OGH 9ObA42/23a

OGH9ObA42/23a28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Albert Kyncl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D* S*, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. W*, vertreten durch Mag. Barbara Freundorfer, Rechtsanwältin in Wien, wegen 4.165 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2023, GZ 7 Ra 93/22f‑49, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 8. Juni 2022, GZ 1 Cga 90/20s‑41, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00042.23A.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 599,42 EUR (darin 99,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die am * 1998 geborene Klägerin war beim beklagten Zahnarzt als zahnärztliche Assistentin in Ausbildung ab 5. 9. 2016, zunächst befristet bis 4. 12. 2016, danach unbefristet beschäftigt. Auf dieses Ausbildungsverhältnis war der Kollektivvertrag für Angestellte bei Zahnärzten in der Fassung ab 1. 4. 2014 anwendbar. Das kollektivvertragliche Bruttogehalt der Klägerin betrug zu Beginn ihres Dienstverhältnisses entsprechend ihrer Einstufung als auszubildende Assistentin 476 EUR.

[2] Der Beklagte kündigte das Dienstverhältnis fristwidrig am 30. 1. 2020 zum 15. 3. 2020 auf, sodass es am 31. 3. 2020 endete. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin ihre praktische Ausbildung bereits abgeschlossen. Ihre theoretische Ausbildung endete am 29. 6. 2020. Die kommissionelle Abschlussprüfung legte die Klägerin am 4. 7. 2020 erfolgreich ab.

[3] Für den theoretischen Lehrgang, den die Klägerin am zahnärztlichen Fortbildungsinstitut der Landeszahnärztekammer für * absolvierte, zahlte sie insgesamt eine Kursgebühr von 4.165 EUR (1.665 EUR am 13. 12. 2017, 1.500 EUR am 3. 1. 2019 und 1.000 EUR am 21. 1. 2020). Zuvor (im Jahr 2017) hatte sie dem Beklagten erklärt, sie werde die Ausbildungskosten selbst bezahlen, weilihr dieser versprochen hatte, sie bis zur Beendigung der Ausbildung zu beschäftigen.

[4] Darüber hinaus traf das Erstgericht – vom Beklagten in seiner Berufung gerügte – Feststellungen zu den Gesprächen der Parteien im Zusammenhang mit der Ausbildung der Klägerin und deren Kostentragung.

[5] Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Ersatz der von ihr gezahlten Ausbildungskosten. Dazu brachte sie – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – vor, dass die Vereinbarung, wonach die Klägerin die Ausbildungskosten selbst trage, unter unzulässigem Druck erfolgt sei, weil der Beklagte erklärt habe, sie sonst nicht weiter zu beschäftigen. Damit sei die – mit der Vereinbarung der Kostentragung durch die Klägerin erfolgte – Abbedingung des § 1041 ABGB unwirksam. Überdies sei die Vereinbarung, die Ausbildungskosten auf die Klägerin zu überwälzen, sittenwidrig. Der Klägerin könne nach der Entscheidung 9 ObA 66/21b kein Ausbildungskostenersatz auferlegt werden.

[6] Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte dagegen unter anderem ein, dass die genannte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht einen Sachverhalt zu beurteilen gehabt habe, in dem – wie hier – die Parteien vorweg eine Tragung der Ausbildungskosten durch die Arbeitnehmerin vereinbart hätten.

