OGH 1Ob20/23g

OGH1Ob20/23g13.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Mag. G*, vertreten durch Mag. Erwin Dirnberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 36.700 EUR, über die außerordentliche Revision derklagenden Partei gegen dasUrteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2022, GZ 14 R 132/22t‑12, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. Mai 2022, GZ 33 Cg 38/21g‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00020.23G.0713.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nichtFolge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.199,75 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien führte gegen einen bestimmten Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Veruntreuung (§ 133 Abs 1 und Abs 2 StGB). Er war verdächtig, sich ihm anvertraute Geldbeträge in einem 50.000 EUR übersteigenden Wert mit Bereicherungsvorsatz angeeignet zu haben, nachdem er mehreren Personen versprochen hatte, die erhaltenen Geldbeträge zu veranlagen. Anzeige erstattete eine bestimmte Geschädigte; im Laufe des Verfahrens kamen weitere Geschädigte hinzu. Im Zuge einer gerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung wurden an der Wohnadresse des Beschuldigten weitere Unterlagen gefunden, darunter auch eine Vereinbarung des Klägers mit dem Beschuldigten vom 15. 5. 2013, derzufolge der Kläger dem Beschuldigten 56.000 EUR übergeben hatte. Nähere Daten zum Kläger wurden von der Polizei nicht ermittelt. Am 15. 4. 2015 wurde der Beschuldigte zu den bei der Hausdurchsuchung gefundenen Unterlagen befragt, und er bestätigte unter anderem, vom Kläger 56.000 EUR erhalten zu haben. Da ein im Ermittlungsverfahren eingeholtes psychiatrisch-neurologisches Gutachten dem Beschuldigten eine psychiatrische Erkrankung bescheinigte, aufgrund derihmdieDispositionsfähigkeit fehle, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren am 26. 5. 2015 gemäß § 190 Z 1 StPO aus dem Grund des § 11 StGB ein. Einige im Ermittlungsverfahren aktenkundige Geschädigte wurden von der Verfahrenseinstellung verständigt, nicht aber der Kläger.

[2] Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Amtshaftungsansprüche des Klägers, die er daraus ableitet, dass er pflichtwidrig weder vom Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten noch von der Einstellung des Verfahrens verständigt worden sei, obwohl nach der Aktenlage für die Staatsanwaltschaft seine Stellung als Opfer gemäß § 65 Z 1 lit c StPO offenkundig gewesen sei. Nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens am 26. 5. 2015 habe er dem Beschuldigten am 15. 6. 2015 weitere 10.950 EUR und am 22. 12. 2015 nochmals 25.750 EUR zur Veranlagung übergeben. Auch diese Beträge seien verloren. Wäre er – wie andere Geschädigte – pflichtgemäß verständigt worden, wäre seine (weitere) Schädigung unterblieben.

