OGH 6Ob69/23z

OGH6Ob69/23z28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Mag. Wolfgang Gartner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 124.216,94 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Februar 2023, GZ 3 R 164/22t‑29 mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. August 2022, GZ 39 Cg 8/22b‑24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00069.23Z.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt Zahlung von 124.216,94 EUR aus offenen Rechnungen. Sie habe mit dem Beklagten persönlich vereinbart, dass auf sie zugelassene Fahrzeuge dem Beklagten (als Inhaber eines Fahrschulbetriebs) entgeltlich zur Verfügung gestellt und Fahrlehrer von ihr „übernommen“ (bei ihr angestellt) würden, wobei deren (von ihr vorweg zu bezahlende) Gehälter dem Beklagten weiterzuverrechnen seien.

[2] Der Beklagte bestritt, jemals zugesagt zu haben, (persönlich) für Personal‑ und Fahrzeugkosten aufzukommen. Er sei Angestellter der Fahrschule „W*“ gewesen und erst später (am 15. 5. 2020) als Inhaber der „Fahrschule W* – Ing A*“ im Firmenbuch eingetragen worden. Die Außenstelle der Fahrschule habe er aber nicht weitergeführt. Eine – diese betreffende und nur für eine Übergangszeit bis Ende August 2019 gültige – Vereinbarung sei nicht mit ihm, sondern mit der W* GmbH (im Weiteren kurz: GmbH) geschlossen worden. Vorsichtshalber wendete er für die über August 2019 hinausgehende Nutzung der Räumlichkeiten der Außenstelle durch die Klägerin für eigene Zwecke eine Gegenforderung in Höhe von 58.402,88 EUR an bis März 2020 bezahlten Leasingbeträgen ein.

[3] Das Erstgericht stellte – auf das für das Revisionsverfahren Wesentliche verkürzt – den Inhalt einer schriftlichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und der GmbH fest („[Komplementär der Klägerin, Klägerin samt Adresse] und [GmbH samt Adresse] trafen […] folgende Vereinbarung:“), welche von den beiden geschäftsführenden Gesellschaftern, dem Beklagten und Ing. M* L*, namens der GmbH und vom Komplementär, namens der Klägerin, unterschrieben worden war. Darüber hinaus legte das Erstgericht zugrunde, dass es „immer nur um eine Vereinbarung zwischen [dem Komplementär] mit der Klägerin auf der einen Seite sowie [Ing. L*] und [dem Beklagten] mit der Fahrschule [W*] auf der anderen Seite“ gegangen sei und der Komplementär nicht beachtet habe, dass die Vereinbarung auf die GmbH lautete. Der Beklagte sei seit 15. 5. 2020 als Einzelunternehmer mit der Firma „FAHRSCHULE-W* [Nachname des Beklagten] e.U.“ im Firmenbuch eingetragen gewesen. Zuvor sei Ing. M* L* Inhaber gewesen; die Firma habe (damals) „FAHRSCHULE-W* Ing. [M* L*] e.U.“ gelautet.

[4] Zu den Rechnungen hielt das Erstgericht fest, dass diese ab 24. 6. 2019 (bis 13. 1. 2020) von einer namentlich genannten Person „von A* Bildungsinstituts, A* GmbH“ (die später vom Erstgericht in Bezug auf den Komplementär als „seine“ bezeichnet wird) dem Beklagten an eine auf die Fahrschule lautende E‑Mail‑Adresse unter Angabe (jeweils) von „Rechnungsnummer Fa W* GmbH“ (was einer gekürzten Angabe der GmbH entspricht) und einer Kurzbezeichnung des Inhalts (etwa: „Gehälter 06-2019“) übermittelt wurden, sie an die „Firma Fahrschule W* [mit der Adresse des Hauptstandorts] gerichtet waren, wobei die UID‑Nummer ab Dezember 2019 geändert wurde. Darüber hinaus stellte das Erstgericht fest, welche Rechnungen bis 21. 1. 2020 von der „FAHRSCHULE-W* ING. M* L* e.U.“ bezahlt wurden und welche Rechnungen noch offen sind.