[7] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren statt. Nach der Entscheidung 9 ObA 66/21b sei die Ausbildung in der zahnärztlichen Assistenz geeignet, eine Lehrausbildung zu begründen. Die Ausbildungszeit für zahnärztliche Assistentinnen betrage drei Jahre und beinhalte nach dem dualen System eine praktische Ausbildung durch die Beschäftigung als Auszubildende bei einem Zahnarzt oder an einer zahnärztlichen Universitätsklinik und eine theoretische Ausbildung in einem in Anhang I des KollV angeführten Lehrgang für zahnärztliche Assistenz, der mit einer positiven Prüfung abzuschließen sei (§ 8 Abs 2 KollV). § 8 Abs 3 KollV enthalte die Mindestgehälter. Der Mindestentgeltanspruch bringe, nicht anders als bei einem Lehrverhältnis, zum Ausdruck, dass in dieser Vertragsphase weniger die Dienstleistung des Auszubildenden im Sinn eines synallagmatischen Leistungsaustauschs, als der Ausbildungscharakter des Vertragsverhältnisses, im Vordergrund stehe. Nach der Entscheidung 9 ObA 66/21b sei die Situation auch im Fall einer zahnärztlichen Assistentin nicht anders sei als bei einem Lehrling. In der Gesamtschau stelle sich die Situation bei der Klägerin nicht entscheidend anders dar, als bei einem Lehrling mit Lehrvertrag (§ 12 BAG), der nach 9 ObA 66/21b nicht zum Rückersatz ausbildungsspezifischer Kosten verpflichtet werden könne. Eine Überwälzung der Finanzierung der Kosten einer Standardausbildung zum Lehrberuf der zahnärztlichen Assistenz auf die Klägerin sei daher nicht zulässig gewesen.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es teilte im Ergebnis die Rechtsauffassung des Erstgerichts und ergänzte, dass aus der zwingenden Wirkung der Regelungen des BAG über die Ausbildungspflicht und die Pflicht zur Zahlung einer Lehrlingsentschädigung (§§ 9, 17 BAG) folge, dass das Verbot der Überwälzung der Ausbildungskosten auf die Auszubildende auch nicht durch vertragliche Vereinbarung umgangen werden dürfe. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob eine derart unzulässige Vereinbarung eine zu Beginn oder während des Ausbildungsverhältnisses schlagend werdende „Kostentragungspflicht“ der Auszubildenden oder von Beginn an so vereinbart werden solle oder – wie im Fall der Entscheidung 9 ObA 66/21b – durch Wirksamwerden einer vereinbarten Ausbildungskostenrückerstattung erfolge. Beides führe im Ergebnis zur gleichen – unzulässigen – Schmälerung des Entgeltanspruches der Auszubildenden durch Überwälzung der Ausbildungskosten. Der Zugang zu einer durch das Berufsausbildungsgesetz (bzw hier das ZÄG) geregelten Ausbildung solle auch nicht vom finanziellen Leistungsvermögen des Auszubildenden oder seiner Eltern abhängen. Auf ein zur Abgeltung der von der Klägerin getragenen Ausbildungskosten vereinbartes und geleistetes überkollektivvertragliches Entgelthabe sich der Beklagte im Verfahren nicht gestützt. Da sich damit die Klagestattgebung ausgehend von den im Berufungsverfahren unstrittigen Sachverhalt als zutreffend erweise, brauche auf die Mängel- und Tatsachenrüge zu anderen Feststellungen nicht eingegangen werden.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage der Zulässigkeit der Überwälzung der Ausbildungskosten in der zahnärztlichen Assistenz nach § 81 ZÄG auf die Auszubildende im Wege einer von Beginn an geschlossenen Vereinbarung keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

[10] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision des Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[13] 1. Voranzustellen ist, dass der Beklagte in seiner Revision nicht die Richtigkeit der Entscheidung 9 ObA 66/21b in Frage stellt, sondern meint, dass der dort zu beurteilende Sachverhalt, in dem die Frage zu klären gewesen sei, ob eine nach dem Zeitpunkt des Übergangs des befristeten Dienstverhältnisses in ein unbefristetes gemeinsam mit der Obsorgeberechtigten unterzeichnete Rückzahlungsvereinbarung einer Minderjährigen einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft hätte, mit dem hier gegenständlichen Fall nicht vergleichbar sei. Hier hätten zwei Parteien im Rahmen der Privatautonomie und in Abwägung des persönlichen Vorteils der Klägerin beschlossen, dass der Beklagte die Klägerin in Form eines unbefristeten Dienstverhältnisses unter der Voraussetzung, dass die Klägerin ihre Ausbildungskosten selbst bezahle, (weiter, dann unbefristet) beschäftige und die erforderliche praktische Ausbildung im Rahmen des Dienstverhältnisses vornehme.

[14] 2. Nach Ansicht des Senats sind die Grundsätze der Entscheidung 9 ObA 66/21b sehr wohl auf den hier zu beurteilenden Fall anwendbar:

[15] 2.1. Die Ausbildung in der zahnärztlichen Assistenz wird sowohl im 2. Abschnitt des 3. Hauptstücks des Zahnärztegesetz (ZÄG) idF BGBl I 2012/38 als auch im 2. Hauptstück der am 1. 10. 2013 in Kraft getretenen ZASS‑Ausbildungsverordnung (ZASS‑AV) BGBl II 2013/283 geregelt. Danach erfolgt die Ausbildung in der zahnärztlichen Assistenz im Rahmen eines Dienstverhältnisses zu einem Angehörigen des zahnärztlichen Berufes. Die Ausbildung dauert drei Jahre und umfasst eine theoretische und praktische Ausbildung in der Dauer von mindestens 3.600 Stunden, wobei mindestens 600 Stunden auf den theoretischen Unterricht und mindestens 3.000 Stunden auf die praktische Ausbildung entfallen. Die theoretische Ausbildung ist in einem Lehrgang für zahnärztliche Assistenz zu absolvieren, die praktische Ausbildung ist in zahnärztlicher Assistenz nach Anordnung und unter Anleitung und Aufsicht eines Angehörigen des zahnärztlichen Berufes durchzuführen. § 8 Abs 3 des Kollektivvertrags für Zahnarztangestellte enthält Mindestgehälter für zahnärztliche AssistentInnen in Ausbildung für das erste, zweite und dritte Ausbildungsjahr, die jeweils einen Bruchteil des Mindestgehalts für das erste Berufsjahr betragen.