[3] Die Beklagtewendet ein, es seien jene Geschädigten verständigt worden, deren Daten im Akt vorhanden gewesen seien, nicht aber jene, die erst im Zuge der Hausdurchsuchung bekannt geworden seien und deren Daten, wie jene des Klägers, die Behörde nicht ermittelt habe. Die Opfereigenschaft des Klägers sei, wenn auch naheliegend, so doch nicht ohne jeden Zweifel offenkundig gewesen. Weder seine Anschrift noch sein Geburtsdatum seien Aktenbestandteil gewesen. In Anbetracht des allgemeinen Beschleunigungsgebots und der Erledigungsreife infolge des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens sei die Unterlassung weiterer Ermittlungsschritte zur Erhebung der Daten des Klägers sowie zur abschließenden Abklärung seiner Stellung als Opfer und damit die Unterlassung der Verständigung des Klägers zumindest vertretbar gewesen. Auch fehle es am Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der behaupteten Normverletzung und den vom Kläger geltend gemachten Schäden. Die allenfalls verletzte Norm ziele darauf ab, den Opfern einer Straftat die Ausübung der Geschädigtenrechte hinsichtlich bereits erlittener Schäden zu ermöglichen, habe aber nicht den Zweck, künftige Schädigungen zu verhindern. Hinsichtlich der nun eingeklagten Schadensbeträge sei dem Kläger im Ermittlungsverfahren nicht die Stellung als Opfer zugekommen.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach § 194 StPO sei der Geschädigte von der Einstellung des Verfahrens und über die Möglichkeit, einen Fortführungsantrag zu stellen, zu verständigen. Zweck dieser Bestimmung sei daher, bereits Geschädigten einer Straftat die Möglichkeit zu eröffnen, die Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen, nicht aber weitere Schäden zu verhindern. Darüber hinaus habe die Staatsanwaltschaft Wien bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nicht davon ausgehen müssen, dass der Kläger zur Einbringung eines Fortführungsantrags berechtigt sei. Damit sei es zumindest vertretbar gewesen, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ohne weitere Erhebungen zur Opfereigenschaft des Klägers und zu seinen Daten eingestellt habe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[6] Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren verfolge im Allgemeinen nicht den Zweck, den Eintritt von zukünftigen Vermögensschäden zu verhindern, weshalb potentiell künftig am Vermögen Geschädigte vom Schutzzweck der dieses Verfahren regelnden Normen grundsätzlich nicht erfasst seien. Auch der Opferbegriff des § 65 Z 1 lit c StPO stelle nur auf Personen ab, bei denen aufgrund einer Straftat bereits ein Schaden oder eine in dieser Bestimmung genannte Beeinträchtigung eingetreten sei. Dass der Kläger im konkreten Ermittlungsverfahren unter diese Definition falle, beziehe ihn allenfalls als Person in den Schutzbereich der Verfahrensvorschriften ein, ändere aber nichts daran, dass die nunmehr geltend gemachten Schäden auf strafrechtlich relevante Handlungen des Beschuldigten zurückzuführen seien, die – aus der maßgeblichen Sicht der Strafverfolgungsbehörde bei der Einstellung – „künftige“ gewesen seien. Die Judikatur fordere aber den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der verletzten Verfahrensnorm und dem tatsächlich eingetretenen Schaden. Die vom Kläger geltend gemachten Schäden habe er nicht als Opfer der bisherigen Straftaten – derentwegen das Ermittlungsverfahren geführt worden sei – erlitten, sondern erst nach der Verfahrenseinstellung. Dass weitere Schäden des Klägers im Falle seiner Verständigung von der Führung oder Einstellung des Verfahrens unterblieben wäre, sei eine bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Organverhaltens, für die im Rahmen der Amtshaftung nicht einzustehen sei.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist zulässig, weil Rechtsprechung des Fachsenats zum Schutzzweck der Verständigungspflicht der Staatsanwaltschaft nach § 194 Abs 1 StPO fehlt; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Allgemeine Grundsätze:

[8] 1.1. Nach § 1 Abs 1 AHG haftet unter anderem der Bund für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als seine Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben, nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Auch eine Unterlassung kann Amtshaftung begründen, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft erfolgt ist (RS0081378).

[9] 1.2. Gerade für das Amtshaftungsrecht gilt der allgemeine Grundsatz, dass die verletzte Vorschrift auch den Zweck haben muss, den Geschädigten vor den schließlich eingetretenen Nachteilen zu schützen (RS0050038 [T1]).

[10] 1.3. Der Schutzzweck der verletzten Normen (Rechtswidrigkeitszusammenhang) ist ein selbständiges Zurechnungskriterium neben Rechtswidrigkeit, Verschulden und Kausalität. Sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und seiner Entstehung müssen vom Schutzzweck erfasst sein (RS0027553 [T18]). Selbst bei einer schuldhaften Verletzung von Rechtsvorschriften sind daher nur jene Schäden zu ersetzen, deren Eintritt die übertretene Vorschrift gerade verhindern wollte oder deren Verhinderung zumindest mitbezweckt war (RS0050038 [T21]; RS0031143 [T5, T13]).

[11] 1.4. Ob eine Norm einen bestimmten Schaden verhindern will, ist durch teleologische Auslegung zu ermitteln (RS0031143 [T19]). Maßgeblich ist, welcher Zweck mit der in ihrem primären Normgehalt festgehaltenen Anordnung (zumindest mit-)verfolgt wird (RS0027553 [T14]). Der Schutz des Einzelnen muss im beabsichtigten Aufgabenbereich der Norm gelegen sein; dass seine individuelle Interessenlage durch die Befolgung der Norm nur objektiv, gleichsam als Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens erfasst ist, genügt nicht (RS0031143 [T38]; RS0050038 [T33]).

