OGH 7Ob97/23z

OGH7Ob97/23z28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* M*, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in St. Jakob in Haus, gegen die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch Mag. Peter Fasching, Rechtsanwalt in Wien, wegen 16.500 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. März 2023, GZ 2 R 164/22k‑69, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. September 2022, GZ 64 Cg 85/20g‑61, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00097.23Z.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.410,90 EUR (darin enthalten 235,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Art 1.48 der Sonderbedingungen max 2000 vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

[2] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1. Die zwischen den Parteien vereinbarten Sonderbedingungen zur Unfallversicherung (max 2000) lauten auszugsweise:

1. Bedingungen für die Erweiterungen der AUB 99:

[...]

1.48 Bedingungsänderungen

Während der Vertragslaufzeit verbesserte Bedingungen finden automatisch auf den Vertrag Anwendung.“

[4] Entsprechend dem zwischen den Parteien vereinbarten „Bedingungsergänzungsblatt“ zu den Sonderbedingungen zur Unfallversicherung (max 2000) war ab 1. 1. 2012 vereinbart:

„1.7 Gliedertaxe

Bei Verlust der Funktionsfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten abweichend von Ziffer 2.1.2.2.1 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 99) folgende Invaliditätsgrade:

Arm 70 %

[...]

1.12 Mitwirkungsanteil

Krankheiten oder Gebrechen mindern abweichend von Ziffer 3 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 99) die Leistung, wenn ein Mitwirkungsanteil von 30 % überschritten wird. Dies gilt für alle Bedingungen des Vertrages, soweit nicht etwas Anderes vereinbart ist.“

[5] Ein Tochterunternehmen der Beklagten, das zugleich die das Versicherungsverhältnis betreuende Agentur ist, gab „Besondere und Sonderbedingungen zur Unfallversicherung (protectUB2012)“ heraus, in denen in Abweichung der AUB 2006 in der Gliedertaxe der Armwert mit 80 % bemessen und eine Erhöhung der Grenze eines zu berücksichtigenden Mitwirkungsanteils von 55 % vorgenommen wird.

[6] 2. Der Kläger erlitt im Mai 2019 bei einem Skiunfall Verletzungen im Bereich des linken Schultergelenks (Riss der Sehne des Musculus subscapularis). Die bleibende Bewegungseinschränkung des linken Arms und eine Kraftminderung sind nicht allein auf den gegenständlichen Unfall zurückzuführen, sondern haben als Ursache auch eine vorbestehende degenerative Insuffizienz. Die Funktionsbeeinträchtigung des linken Arms beträgt 3/10 des Armwerts, wobei der Mitwirkungsanteil vorbestehender Krankheiten oder Gebrechen 50 % ausmacht.

[7] 3.1. Die Vorinstanzen berechneten den Anspruch des Klägers auf Invaliditätsleistung entsprechend dem „Bedingungsergänzungsblatt“ zu den Sonderbedingungen zur Unfallversicherung (max 2000) und wiesen das Klagebegehren ab, weil der beklagte Versicherer bereits eine höhere Versicherungsleistung an den Kläger erbracht hatte. Sie verneinten, dass – entsprechend dem Standpunkt des Revisionswerbers – nach Art 1.48 max 2000 die günstigeren Bedingungen hinsichtlich Armwert und Mitwirkungsanteil gemäß „protectUB2012“ zur Anwendung gelangten.

[8] 3.2. Ebenso wie die Beurteilung der Frage, ob in den Vertragsunterlagen ausreichend deutlich auf die Einbeziehung von AVB hingewiesen wurde, von den Umständen des Einzelfalls abhängt und daher keine erhebliche Rechtsfrage bildet (7 Ob 34/11t; 7 Ob 51/12v; vgl RS0117648 [T4]), gilt das auch für die Frage, ob bestimmte Sonderbedingungen – hier die von der Tochtergesellschaft der Beklagten „herausgegebenen“ „protectUB2012“ – Inhalt des Versicherungsvertrags geworden sind.