[16] 2.2. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in der bereits angesprochenen Entscheidung 9 ObA 66/21b (DRdA 2022/21, 332 [B. Huber] = wbl 2022/22, 105 [Grillberger]) zwar (im Ergebnis) die vom Revisionswerber angesprochene – hier nicht zu beurteilende – Frage der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung einer Ausbildungskostenrückersatzvereinbarung über die Kosten eines Lehrganges für zahnärztliche AssistentInnen zu beantworten hatte. Er verneinte diese Frage, begründete sie allerdings damit, dass für die von der dortigen Klägerin geleistete (Rück)Zahlung von Ausbildungskosten kein gültiger Rechtsgrund bestanden habe. Eine Rückforderung von Lehrgangskosten zur Ausbildung zur zahnärztlichen Assistenz komme aufgrund des Charakters eines Lehrverhältnisses zum Lehrberuf der zahnärztlichen Fachassistenz, im Rahmen dessen eine gesetzlich vorgesehene Standardausbildung absolviert werde und eine Entlohnung zum kollektivvertraglichen Mindestgehalt vorliege, nicht in Betracht.

[17] Zunächst leitete der Oberste Gerichtshof aus der in § 9 Abs 1 BAG normierten Ausbildungspflicht des Lehrberechtigten und vor dem Hintergrund des besonderen Ausbildungscharakters eines Lehrverhältnisses die Unzulässigkeit einer Ausbildungskostenrückersatzklausel im Lehrverhältnis nach dem BAG ab. In einer Gesamtschau stelle sich die Situation in einer in § 81 ZÄG geregelten und in der Lehrberufsliste enthaltenen Ausbildung in der zahnärztlichen Assistenz (vgl § 35a BAG) aber nicht entscheidend anders dar als bei einem Lehrling mit einem Lehrvertrag (§ 12 BAG). Auch eine Überwälzung der Kosten einer erfolgreich abgeschlossenen Standard-Ausbildung zum Lehrberuf der zahnärztlichen Assistenz komme daher nicht in Betracht.

[18] 2.3. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt auch eine Umgehung einer Überwälzung der Kosten der theoretischen Ausbildung durch eine vertragliche Vereinbarung nicht in Betracht, wobei es keinen Unterschied macht, ob diese Vereinbarung zu Beginn oder während des Ausbildungsverhältnisses abgeschlossen wurde.

[19] 2.4. Soweit der Beklagte erstmals in seiner Revision damit argumentiert, dass hinsichtlich der dritten Teilzahlung das Argument einer unzulässigen Schmälerung des Entgelts der Klägerin nicht tragfähig wäre, weil diese ab Februar 2019 nach der Umstellung auf die KollV-Gruppe zahnärztliche Assistentin nach Ausbildung ein wesentlich höheres Entgelt bezogen hätte, so bestehen dazu keine Feststellungen. Unstrittig wurde die Klägerin vom Beklagten aber immer nur nach den kollektivvertraglichen Mindestgehältern entlohnt. Ob eine überkollektivvertragliche Entlohnung der Auszubildenden allenfalls eine andere Beurteilung des Falls zuließe, braucht hier daher nicht geprüft zu werden. Darauf, dass es für die Beurteilung der gegenständlichen Vereinbarung nicht darauf ankommen kann, ob die Klägerin bei Zahlung der Ausbildungskosten finanziell von ihren Eltern unterstützt wurde, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen (vgl 9 ObA 249/89).

[20] 2.5. Ebensowenig spielt es eine Rolle, dass es durch die gegenständliche Vereinbarung zu keiner Beschränkung der Kündigungsfreiheit der Klägerin gekommen ist, weil die Unzulässigkeit der Überwälzung von Ausbildungskosten, wie erläutert, in den zwingenden Bestimmungen der §§ 9 und 17 BAG begründet ist (vgl 9 ObA 66/21b). Auch mit dem Verweis des Revisionswerbers auf die Privatautonomie ist für ihn nichts zu gewinnen, weil diese durch die Unzulässigkeit der Überwälzung der Ausbildungskosten in diesem Bereich gerade einer Beschränkung unterliegt. Insofern spielt auch die in der Revision angesprochene Erwartungshaltung der Klägerin durch den Abschluss der Vereinbarung keine Rolle.

[21] Der Revision des Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

[22] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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