OGH 8ObA39/23b

OGH8ObA39/23b27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M* F*, vertreten durch Mag. Ewald Hannes Grabner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch die Gahler Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, in eventu Anfechtung einer Kündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2023, GZ 10 Ra 12/23t‑25, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00039.23B.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war seit dem Jahr 2005 bei der Beklagten als Pflegehelferin beschäftigt. Sie befand sich vom 2. 10. 2019 bis 27. 1. 2020 und sodann durchgehend vom 17. 8. 2020 bis 31. 12. 2021 im Krankenstand. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 8. 7. 2021 unter Hinweis auf § 42 Abs 2 Z 2 Wiener VBO 1995 das Dienstverhältnis zum 31. 12. 2021 auf. Ein Grund für die Krankenstände war eine Überlastungsdepression.

[2] Die Vorinstanzen wiesen die auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses und hilfsweise auf Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung gerichtete Klage ab. Mit ihrer hiergegen erhobenen außerordentlichen Revision bringt die Klägerin keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Nach § 42 Abs 2 Z 2 WrVBO 1995 ist die Beklagte zur Kündigung eines Bediensteten berechtigt, wenn dieser für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern (RIS‑Justiz RS0081880). Dennoch kommt es nicht allein auf die Dauer und Häufigkeit der in der Vergangenheit aufgetretenen Krankenstände an (RS0081880 [T13]). Entscheidend ist vielmehr, ob daraus abgeleitet werden kann, dass der Dienstnehmer für die Erfüllung der Dienstpflichten gesundheitlich in Zukunft nicht geeignet ist (RS0081880 [T12, T16]). Kündigt ein Arbeitgeber das Dienstverhältnis allein aufgrund der bisherigen Krankenstände ohne Nachforschungen und Auseinandersetzung mit der ihm bekanntgegebenen oder bekannten Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten auf, so trägt er das Risiko, dass sich seine Prognose – nämlich sein Schluss, angesichts der bisherigen Krankenstände sei der Arbeitnehmer offenbar dienstunfähig – bei Anlegung eines objektiven Maßstabs als unrichtig erweist (RS0081880 [T17]). Ist der Arbeitnehmer (objektiv) „für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet“ (§ 42 Abs 2 Z 2 WrVBO), so liegt jedenfalls der genannte Kündigungsgrund vor. Hier war die Klägerin bei Ausspruch der Kündigung nicht nur bereits mehrere Monate im Krankenstand, dieser dauerte auch bis zum Ende des Dienstverhältnisses mehrere Monate später fort, sodass sich die der Kündigung zugrundeliegende negative Prognose der Beklagten als objektiv richtig erwies.

[4] 2. Das Berufungsgericht ging auf die Frage einer sozialen Gestaltungspflicht im vorliegenden Fall mit der Begründung nicht ein, die Klägerin habe gegenüber der Beklagten den Wunsch geäußert, nach Beendigung ihres Krankenstandes wieder in ihrer alten Station als Pflegehelferin eingesetzt zu werden. Dies ist im Einzelfall jedenfalls vertretbar. Ob das erst nach Einleitung des Kündigungsverfahrens ergangene Schreiben Beilage ./M hieran etwas zu ändern vermag, kann mangels Vorbringen zu freien Arbeitsplätzen dahingestellt bleiben. Die Beurteilung der Frage, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist, stellt im Übrigen schon wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0051942 [T4]).

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