OGH 13Os44/23d

OGH13Os44/23d28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Mair in der Strafsache gegen * S* wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB, AZ 44 Hv 128/22x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 19. Oktober 2022 (ON 24) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00044.23D.0628.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 44 Hv 128/22x des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletztdas Urteil dieses Gerichts vom 19. Oktober 2022 (ON 24) § 130 Abs 1 erster Fall StGB iVm § 70 Abs 1 Z 3 StGB sowie § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der Subsumtion der vom Schuldspruch umfassten Tat (auch) nach § 130 Abs 1 erster Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch, aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit rechtskräftigem, in gekürzter Form ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. Oktober 2022 (ON 24) wurde * S* des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und hierfür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Danach hat er am 26. September 2022 in W* „gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB)“ Gewahrsamsträgern der I* Gesellschaft m.b.H. fremde bewegliche Sachen, nämlich Kleidungsstücke, Wohntextilien, Schmuck, Körperpflegeprodukte und fünf Bohraufsatz‑Sets im Gesamtwert von 1.002,74 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, indem er die Waren in seiner Tasche verstaute und ohne zu bezahlen das Geschäft verließ, wobei er vom Detektiv dabei beobachtet und angehalten wurde, sodass es beim Versuch blieb.

[3] Über das wiedergegebene Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hinaus traf der Einzelrichter die Feststellung, dass * S* sich oder einen Dritten unrechtmäßig bereichern wollte, indem er die Produkte in seiner Tasche verstaute und ohne Bezahlen das Geschäft verließ und dabei in der Absicht handelte, sich „durch wiederkehrende Begehung“ längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (US 2).

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzt dieses Urteil das Gesetz:

[5] Wer einen Diebstahl gewerbsmäßig begeht, ist nach § 130 Abs 1 StGB zu bestrafen.

[6] Nach § 70 Abs 1 Z 3 StGB begeht eine Tat gewerbsmäßig, wer sie in der Absicht ausführt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, und bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden ist, wobei nach § 70 Abs 3 StGB eine frühere Tat oder Verurteilung außer Betracht bleibt, wenn seit ihrer Begehung oder Rechtskraft bis zur folgenden Tat mehr als ein Jahr vergangen ist. Zeiten, in denen der Täter auf behördliche Anordnung angehalten worden ist, werden in diese Frist nicht eingerechnet.

[7] Nach § 70 Abs 2 StGB ist ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen ein solches, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro übersteigt.

[8] Nach § 270 Abs 4 StPO (der gemäß § 488 Abs 1 erster Satz StPO auch für das Hauptverfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts gilt) hat eine gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 4 Z 1 StPO) sowie im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) zu enthalten. Es muss daher auch aus einer gekürzten Urteilsausfertigung hervorgehen, welcher Tat der Angeklagte für schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, worunter nichts anderes zu verstehen ist, als die für die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0101786 [T4]). Durch ein vollständiges Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) wird dem Gesetz insoweit Genüge getan (RIS‑Justiz RS0125764 [T2]). Liegt nur ein solcher Ausspruch vor, ist dieser der alleinige Bezugspunkt für die materiell‑rechtliche Beurteilung (vgl RIS‑Justiz RS0125764 [T4]).

[9] Da dem Urteil keine Feststellungen zu den Kriterien des § 70 Abs 1 Z 3 und Abs 2 StGB zu entnehmen sind (auch aus den im Urteil angeführten Strafbemessungsgründen lassen sich diese nicht ableiten), verletzt die Subsumtion der vom Schuldspruch umfassten Tat (auch) nach § 130 Abs 1 erster Fall StGB iVm § 70 Abs 1 Z 3 StGB das Gesetz.

[10] Dass das in gekürzter Form ausgefertigte Urteil diese entscheidenden Tatsachen nicht nennt, verletzt des Weiteren § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO.

[11] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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