2. Bisherige Rechtsprechung zum Zweck strafprozessualer Vorschriften:

[12] 2.1. Der primäre Zweck der Vorschriften über das Strafverfahren liegt nach der Rechtsprechung des Fachsenats in der Verwirklichung des materiellen Strafrechts im Einzelfall mit der richtigen Bewertung von Tat und Täter zum Zweck der gerechten Bestimmung einer Sanktion oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen Konsequenz (1 Ob 91/22x mwN). Nicht alle Bestimmungen der Strafprozessordnung dienen daher bei der gebotenen teleologischen Betrachtungsweise auch dem Schutz des durch eine Straftat Geschädigten (RS0050078).

[13] 2.2. Zur Anzeigepflicht nach § 84 StPO aF (nunmehr § 78 StPO) wurde bereits judiziert, dass diese nicht dem Zweck dient, nach dem Zeitpunkt der unterlassenen Strafanzeige eintretenden Vermögensschäden zu verhindern, weshalb potentiell künftig am Vermögen Geschädigte vom Schutzzweck dieser Bestimmung nicht erfasst sind (1 Ob 73/16s = RS0131321).

[14] 2.3. Der Fachsenat hat auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Bestimmungen über die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Gläubiger (in concreto einer Bank) nicht davor schützen sollen, dass ihnen aufgrund der unterbliebenen Einleitung eines solchen Verfahrens durch künftige Straftaten der Organe dieser Bank ein Vermögensschaden entsteht. Dass ein solcher Schaden durch die frühere Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unter Umständen verhindert werden hätte können, kann als bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens keine Amtshaftung begründen (RS0134027).

[15] 2.4. Auch die in § 194 Abs 3 StPO vorgesehene Verständigung des Rechtsschutzbeauftragten dient nach der Rechtsprechung nicht dem Schutz künftiger Gläubiger einer Bank, deren Organe bestimmter Straftaten bezichtigt worden waren, vor Vermögensschäden durch weitere Straftaten. Sie soll vielmehr eine objektive Kontrolle der Ermittlungsmaßnahmen und die Ausübung der weiteren Befugnisse des Rechtsschutzbeauftragten ermöglichen. Das allfällige Unterlassen einer solchen Verständigung kann eine Amtshaftung daher ebenfalls nicht begründen (1 Ob 140/22b, Rz 39).

3. Zu den strafprozessualen Informations- und Verständigungspflichten in Bezug auf Opfer einer Straftat:

[16] 3.1. Durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016 (BGBl I 2016/26) wurden die Vorgaben der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten (RL Opferschutz) in nationales Recht umgesetzt (Kainz in Gappmayer, Handbuch Opferrechte [2020] Rz 6.2). Wer „Opfer“ ist, wird in § 65 StPO geregelt. Die StPO geht dabei von einem einheitlichen Opferbegriff aus und stellt dazu auf drei unterschiedliche Fälle der persönlichen Betroffenheit durch eine Straftat ab, die in einem einheitlichen Begriff zusammengefasst werden. Diesem ist gemein, dass all diese Personen durch eine strafbare Handlung einen Nachteil erlitten haben (Kier in Fuchs/Ratz,WK‑StPO § 65 Rz 8 [Stand 30. 6. 2018, rdb.at]; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 [2020] § 65 Rz 2 je mwN).

[17] 3.2. Nach dem hier relevanten § 65 Z 1 lit c StPO ist jede (andere) Person, die durch eine Straftat einen Schaden erlitten hat oder sonst in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt worden sein könnte, Opfer im Sinn des Verfahrensrechts. Ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass sich bei Zugrundelegung der theoretischen Annahme einer Verurteilung aus dem Urteilssachverhalt auch auf einen zivilrechtlichen Anspruch der betreffenden Person schließen ließe, ist die Opferstellung zu bejahen (Kier in Fuchs/Ratz,WK‑StPO § 65 Rz 21). Der Opferbegriff nach § 65 Z 1 lit c StPO setzt daher einen bereits eingetretenen Schaden oder eine bereits eingetretene sonstige Beeinträchtigung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter voraus (1 Ob 91/22x).

