OGH 6Ob149/22p

OGH6Ob149/22p28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch Dr. Farhad Paya Rechtsanwalt GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, *, Zweigniederlassung P*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 15.665 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 11. Dezember 2019, GZ 4 R 148/19w‑29, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 21. August 2019, GZ 50 Cg 100/17d‑25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00149.22P.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 12. 5. 2020, 6 Ob 46/20p, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Zu I.:

[1] Mit Beschluss vom 12. 5. 2020, 6 Ob 46/20p, wurde das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der Europäische Gerichtshof hat darüber mit Urteil vom 14. 7. 2022 entschieden. Das Verfahren über die Revision des Klägers ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

[2] Der Kläger kaufte am 31. 10. 2012 von der beklagten Fahrzeughändlerin einen PKW der Marke Skoda, Modell Yeti, 4x4 twenty elegance TDI zum Preis von 24.100 EUR brutto. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der vom „VW-Abgasskandal“ betroffen ist.

[3] Konkret ist unstrittig, dass die Motorsteuergerätesoftware über eine Fahrzykluserkennung verfügte, die erkannte, wenn das Fahrzeug den Prüfzyklus (NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus) durchfuhr. Unstrittig ist weiters, dass bei Durchlaufen des NEFZ von den zwei vorhandenen Betriebsmodi, die die Abgasrückführung (AGR) steuerten, der Modus 1 aktiv war, in dem es zu einer höheren AGR-Rate kam, wohingegen im normalen Straßenverkehr durchgehend der Modus 0 mit geringerer AGR-Rate aktiv war (künftig „Umschaltlogik“). Bei der Abgasrückführung handelt es sich um eine Technik zur Vermeidung des Entstehens von Stickoxid (NOx), das aus der Reaktion von Stickstoff und Sauerstoff während des Verbrennungsvorgangs entsteht. Im Rahmen der Abgasrückführung wird das Abgas aus dem Auslassbereich des Motors über ein AGR‑Ventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet und ersetzt dort einen Teil der Frischladung, die für den nächsten Verbrennungsprozess benötigt wird. Im Ergebnis bildet sich dadurch weniger Stickoxid.

[4] Bei Kenntnis der Typengenehmigungsbehörde von dieser Abschalteinrichtung hätte die Typengenehmigung nicht erteilt werden dürfen. Die Typengenehmigungsbehörde schrieb der Herstellerin der Motorenreihe EA189 deshalb vor, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen, was von dieser in Form eines Software‑Updates umgesetzt wurde. Dieses Software‑Update wurde beim Fahrzeug des Klägers im November 2016 durchgeführt.

[5] Hätte der Kläger Kenntnis von einer Manipulationssoftware oder einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.

[6] Der Kläger begehrt die Aufhebung des Kaufvertrags und Zahlung von 15.665 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. 12. 2012 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Er stützt seine Ansprüche auf Gewährleistung, arglistige Irreführung und einen von der Beklagten verursachten Irrtum. Das Software-Update habe keine Behebung des Mangels bewirkt, sondern zu einer Verschlechterung der Motorleistung geführt. Er lasse sich ein Benützungsentgelt in Höhe von 35 % des Kaufpreises anrechnen.

[7] Die Beklagte wendet ein, das Fahrzeug erfülle die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften, weil es über eine aufrechte EG-Typengenehmigung und Zulassung verfüge und verkehrstauglich, betriebssicher und uneingeschränkt im Straßenverkehr benutzbar sei. Darüber arbeite die Abgasrückführung infolge des Software-Updates nur mehr in einem einheitlichen Betriebsmodus.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es verneinte das Vorliegen eines Rechts- oder Sachmangels. Selbst wenn man das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung als Mangel qualifiziere, sei dieser durch das Software-Update behoben worden. Neue Fehler durch das Update seien nicht erwiesen. Hinsichtlich eines Geschäftsirrtums – der zu verneinen sei – sei der Kläger durch die Installation des Software-Updates klaglos gestellt.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es ließ die Revision wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Ansprüchen auf Gewährleistung und Wandlung im Zusammenhang mit dem „Abgasskandal“ zu. Rechtlich führte es aus, die ursprünglich vorhandene Software („Umschaltlogik“) könnte nur dann einen Sachmangel begründen, wenn das Fahrzeug ohne ihren Einsatz beim Durchfahren des Prüfzyklus unter Laborbedingungen die Abgasklasse EU5 nicht eingehalten hätte. Ein derartiges Vorbringen sei aber in erster Instanz nicht erstattet worden. Auf einen Rechtsmangel wegen eines drohenden Zulassungsentzugs komme der Kläger in der Berufung nicht zurück. Das Entstehen neuer Mängel durch die Installation des Software-Updates habe er nicht beweisen können; die Negativfeststellung gehe zu seinen Lasten. Der einzige konkret behauptete Mangel in Form der „Manipulationssoftware“ sei durch das Update beseitigt worden. Irrtumsrechtlich seien nur das Vorliegen der Typengenehmigung und der Übereinstimmungsbescheinigung verkehrswesentliche Eigenschaften, sodass kein Geschäftsirrtum vorliege. Selbst unter der Annahme eines Irrtums über die manipulierte Software sei der Kläger durch das Software-Update klaglos gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[11] 1. Im Verfahren war nicht strittig, dass das Fahrzeug in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ) fällt.