[5] Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung, nicht jedoch die eingewendete Gegenforderung zu Recht bestehen und gab der Klage statt. Gemäß § 914 ABGB sei bei Verträgen nicht am Buchstaben zu kleben, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen. Entscheidend sei daher nicht, dass auf der Vereinbarung die GmbH aufgeschienen sei, sondern es „entscheide[t]“ vielmehr „der Wille der Beteiligten, eine Vereinbarung zwischen [dem Komplementär], genauer unter Benützung der Klägerin, und der Fahrschule, genauer dem Einzelunternehmen Ing. L* samt seinem Nachfolger [dem Beklagten], zu treffen“. Zum selben Ergebnis führe „der Weg über § 1405 ABGB und die Vertragsübernahme“. Das Verhalten des Beklagten, der die ausgestellten Rechnungen beglich und die „entsprechende UID‑Nummer verwendete und verwenden ließ“, könne nur so verstanden werden, dass er in die Position der GmbH habe „eintreten“ wollen, was dem Willen der Klägerin entsprochen habe. Zur Gegenforderung vertrat das Erstgericht die Ansicht, es mangle an einer Vereinbarung zwischen den Parteien hinsichtlich auch nur einer Beteiligung an den Kosten der Liegenschaft.

[6] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in eine Klagsabweisung ab. Der Abschluss einer zwischen den Streitteilen persönlich abgeschlossenen Vereinbarung sei aus den Beweisergebnissen nicht ableitbar. Die (vom Beklagten vorgelegte) Vereinbarung mit der GmbH entspreche nicht der von der Klägerin behaupteten, weil die Regelung des Entgelts (eines Zuschlags von 20 %) darin fehle. Der Wortlaut dieser (schriftlichen) Vereinbarung sei eindeutig und lasse für eine ergänzende Interpretation des vom Erstgericht angenommenen Inhalts keinen Spielraum. Ob der Geschäftsführer der Klägerin subjektiv der Ansicht gewesen sei, mit dem Beklagten persönlich zu kontrahieren, sei für die rechtliche Beurteilung nicht entscheidend, weil es dafür auf einen übereinstimmenden, vom Wortlaut der schriftlichen Vereinbarung abweichenden und dem Klagsvorbringen entsprechenden Parteiwillen ankäme, der aber nicht festgestellt sei. Der Beklagte sei erst seit 14. 5. 2020 Inhaber des Unternehmens „Fahrschule W*“ gewesen. Zahlungen seien auch nicht in seinem Namen, sondern durch den vormaligen Inhaber erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist im Sinne der Aufhebung der Vorentscheidungen auch berechtigt:

[8] 1. Die Klägerin bemängelt, dass sich das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts entfernt habe, ohne sich im Zuge einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck von den Parteien verschafft zu haben. Das Berufungsgericht habe die Beweisergebnisse „quasi umgedreht“ und einen anderen Sachverhalt festgestellt als das Erstgericht. Der Beklagte meint dagegen, es weise nach den Feststellungen nichts auf einen Konsens zwischen den Streitteilen hin.

[9] 2. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass ein von der festgehaltenen schriftlichen Vereinbarung (zwischen der Klägerin und der GmbH) abweichender Parteiwille nicht festgestellt worden sei. Ihm ist zwar einzuräumen, dass in dem als „Sachverhaltsfeststellungen“ titulierten Teil des Ersturteils – abseits der Formulierung, es sei „immer nur um eine Vereinbarung zwischen [dem Komplementär] mit der Klägerin auf der einen Seite sowie Ing. L* und [dem Beklagten] mit der Fahrschule [W*] auf der anderen Seite“ gegangen – keine Tatsachen angeführt sind, aus denen sich eine von der schriftlichen Vereinbarung abweichende übereinstimmende Willensbildung der Streitteile entnehmen ließe.

[10] Das Erstgericht hat aber – wenn auch in der rechtlichen Beurteilung – festgehalten, dass „der Wille der Beteiligten, eine Vereinbarung zwischen [Name des Komplementärs], genauer unter Benützung der Klägerin, und Fahrschule, genauer dem Einzelunternehmer Ing. L* samt seinem Nachfolger [Name des Beklagten] zu treffen, [...] entscheidet“. Mit diesen Ausführungen hat es – wenn auch disloziert – ausreichend deutlich gemacht, dass es im Tatsächlichen von einem (von der schriftlichen Vereinbarung) abweichenden Willen der Handelnden ausgeht. Insofern ist das Ersturteil (im Tatsächlichen) widersprüchlich oder jedenfalls unvollständig geblieben, weil darin einerseits feststeht, dass „[Name des Komplementärs, Klägerin samt Adresse] und [die GmbH]“ eine Vereinbarung“ „trafen“, andererseits aber auch ein dazu abweichender Willen der Beteiligten, der jedoch weder im Hinblick auf die konkreten Umstände seines Zustandekommens (in welchem Zeitpunkt und auf welche Weise, zwischen welchen Personen [und soweit diese nicht für sich selbst handelten: namens welcher Rechtsträger]) noch in Bezug auf seinen konkreten Inhalt vom Erstgericht umschrieben wurde.