[18] 3.3. Opfer von Straftaten sind nach Maßgabe der Bestimmungen des 4. Hauptstücks der StPO berechtigt, sich am Strafverfahren zu beteiligen. Die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft und das Gericht sind daher verpflichtet, auf die Rechte, Interessen und besonderen Schutzbedürfnisse der Opfer von Straftaten angemessen Bedacht zu nehmen und alle Opfer über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren sowie über die Möglichkeit zu informieren, Entschädigungs- oder Hilfeleistungen zu erhalten (§ 10 Abs 1 und Abs 2 StPO).

[19] In § 70 StPO wird das Recht von Opfern auf Information konkretisiert. Danach haben die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft die Opfer über ihre wesentlichen Rechte (§§ 66 bis 67 StPO) zu informieren, sobald ein Ermittlungsverfahren geführt wird. Nach § 66 Abs 1 Z 4 StPO haben sie unter anderem – unabhängig von ihrer Stellung als Privatbeteiligte – das Recht, vom Fortgang des Verfahrens verständigt zu werden (§§ 177 Abs 5, 194, 197 Abs 3, 206 und 208 Abs 3 StPO). Generell sind alle Opfer über die Möglichkeit einer Vertretung, der Akteneinsicht, der Teilnahme an der Hauptverhandlung samt Fragerecht, über die Möglichkeit der Privatbeteiligung, aber auch über die gemäß §§ 373a und 373b zustehenden Rechte zu belehren (Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz WK‑StPO § 70 Rz 2/1 [Stand 30. 10. 2021, rdb.at]). § 194 StPO normiert die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Verständigung von der Einstellung und einer allfälligen Fortführung des Ermittlungsverfahrens.

[20] 3.4. Da der Kläger bereits in der Vergangenheit von der Person, gegen die das Ermittlungsverfahren geführt wurde, am Vermögen geschädigt worden war und dieser Umstand auch aktenkundig war, kam ihm im Verfahren die Stellung als „Opfer“ nach§ 65 Z 1 lit c StPO mit dem damit verbundenen Recht auf Information zu.

4. Zum hier strittigen Schutzzweck der Verständigung eines Opfers von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens:

[21] 4.1. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft sind im Ermittlungsverfahren – wie erwähnt – zur aktiven Information des Opfers über den Stand der Ermittlungen und seine wesentlichen Rechte im Verfahren verpflichtet. Dadurch soll das Opfer in die Lage versetzt werden, über seine Beteiligung am Verfahren eigenverantwortlich zu entscheiden; die Geschädigten sollen durch eine verbesserte Information in ihrer Rechtsstellung gestärkt werden, um so „eine aktive Rolle im Verfahren“ einnehmen zu können (Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz,WK‑StPO § 70 Rz 2 mwN). Die Informationspflichten dienen damit ganz allgemein dazu, die Geschädigten einer Straftat über ihre Rechte im Verfahren in Kenntnis zu setzen und ihnen dadurch die Teilnahme am Verfahren zu ermöglichen bzw zu erleichtern.

[22] 4.2. Das gilt auch für die Verständigung von der Einstellung des Strafverfahrens nach § 194 StPO. Die ersten beiden Absätze dieser Bestimmung haben folgenden Wortlaut:

„(1) Von der Einstellung und der Fortführung des Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft neben dem Beschuldigten und der Kriminalpolizei alle Personen zu verständigen, die zur Einbringung eines Antrags auf Fortführung berechtigt sind (§ 195 Abs. 1). Das Gericht ist zu verständigen, wenn es mit dem Verfahren befasst war; ein Zustellnachweis ist in keinem Fall erforderlich.

(2) In einer Verständigung von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist anzuführen, aus welchem Grund (§§ 190 bis 192) das Verfahren eingestellt wurde; gegebenenfalls ist der Vorbehalt späterer Verfolgung (§ 192 Abs. 2) aufzunehmen. Überdies sind Personen, die zur Einbringung eines Antrags auf Fortführung berechtigt sind (§ 195 Abs. 1), über die Möglichkeit der Einbringung eines Antrags auf Fortführung und seine Voraussetzungen sowie darüber zu informieren, dass sie binnen 14 Tagen eine Begründung verlangen können, in welcher die Tatsachen und Erwägungen, die der Einstellung zu Grunde gelegt wurden, in gedrängter Darstellung anzuführen sind. Das Recht, eine solche Begründung zu verlangen, steht auch dem Beschuldigten zu, worüber er gleichfalls in der Verständigung nach dem ersten Satz zu informieren ist.“