[9] Bereits das Erstgericht hat darauf hingewiesen, dass die vom Kläger herangezogenen Sonderbedingungen des Tochterunternehmens der Beklagten gar nicht in Zusammenhang mit dem gegenständlichen Versicherungsvertrag stünden und damit auch nicht gemäß Art 1.48 max 2000 zur Anwendung gelangen. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden, brachte doch der Kläger nur vor, die das Versicherungsverhältnis betreuende Agentur, eine Tochtergesellschaft der Beklagten habe mit den besonderen Bedingungen zur Unfallversicherung „protectUB2012“ eine verbesserte Gliedertaxe mit einem Armwert von 80 % herausgegeben und darin eine Erhöhung der Grenze eines zu berücksichtigenden Mitwirkungsanteils auf 55 % vorgenommen. Dass die vom Tochterunternehmen der Beklagten „herausgegebenen“ Versicherungsbedingungen „protectUB2012“ Unfallversicherungsverträgen wie dem Gegenständlichen von der Beklagten zugrunde gelegt werden, wurde weder vorgebracht noch steht dies fest. Warum gerade die Versicherungsbedingungen der Tochtergesellschaft der Beklagten für den gegenständlichen Versicherungsvertrag von Relevanz sein sollen, vermag der Revisionswerber nicht schlüssig zu erklären. Ein Zusammenhang der Versicherungsbedingungen der Tochtergesellschaft der Beklagten mit dem gegenständlichen Versicherungsvertrag ist nicht zu erkennen.

[10] Damit hängt die Lösung des Rechtsstreits nicht von der Auslegung von Art 1.48 max 2000, sondern von den anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmenden Vertragsinhalten ab (vgl RS0088931).

[11] 4.1. Nachdem der Kläger die Abrechnung der Versicherungsleistung beanstandet hatte, erläuterte ihm die Beklagte, „dass laut Sonderbedingungen max 2000 Krankheit oder Gebrechen die Leistung mindern, wenn ein Mitwirkungsanteil von 50 % überschritten wird. Laut Gutachter [...] weswegen wir hier bei genau 50 % sind und der Mitwirkungsanteil nicht abzuziehen ist“. Im Prozess wendete die Beklagte den Inhalt des „Bedingungsergänzungsblatts“ als Vertragsgrundlage ein, nach dem es zur Berücksichtigung von vorbestehenden Krankheiten oder Gebrechen (bereits) bei einem Mitwirkungsanteil von mehr als 30 % kommt.

[12] 4.2. Der Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht das Versicherungsverhältnis in besonderem Maß (RS0018055). Die Frage, ob eine Vertragspartei gegen Treu und Glauben verstieß, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und bildet keine erhebliche Rechtsfrage, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (RS0118180 [T3]). Das ist hier nicht der Fall.

[13] 4.3. Die Beklagte erläuterte dem Kläger anlässlich der Erbringung ihrer Versicherungsleistung, dass sie im Sinn einer bestimmten Vertragsklausel keinen Mitwirkungsanteil abziehe. Das Berufungsgericht konnte nicht erkennen, warum es deshalb „Treu und Glauben“ der Beklagten verwehre, im Prozess die Vertragsgrundlage nochmals zu prüfen und die zutreffende Bedingungslage zum Mitwirkungsanteil geltend zu machen. Eine vorprozessual unrichtige Abrechnung könne keinen Leistungsanspruch des Klägers auf eine darüber hinausgehende Versicherungsleistung begründen. Die Beurteilung, dass seinem Einwand von „Treu und Glauben“ keine Berechtigung zukommt, ist nicht korrekturbedürftig.

[14] 4.4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass in einer bestimmten Begründung einer Ablehnung noch kein Verzicht auf andere als die genannten Einwendungen gegenüber dem Anspruch des Versicherungsnehmers liegt und zwar auch dann nicht, wenn ihre Voraussetzungen dem Versicherer bekannt waren (RS0043234).

[15] Dass die Beklagte vorprozessual eine für den Kläger günstigere Berechnung zugrunde legte, bei der sie keinen Mitwirkungsanteil abzog, führt – entgegen seiner Ansicht – nicht dazu, dass sie sich im Prozess nicht auf die tatsächlich vereinbarten Versicherungsbedingungen, die eine Anrechnung eines Mitwirkungsanteils bereits ab 30 % vorsehen, berufen konnte. Der Kläger konnte hinsichtlich der eingeklagten Versicherungsleistung nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte über die bereits gezahlte Versicherungsleistung hinaus auch weiterhin von einer nicht vereinbarten Vertragsgrundlage ausgeht. Ohne Fehlbeurteilung haben daher die Vorinstanzen dem Einwand von „Treu und Glauben“ keine Berechtigung zuerkannt.

[16] 5. Der Kläger zeigt insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[17] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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