[11] 3. In dieser Widersprüchlichkeit (und Unvollständigkeit) in Bezug auf die entscheidungswesentliche Behauptung der Klägerin, es sei zwischen ihr und dem Beklagten persönlich vereinbart worden, dass die bei der Fahrschule an der Außenstelle angestellten Fahrlehrer ab 1. 6. 2019 (zwar) bei der Klägerin angestellt, ihre Arbeitskraft (aber) dem Beklagten zur Verfügung gestellt und die Gehälter mit einem Zuschlag von 20 % MwSt und 20 % Bearbeitungsgebühr diesem weiterverrechnet, weiters dass die auf die Klägerin zugelassenen Fahrzeuge dem Beklagten für 990 EUR zuzüglich Umsatzsteuer pro Fahrzeug und Monat zur Verfügung gestellt werden sollten, zu der klare (positive oder gegenteilige) Feststellungen oder eine Negativfeststellung fehlen, liegt ein Feststellungsmangel dem zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt (vgl RS0042744).

[12] Ohne klare Feststellungen über die einem Klagebegehren zugrundeliegenden – dabei aber auch ausreichend konkret vorzubringenden – Tatsachen kann nämlich eine (richtige) rechtliche Beurteilung nicht stattfinden. Die Klägerin hat im vorliegenden Fall zwar den Inhalt der Vereinbarung schlüssig dargestellt, jedoch (noch) nicht wann, wo und auf welche Weise ein derartiger Vertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten (im eigenen Namen) zustande gekommen sein sollte. Dies ist bisher aber auch noch nicht mit der Klägerin erörtert worden.

[13] Darüber hinaus fehlen Feststellungen zur Behauptung des Beklagten, es sei eine Übereinkunft nur für eine kurze Übergangszeit bis längstens Ende August 2019 vereinbart gewesen.

[14] 4. Zur Behebung dieses Mangels sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung aufzutragen, wobei zuerst mit der Klägerin im fortgesetzten Verfahren zu erörtern sein wird, wann und auf welche Weise die von ihr behauptete Vereinbarung (insbesondere auch der von ihr behauptete und verrechnete Zuschlag, der in der schriftlichen Vereinbarung nicht enthalten ist) konkret zustande gekommen sein sollte.

[15] Sofern sich das Erstgericht auf eine „Vertragsübernahme“ bezogen hat oder darauf, dass der Beklagte (selbst) die Leistungen „in Anspruch genommen“ hätte (wobei unklar blieb, ob [und warum] er dabei [ab wann] als Unternehmensträger gehandelt hätte [und nicht als Angestellter des Fahrschulbetriebs eines anderen]), fehlen wiederum (schon Vorbringen und) festgestellte Tatsachen. Auch wenn der Beklagte in der Berufungsbeantwortung eingeräumt hat, „Rechtsnachfolger des Einzelunternehmens W* Ing. M* L* e.U.“ gewesen zu sein (was die Haftung des Beklagten für auf dem Unternehmen lastenden Verbindlichkeiten nach § 38 UGB, § 1409 ABGB begründen könnte), wird mit den Parteien die Grundlage dieser Rechtsnachfolge und einer daraus etwa folgenden Haftung zu erörtern sein. Selbst bei Übernahme oder Fortführung eines Unternehmens könnte der Beklagte zur Leistung jedenfalls nur für die auf diesem Unternehmen lastenden Schulden (nicht aber wegen einer Vereinbarung mit der GmbH) herangezogen werden.

[16] Zur Gegenforderung wird es zuerst der Erörterung (hier mit dem Beklagten) bedürfen, auf Basis welcher Rechtsgrundlage der Beklagte meint, zur Forderung berechtigt zu sein, und danach einer Klarstellung der Feststellungen dahin, ob mit der Wendung „[der Komplementär der Klägerin] machte in der Außenstelle mit seiner […]ges.m.b.H Weiterbildungskurse“ gemeint ist, dass diese Kurse namens dieser GmbH abgehalten wurden und sein Handeln dieser zuzurechnen ist oder ob dies namens der Klägerin erfolgte. Ohnehin steht jedenfalls schon jetzt fest, dass die Klägerin dort einen Tisch „für ihre Bürosachen“ benützte. Dass „nicht [mit wem auch immer] gesprochen“ wurde, „dass die Klägerin für die Benützung etwas bezahlen sollte“, zieht bei Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten durch einen Unternehmer im Zweifel keine Unentgeltlichkeit nach sich.

[17] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

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