für das Bestellungsverfahren abstellenden Norm noch aus der Entscheidung 1 Ob 41/22v abzuleiten.

III. Materiell‑rechtliche Grundlagen:

A: Umbestellung/Übertragung:

[14] 1. Die Grundsätze zur Auswahl des Erwachsenenvertreters nach §§ 273 ff ABGB („Stufenbau“) sind auch in Verfahren über die allfällige Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung und bei der Übertragung (§ 128 AußStrG) zu beachten (Barth/Koza in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 274 ABGB Rz 4). Für den Fall, dass weder eine selbst gewählte oder nahestehende Person noch der Erwachsenenschutzverein zur Verfügung steht, kann bzw muss das Pflegschaftsgericht („am Ende der Prioritätenhierarchie“) auf Rechtsanwälte, Notare oder deren Berufsanwärter auch dann zurückgreifen, wenn nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind (Barth/Koza aaO Rz 32; 1 Ob 41/22v mwN).

[15] 2. Die weiteren materiellen Voraussetzungen für die Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung auf eine andere Person regelt § 246 Abs 3 Z 2 ABGB. Ein anderer Erwachsenenvertreter ist zu bestellen, wenn der bisherige wegen Todes ausscheidet, er nicht die erforderliche Eignung aufweist oder durch die Vertretung unzumutbar belastet wird oder wenn es sonst das Wohl des Betroffenen erfordert.

[16] 2.1. Das Wohl der betroffenen Person ist nicht ausschließlich von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, sondern es ist auch auf ihre Befindlichkeit und ihren psychischen Zustand abzustellen (RS0117813 [T7]). Im Allgemeinen ist eine stabile Betreuungssituation wünschenswert, weshalb es nur aus besonderen Gründen zu einer Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung kommen soll (vgl RS0117813 [T10], 7 Ob 49/20m). Dabei ist es auch von Bedeutung, ob die als neuer Erwachsenenvertreter in Aussicht genommene Person für diese Aufgabe (besser) geeignet ist als der bisherige Vertreter (vgl 7 Ob 136/19d).

[17] 2.2. Ein Grund für die Übertragung liegt auch vor, wenn der gerichtliche Erwachsenenvertreter durch die Vertretung unzumutbar belastet wird. Die Beendigung der Vertretung wegen unzumutbarer Belastung stellt eine Reaktion auf die Änderung von Umständen dar, die nach der Bestellung eintritt (Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 246 Rz 34).

B: Bestellung/Übernahme:

[18] 1.1. Grundsätzlich darf die Bestellung zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter nur mit Zustimmung der zu bestellenden Person oder des zu bestellenden Erwachsenenschutzvereins erfolgen.  Rechtsanwälte müssen nach § 275 ABGB gerichtliche Erwachsenenvertretungen grundsätzlich übernehmen, sofern nicht ein in dieser Bestimmung genannter Ablehnungsgrund vorliegt (1 Ob 41/22v; RS0123440). Nach dieser Bestimmung kann ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter), der nicht aufrecht in der Liste von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten oder Notaren eingetragen ist, die Übernahme einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung unter anderem dann ablehnen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert.

[19] 1.2. Die Intention des Gesetzgebers bei der Schaffung von § 275 ABGB war ausweislich der Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  44), einer langjährigen Forderung der Notare und Rechtsanwälte nachzukommen, dass eine Verpflichtung zur Übernahme dann nicht besteht, wenn nicht vorwiegend rechtliche Angelegenheiten betroffen sind. In diesem Zusammenhang kann nur die Übernahme abgelehnt werden, bei einer bereits rechtskräftigen Bestellung gibt es kein Ablehnungsrecht mehr (vgl Stefula in KBB7 § 275 Rz 1).

2. Zu 1 Ob 41/22v:

[20] 2.1. Gegenstand der Entscheidung 1 Ob 41/22v war ein Übertragungsverfahren, in dem der bisherige Erwachsenenvertreter – ein Sozialarbeiter – seines Amtes enthoben wurde und stattdessen ein Rechtsanwalt bestellt wurde, der nicht in der von der Kammer zu führenden Liste als zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeignet eingetragen war. Der 1. Senat kam zum Ergebnis, das sich dieser Rechtsanwalt im Rahmen der (erstmals) vorgesehenen Übernahme der gerichtlichen Erwachsenenvertretung auf sein Ablehnungsrecht gemäß § 275 Z 1 bis 3 ABGB berufen könne.

[21] 2.2. Daraus ist für die Einschreiterin allerdings deshalb nichts gewonnen, weil hier nicht die Übernahme der Erwachsenenvertretung, die nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 275 ABGB iVm § 128 AußStrG von einem nicht in die entsprechende Liste eingetragenen Rechtsanwalt aus den in § 275 Z 1 bis 3 ABGB angeführten Gründen – und damit gemäß Z 1 der Bestimmung dann, wenn nicht oder nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind – abgelehnt werden kann, zu beurteilen ist. Vielmehr möchte die Einschreiterin aus dem Ablehnungsrecht anlässlich der Übernahme ein Recht auf Übertragung der Erwachsenenvertretung ableiten, sobald die Rechtskenntnisse erfordernden Angelegenheiten erledigt sind. Das lässt sich den dargestellten gesetzlichen Regelungen allerdings nicht entnehmen. Dass das Ablehnungsrecht des § 275 ABGB auch im Übertragungsverfahren zur Anwendung kommen kann, wenn – wie in der Entscheidung des 1. Senats – ein Rechtsanwalt die Erwachsenenvertretung übernehmen soll, bedeutet nicht, dass der bereits bestellte Erwachsenenvertreter daraus ein Recht auf Enthebung ableiten kann. Das würde dazu führen, dass der Erwachsenenvertreter nach Erledigung der rechtlichen Angelegenheiten – allein auf Basis der Bestimmung des § 275 Z 1 ABGB – ein Recht auf Enthebung hätte, was im Fall der weiterhin bestehenden Notwendigkeit der Erwachsenenvertretung zwingend eine Übertragung zur Folge hätte. Die Voraussetzungen für eine Übertragung sind aber in § 246 Abs 3 Z 2 ABGB geregelt und stellen auf das Wohl des Betroffenen oder eine Unzumutbarkeit für den Erwachsenenvertreter ab. Es ist dem Gesetzgeber nicht zuzusinnen, dass er mit dem Ablehnungsrecht anlässlich der Übernahme der Erwachsenenvertretung ein zusätzliches Recht auf Enthebung schaffen wollte, das die in § 246 Abs 3 Z 2 ABGB dafür vorgesehenen Kriterien außer Acht ließe.

IV. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten:

[22] 1. Das in § 275 Z 1 ABGB vorgesehene Ablehnungsrecht bei Übernahme einer Erwachsenvertretung mangels erforderlicher Rechtskenntnisse führt nicht notwendig zu einer Übertragung einer bestehenden Erwachsenenvertretung auf eine andere Person, wenn die zu Beginn erforderlichen Rechtskenntnisse zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr nötig sind. Ein solcher Fall ist nach den Kriterien des § 246 Abs 3 Z 2 ABGB zu prüfen, wobei sich aus den nunmehr nicht mehr erforderlichen Rechtskenntnissen eine bessere Eignung eines anderen Erwachsenenvertreters ergeben kann, die gegen eine allfällige mit einer Umbestellung einhergehende Belastung des Betroffenen abzuwägen ist (vgl Stefula in KBB7§ 246 Rz 12), wobei im Allgemeinen eine stabile Betreuungssituation wünschenswert ist (RS0117813 [T10, T11, T12]).

[23] 2. Eine inhaltliche Prüfung des Vorbringens der Einschreiterin nach den Kriterien des § 246 Abs 3 Z 2 ABGB hat das Rekursgericht ohnehin vorgenommen; das Ergebnis dieser im jeweiligen Einzelfall (vgl RS0106166) vorzunehmenden Prüfung ist nicht korrekturbedürftig.

[24] 3. Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

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