[23] 4.3. Dass auch das Opfer von der Einstellung zu verständigen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus § 194 StPO, sondern nur mittelbar aus dem Verweis auf § 195 Abs 1 StPO. Gerade aus diesem Verweis ist aber auch der Zweck der Verständigung abzuleiten. Sie dient dazu, dem Opfer das Stellen des in § 195 Abs 1 StPO vorgesehenen Fortführungsantrags zu ermöglichen, der nach § 195 Abs 2 StPO binnen 14 Tagen nach der Verständigung von der Einstellung oder nach Zustellung der Einstellungsbegründung, wenn das Opfer von der Einstellung jedoch nicht verständigt wurde, innerhalb von drei Monaten ab der Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft einzubringen ist. Dieser Regelungszweck ergibt sich auch aus § 195 Abs 2 StPO, der eine Information der Opfer über die Möglichkeit eines Fortführungsantrags vorsieht.

[24] 4.4. Zweck der Verständigung ist aber, dem Opfer die Möglichkeit zu eröffnen, die Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (Nordmeyer in Ratz/Fuchs, WK‑StPO § 194 Rz 1 [Stand 16. 5. 2017, rdb.at]; Kainz in Gappmayer, Handbuch Opferrechte Rz 6.29). Diese Fortführung bezieht sich der Natur der Sache nach auf bereits verwirklichte strafbare Handlungen. § 194 StPO schützt daher die verfahrensrechtliche Stellung einer Person als Opfer einer bereits verwirklichten Straftat. Dass auch deren Schutz als potentiell künftig durch denselben Beschuldigen am Vermögen Geschädigte von der Verständigungspflicht (mit‑)erfasst wäre, lässt sich aus dieser Bestimmung nicht ableiten. Einen vermögensrechtlichen Nachteil, weil ihm durch die unterbliebene Verständigung von der Einstellung die Verfolgung seines bereits erlittenen Schadens unmöglich gemacht bzw erschwert worden wäre, macht der Kläger nicht geltend. Er behauptet auch nicht, dass die weiteren Angriffe auf sein Vermögen unterblieben wären, wäre das Ermittlungsverfahren fortgesetzt worden, sondern leitet seine Ansprüche ausschließlich daraus ab, dass er von der Einstellung des Verfahrens nicht verständigt wurde.

[25] 5. Auf dieser Grundlage fehlt es aber am Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der unterlassenen Verständigung des Klägers über die Einstellung des Verfahrens und den von ihm nach diesem Zeitpunkt erlittenen Vermögensschäden aus der Übergabe weiterer Geldbeträge an den ehemals Beschuldigten. Soweit der Kläger auch noch im Revisionsverfahren geltend macht, dass er durch die Verständigung in die Lage versetzt worden wäre, dem Beschuldigten keine finanziellen Mittel mehr anzuvertrauen, beruft er sich auf eine bloße Reflexwirkung des pflichtgemäßen Verhaltens, die vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst ist.

[26] 6. Der vom Kläger genannte § 172 Abs 4 StPO regelt die amtswegige Pflicht zur Verständigung von Opfern nach § 65 Z 1 lit a StPO und von besonders schutzbedürftigen Opfern nach § 66a StPO von der Freilassung des Beschuldigten und kommt hier nicht zum Tragen. Darauf kann sich der Kläger daher nicht berufen. Auch mit seinem Verweis auf die durch das Strafrecht allgemein verfolgten Zwecke der General- und Spezialprävention lässt sich der für eine Haftung erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht begründen. Dabei handelt es sich um Strafzwecke, die nicht unmittelbar auf den Zweck des Ermittlungsverfahrens umgelegt werden können.

[27] 7. Der Revision ist damit ein Erfolg zu versagen. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Verständigung nach § 194 Abs 1 StPO hat den Zweck, dem Opfer einer Straftat die Möglichkeit zu geben, die Fortführung der Ermittlungen zu bereits verwirklichten Delikten zu bewirken. Sie soll das Opfer nicht davor schützen, dass ihm durch künftige Straftaten des Beschuldigten ein weiterer Vermögensschaden entsteht.

[28] 8. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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