European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00123.23S.0830.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Unionsrecht, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die erstbeklagte Partei und M* sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt von den Beklagten den Ersatz des Werts einer den Beklagten zur Wertermittlung übergebenen Rolex‑Uhr in Höhe von 6.500 EUR mit der Behauptung, der Zweitbeklagte, Assistent der in England registrierten erstbeklagten, im Zeitpunkt der Klagseinbringung (1. 3. 2022) im Firmenbuch eingetragen gewesenen und am 20. 1. 2023 gemäß § 10 Abs 2 FBG amtswegig gelöschtenprivate limited by shares, habe diese Uhr widerrechtlich an ein Auktionshaus veräußert. Das Verhalten des Zweitbeklagten sei der Erstbeklagten zuzurechnen. Alleingesellschafterin und selbstständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin der Erstbeklagten war zuletzt M*. Die Klägerin erklärte nach Löschung der Erstbeklagten im Firmenbuch, das Verfahren gegen diese mangels Parteifähigkeit nicht fortsetzen zu wollen.
[2] Das Erstgericht erklärte das Verfahren in Ansehung der Erstbeklagten für nichtig und wies die Klage hinsichtlich der Erstbeklagten wegen Fehlens einer Gegenpartei zurück. Als Folge des Brexit bestehe aus österreichischer Sicht kein Rechtsgrund mehr zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer britischen Limited mit Hauptverwaltungssitz in Österreich. Eine in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Sitz in Österreich habe und somit österreichischem Recht unterliege, verfüge nicht über Rechts- und Parteifähigkeit. Weil kein Rechtsnachfolger der Erstbeklagten existiere, könne keine amtswegige Berichtigung der Parteibezeichnung erfolgen.
[3] Das Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos auf und trug diesem in Ansehung der Erstbeklagten die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Gleichzeitig berichtigte das Rekursgericht aus Anlass des Rekurses die Parteienbezeichnung der Erstbeklagten auf die genannte letzte Alleingesellschafterin der vormals erstbeklagten Limited. Dass diese ihren Verwaltungssitz im Inland gehabt habe, sei nicht strittig. Nach den Entscheidungen 9 Ob 74/21d und 10 Ob 41/21h komme es als Folge des Brexit diesfalls zur Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 142 UGB analog auf die oder den Gesellschafter der Limited. Bei mehreren Gesellschaftern entstehe zwischen diesen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei bloß einem Gesellschafter gingen Rechte und Pflichten (im Fall einer natürlichen Person) auf diesen als Einzelunternehmer über. Ein Wahlrecht, das Verfahren fortsetzen zu wollen oder nicht (RS0110979), komme der Klägerin nicht zu. Die Parteienbezeichnung der Erstbeklagten sei daher auf deren letzte Alleingesellschafterin zu berichtigen.
[4] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil nicht gänzlich auszuschließen sei, dass die Rechtsprechung, wonach die Klage zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären sei, grundsätzlich auch gelte, wenn die beklagteKapitalgesellschaft während eines anhängigen Prozesses brexitbedingt untergehe, zumal die Entscheidung 9 Ob 74/21d sich nur mit dem Wahlrecht des Beklagten im Fall des brexitbedingten Untergangs der Klägerin befasse.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Revisionsrekurs der Erstbeklagten und der M* ist nicht zulässig.
[6] 1. Die Rechtsform einer britischen Limited, die nach europarechtlichen Vorgaben als eigenständiger Rechtsträger anzuerkennen war, bei der diese Anerkennungsgrundlage brexitbedingt aber weggefallen ist, ist dann, wenn der Sitz ihrer Verwaltungstätigkeit ein Inlandssitz ist, nach österreichischem Gesellschafterstatut als Gesellschaft bürgerlichen Rechts anzusehen. Im Fall eines Alleingesellschafters ist von der Zuordnung an ihn als Einzelunternehmer auszugehen (§ 142 UGB analog) (9 Ob 74/21d = RS0134015).
[7] Aus dieser Entscheidung ergibt sich die aus der analogen Anwendung von § 142 UGB abgeleitete Gesamtrechtsfolge in diesem Fall eindeutig völlig unabhängig davon, ob die vormals bestanden habende Limited auf Klagsseite oder auf Beklagtenseite steht.
[8] Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall des brexitbedingten Wegfalls der Rechtsfähigkeit einer britischen Limited mit Hauptverwaltungssitz in Österreich führt – entgegen den unzutreffenden Behauptungen des Rechtsmittels – keineswegs dazu, dass bei Vollbeendigung und Löschung einer (inländischen) Kapitalgesellschaft die letzten Gesellschafter grundsätzlich deren Rechtsnachfolger würden.
[9] 2. Dass die Klägerin erklärte, das Verfahren gegen die Erstbeklagte mangels Parteifähigkeit nicht fortsetzen zu wollen, ändert am Ergebnis nichts: Zum einen bezieht sich diese Erklärung (vor der vom Rekursgericht vorgenommenen Berichtigung der Parteienbezeichnung) ersichtlich auf die Limited und nicht auf deren Alleingesellschafterin. Zum anderen kommt hier nach den Erwägungen der Entscheidung 9 Ob 74/21d (Rz 40) der Klägerin das Wahlrecht, das Verfahren fortzusetzen oder nicht, nicht zu. Denn der Fall, in dem die ständige Rechtsprechung dem Kläger ein Wahlrecht bei (rechtsnachfolgeloser!) Löschung der beklagten Kapitalgesellschaft während des Prozesses zugesteht (RS0110979), liegt hier unabhängig davon, auf welcher Seite die Limited prozessiert, nicht vor.
[10] Mit der Verneinung des Wahlrechts der Klägerin hat das Rekursgericht deren Dispositionsmaxime nicht missachtet: Die Klägerin hätte die Klage gegen die Erstbeklagte (unter Anspruchsverzicht) zurückziehen können. Nach der nicht korrekturbedürftigen Auslegung des Klagsvorbringens durch das Rekursgericht ist jedoch in der Erklärung der Klägerin keine Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht zu erblicken.
[11] 3. Ebenso nicht korrekturbedürftig ist die Beurteilung des Rekursgerichts, die erstgerichtliche „Feststellung“, die Erstbeklagte (Limited) sei vollbeendigt und habe keinen Rechtsnachfolger, sei eine auf Tatsachenebene nicht bindende (unzutreffende) rechtliche Beurteilung.
[12] 4. Das Rechtsmittel zeigt somit nicht auf, dass die Entscheidung des Rekursgerichts sowie die von diesem verfügte Berichtigung der Parteienbezeichnung auf die Alleingesellschafterin unrichtig wäre.
[13] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Da der Zweitbeklagte nicht Partei des Zwischenstreits ist, steht der verzeichnete Streitgenossenzuschlag nicht zu.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)