[12] 2.1. Vorauszuschicken ist, dass sich der Kläger – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – sehr wohl bereits vor dem Erstgericht darauf stützte, dass die Einhaltung der geltenden Abgasnormen (EU5) nur mittels der „Umschaltlogik“ erreicht werden konnte, indem er vorbrachte, diese manipuliere die Motorsteuerung dahin, dass für Abgastests die Abgaswerte im Gegensatz zum realen Fahrbetrieb reduziert würden, wohingegen sie während letzterem weit überschritten würden. Damit wandte er sich offenkundig nicht gegen die Prüfung der Einhaltung der geltenden Abgasnormen im Wege des NEFZ, sondern wies auf die Einhaltung der Normen nur mithilfe der unterschiedlichen Betriebsmodi hin.

[13] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 (ÖJZ 2023/31, 193 [Perner/Spitzer] = ZVR 2023/83, 236 [Kathrein]) ausführlich zu Gewährleistungsansprüchen Stellung genommen, die – wie im vorliegenden Fall – aus der Mangelhaftigkeit eines Dieselfahrzeugs abgeleitet wurden, das mit einem Motor des Typs EA189 derselben Herstellerin ausgestattet war.

[14] Auch im vorliegenden Fall ist die im Zeitpunkt der Übergabe des Kaufgegenstands vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren. Eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV [Rn 98] ÖJZ 2021/38 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung – wie die auch im vorliegenden Fall zu beurteilende Einrichtung –, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, auch nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV [Rn 115]; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47 f]).

[15] 2.3. Nach dem Urteil C‑145/20 des EuGH (Rs Porsche Inter Auto und Volkswagen, ÖJZ 2022/114 [Brenn]) ist ein Kraftfahrzeug, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinne der Verbrauchsgüterkauf‑RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl L 171/12 vom 7. 7. 1999), konkret deren Art 2 Abs 2 lit d, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann (Beantwortung der Frage 1; vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 49]).

[16] 2.4. Diese Beurteilung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL führt auch zur Qualifikation eines solchen Kraftfahrzeugs als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 50]). Das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ begründet daher auch im vorliegenden Fall einen Mangel im Sinne des § 922 ABGB. Da es sich dabei um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handelt, ist er als Sachmangel zu qualifizieren (vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 51]).

[17] 3.1. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, im Weg der Durchführung des Software-Updates den bei Übergabe vorhandenen Mangel, der im Vorhandensein einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung bestanden habe, behoben zu haben.

[18] 3.2. Der Kläger macht zutreffend einen rechtlichen Feststellungsmangel geltend, weil aufgrund der getroffenen Feststellungen der Erfolg der Verbesserung nicht beurteilt werden kann.

[19] Die Feststellung, durch das Software-Update seien die betroffenen Fahrzeuge in den Zustand versetzt worden, „den sie eigentlich von Anfang an haben hätten sollen“, ist zur Beurteilung nicht ausreichend, weil sich daraus nur die rechtliche Einschätzung der Vertragskonformität und des Verbesserungserfolgs durch das Erstgericht, nicht aber die Wirkungen des Software-Updates entnehmen lassen. Auch die darüber hinaus getroffene (Negativ-)Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass sich durch das Update die Leistung des Fahrzeugs verringert oder der Treibstoffverbrauch erhöht hätten, lässt keinen Schluss auf die Beseitigung des bei Übergabe vorhandenen Mangels zu.

[20] Dies macht die Aufhebung der angefochtenen Urteile samt Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich, das – nach Erörterung mit den Parteien – die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.

[21] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte