European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00071.23D.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.127,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin und der Beklagte sind seit Mai 2016 verheiratet. Ein 2017 eingeleitetes Scheidungsverfahren endete, weil die Parteien sich zur Fortsetzung der Ehe entschlossen. Seit September 2019 ist erneut ein Scheidungsverfahren anhängig.
[2] Das Paar lebte gemeinsam in einer Wohnung in der R* Straße (im Folgenden: „Wohnung 1“), die auch im Ehevertrag vom März 2016 als „derzeitige Ehewohnung“ bezeichnet ist. Nur 14 Tage nach Abschluss des Ehevertrags (und somit noch vor der Eheschließung) schenkte der Beklagte die Wohnung 1 seinem erwachsenen Sohn und mietete sie von diesem mit unbefristetem Mietvertrag. Anfang April 2017 – während des ersten Scheidungsverfahrens – schloss der Beklagte stattdessen ohne Wissen der Klägerin mit seinem Sohn einen befristeten Mietvertrag mit Laufzeit bis Ende März 2020 ab.
[3] Die Klägerin verlegte ihren Hauptwohnsitz im August 2019 von der Wohnung 1 in ihr Elternhaus, um ihren Vater nach einer Operation pflegen zu können.
[4] Als die Klägerin Mitte März 2020 in die Wohnung 1 zurückkehren wollte, tauschte der Beklagte die Schlösser aus, sodass die Klägerin keinen Zutritt mehr hatte. Die Klägerin wohnt seither in einem Zimmer einer Privatpension.
[5] Der Sohn verlängerte das Mietverhältnis mit seinem Vater für die Wohnung 1 nicht, weil Streitigkeiten zwischen der Klägerin und der im selben Haus lebenden Lebensgefährtin des Sohnes bereits mehrfach eskaliert waren. Der Beklagte musste deshalb Ende März 2020 aus der Wohnung 1 ausziehen. Er lebt seither in einer Wohnung in der S* Straße (im Folgenden: „Wohnung 2“), die ihm kostenlos von einer GmbH zur Verfügung gestellt wird, an der er selbst einen Minderheitsanteil hält. Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer ist der Sohn des Beklagten. Die Wohnung 2 wurde nie von der Klägerin bewohnt und war auch nie dazu bestimmt, (auch) von der Klägerin bewohnt zu werden.
[6] Die Klägerin begehrte zuletzt gestützt auf § 97 ABGB im Wesentlichen Wiederherstellung durch Zutritt zur und rechtmäßigen Aufenthalt in der „Ehewohnung“ Wohnung 1 sowie die Unterlassung künftiger Störungen. Eine Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei weder vereinbart worden noch erfolgt. Die Schenkung von Wohnung 1 an den Sohn des Beklagten und die Vereinbarungen zu ihrer Anmietung seien dolos und nur zum Schein erfolgt. Die Liegenschaften der Klägerin seien entweder vermietet oder „Bruchbuden“ und könnten ihr Wohnbedürfnis daher nicht decken. Während des Verfahrens änderte die Klägerin ihr Vorbringen zu Wohnung 2 darauf ab, dass das Ehepaar auch diese Wohnung gemeinsam als Ehewohnung genutzt habe, und begehrte hilfsweise Wiederherstellung durch Zutritt zur und Übergabe der Schlüssel von der „ehelichen Zweitwohnung“ Wohnung 2 sowie die Unterlassung künftiger Störungen.
[7] Der Beklagte brachte unter anderem vor, dass die Klägerin kein dringendes Wohnbedürfnis habe, da sie über eine eigene Liegenschaft in * verfüge und vor der Eheschließung vereinbart worden sei, dass jeder Ehepartner seinen Wohnsitz behalte.
[8] Das Erstgericht wies mehrere Beweisanträge der Klägerin als verspätet zurück.
[9] Das Berufungsgericht verneinte im Berufungsurteil den deswegen geltend gemachten Verfahrensmangel.
[10] In der Sache wiesen die Vorinstanzen die Klage ab. Der Beklagte sei nach Ende des Mietvertrags über Wohnung 1 nicht mehr verfügungsberechtigt. Die Wohnung 2 genieße keinen Schutz nach § 97 ABGB, weil sie nie der Befriedigung der Wohnbedürfnisse der Klägerin gedient habe oder dienen hätte sollen.
[11] Mit ihrer Revision will die Klägerin die Klagsstattgebung erreichen. Der Beklagte beantragt ihre Abweisung.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Das Erstgericht wies Vorbringen und Beweisanträge der Klägerin gemäß § 179 ZPO mit Beschluss zurück. Dieses Vorgehen bekämpfte die Klägerin in ihrer Berufung als Verfahrensmangel. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel geprüft und verneint. Er kann in der Revision nicht nochmals geltend gemacht werden (RS0042963).
[13] Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge nur dann vor, wenn das Berufungsgericht sich mit der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht oder nicht auf aktenmäßiger Grundlage befasst hätte (RS0042963 [T9; T12; T28; T37; T58]). Dies ist hier nicht der Fall.
[14] 2. Die Klägerin betont in ihrer Revision, der Beklagte habe bei Wohnung 1 weder die Schlösser austauschen noch den unbefristeten Mietvertrag in einen befristeten umwandeln dürfen.
[15] 2.1. Gemäß § 90 Abs 1 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. Der Pflichtenkatalog umfasst nach dem Gesetzestext ausdrücklich auch die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen.
[16] 2.2. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser nach § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere (familienrechtlicher Wohnungserhaltungsanspruch).
[17] 2.3. Dass die Klägerin die Wohnung 1 im August 2019 verlassen hatte, schadet ihr im vorliegenden Fall nicht. Sie zog nach den Feststellungen nämlich aus, um ihren Vater zu pflegen, sodass von einer rechtmäßigen gesonderten Wohnungsnahme nach § 92 Abs 2 ABGB aus wichtigen persönlichen Gründen auszugehen ist (Stabentheiner/L. Kolbitsch in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 92 Rz 19; vgl 4 Ob 72/19w [Pkt 2.4]). Nach Wegfall des Grundes für die gesonderte Wohnungsnahme lebt die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen wieder auf (RS0106429).
[18] Der verbleibende Ehepartner darf die Ehewohnung in der Zwischenzeit nicht aufgeben (3 Ob 2101/96h; Stabentheiner/L. Kolbitsch in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 92 Rz 13), weil auch bei gesonderter Wohnungsnahme jeder Ehepartner das Recht behält, die Ehewohnung jederzeit und ohne Einholung der Zustimmung oder Gestattung durch den anderen Ehegatten zu betreten und zu benützen (Stabentheiner/L. Kolbitsch in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 92 Rz 13).
[19] 2.4. Der Klägerin ist also beizupflichten, dass der Beklagte sowohl durch den Schlosstausch (vgl RS0009561) als auch durch die Befristung des Mietvertrags ohne Wissen der Klägerin (vgl RS0119483) gegen seine ehelichen Pflichten verstoßen hat. Dies wurde von den Vorinstanzen jedoch ohnedies nicht in Zweifel gezogen. Die Klagsabweisung erfolgte vielmehr aus anderen Gründen.
[20] 3. Die Klägerin argumentiert, dass der Verlust der Verfügungsbefugnis über Wohnung 1 den Anspruch der Klägerin nicht zunichte machen könne, weil er Ausfluss der ehelichen Beistandspflicht nach § 90 ABGB sei und der Beklagte willkürlich gehandelt habe.
[21] 3.1. Der Wohnungserhaltungsanspruch an der Ehewohnung nach § 97 ABGB setzt – wie der Name schon suggeriert – eine aufrechte Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten an der Wohnung voraus. Diese Verfügungsberechtigung kann auf Eigentum, Wohnungs‑eigentum, persönlicher Dienstbarkeit, Baurecht, Bestandrecht, Leihe, Genossenschaftsrecht, Dienstrecht oder auf Bittleihe beruhen. Dem sich auf § 97 ABGB stützenden Ehegatten können dabei nie mehr Rechte eingeräumt werden, als dem anderen Ehegatten zustehen (RS0113119).
[22] 3.2. Das Vorbringen der Klägerin zu einer nur scheinbaren Aufgabe der Mietrechte im kollusiven Zusammenwirken mit dem Sohn konnte in diesem Verfahren nicht nachgewiesen werden. Nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt ist der Beklagte daher nicht mehr Mieter von Wohnung 1, sodass die von der Klägerin begehrte Wiederherstellung der konkreten Wohnmöglichkeit in Wohnung 1 von ihm nicht mehr bewirkt werden kann (vgl auch Stabentheiner/T. Maier in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 97 Rz 19; Ferrari in Schwimann/Kodek 5 [2018] § 97 Rz 16).
[23] Hat – wie hier – das Mietverhältnis für die geschützte Wohnung durch unrechtmäßige Kündigung des verfügungsberechtigten Ehegatten vor der erfolgreichen gerichtlichen Geltendmachung des Wohnungserhaltungs‑anspruchs geendet, so bleibt dem auf diese Wohnmöglichkeit angewiesenen Ehegatten nur ein Schadenersatzanspruch, etwa wegen des Aufwands für die Erlangung einer anderen Wohnmöglichkeit (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht2 [2021] § 97 ABGB Rz 35; vgl auch RS0005961; Stabentheiner/T. Maier in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021]§ 97 Rz 7 mwN; Höllwerth, Schadenersatzansprüche im Familienrecht, EF-Z 2016/139).
[24] Solche Ansprüche sind aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
[25] 4. Schließlich meint die Klägerin, dass der Wohnungserhaltungsanspruch nach § 97 ABGB auch Wohnungen wie Wohnung 2 umfasse, die nur einer der Ehepartner alleine benutzt habe. JederEhegatte sei nämlich im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet, den anderen, wohnungslosen Ehepartner bei sich aufzunehmen oder sonst bei der Erlangung einer Wohnmöglichkeit zu unterstützen.
[26] 4.1. Die Rechtsprechung subsumiert unter § 97 ABGB nicht nur eine von beiden Ehegatten bewohnte Ehewohnung, sondern auch eine Wohnung, die von den Ehegatten nicht mehr gemeinsam bewohnt wird, ja selbst eine Wohnung, die von den Ehegatten niemals gemeinsam bewohnt wurde, wenn sie nur seinerzeit als Ehewohnung bestimmt war und nur von einem Ehegatten, der nicht über sie verfügen kann, dringend benötigt wird (RS0009525; vgl auch RS0047289; so auch Barth/Dokalik/Potyka, ABGB [MTK]27 [2022] § 97 ABGB; Koch in KBB6 [2020] § 97 Rz 1; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2021] § 97 ABGB Rz 14; Beck, Gilt der Wohnungsschutz nach § 97 ABGB nur für die Ehewohnung?, EF-Z 2014, 205; Smutny in ABGB-ON1.08 [1. 3. 2023] § 97 Rz 6). Nicht geschützt ist dagegen eine Wohnung, die einem Ehegatten nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ohne Absicht von deren Wiederaufnahme zur Verfügung gestellt wird (8 Ob 91/12h).
[27] Nach den Feststellungen fällt die Wohnung 2 in keine der von der Rechtsprechung für § 97 ABGB herausgearbeiteten Kategorien. Sie wurde von der Klägerin nie bewohnt und war auch nie dafür vorgesehen.
[28] 4.2. In der Literatur wird teils eine noch weitergehende Definition vertreten, nach der auch weder jemals als Ehewohnung genutzte noch als Ehewohnung gewidmete Wohnungen umfasst sein sollen (Stabentheiner/T. Maier in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 97 Rz 4; Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2021] § 97 ABGB Rz 9; Giefing, Aspekte [1998] 120; Hopf/Kathrein, EheR3 [2014] § 97 ABGB Rz 3; Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 97 Rz 6; Frössel, Der Wohnungsschutz nach § 97 ABGB: Judikatur und offene Fragen, Zak 2014/9 [10]).
[29] Die Einbeziehung einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, in der die Wohnung von der Klägerin nie bewohnt wurde und für sie auch nie vorgesehen war, wird allerdings auch in diesen Kommentaren nie ausdrücklich befürwortet. Als Beispielfälle geschützter Wohnungen führen etwa Hinteregger und Ferrari vielmehr an, dass beide Ehegatten vereinbaren, dass ein Ehegatte eine bestimmte Wohnung alleine benützen soll, oder wenn ein Ehegatte berechtigterweise die Ehewohnung verlässt und in einer anderen Wohnung, über die der andere verfügungsberechtigt ist, gesondert Wohnung nimmt (Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2021] § 97 ABGB Rz 9; Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 97 Rz 6). Beiden Varianten ist gemeinsam, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte die Wohnung (allein) dem wohnungsbedürftigen zur Verfügung stellt. Gerade dieses Element fehlt hier jedoch.
[30] 4.3. Ob ein schadenersatzrechtliches Naturalrestitutionsbegehren statt auf Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzwohnung auf die Aufnahme in der neuen Wohnung des Ehepartners gerichtet werden könnte, ist hier nicht zu prüfen, weil die Klägerin solche Ansprüche nicht geltend macht. In der aktuellen (zehnten) Fassung ihrer Begehren lauten diese auf Wiederherstellung und Zutritt zur „ehelichen Wohnung“ Wohnung 1, in eventu zur „ehelichen Zweitwohnung“ Wohnung 2. Auch die Klagserzählung gründet zentral auf der nicht erwiesenen Behauptung, dass auch die Wohnung 2 als Ehewohnung gedient habe.
[31] 5. Die Klägerin entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt, wenn sie argumentiert, dass der Sohn den Mietvertrag für Wohnung 1 in arglistigem Zusammenwirken mit dem Beklagten nicht verlängert habe. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Behauptung, dass die Eheleute immer beide Wohnungen bewohnt hätten. In diesen beiden Punkten liegt daher keine ordnungsgemäße Rechtsrüge vor (RS0043603).
[32] 6. Da die Vorinstanzen Ansprüche der Klägerin schon mangels einer von § 97 ABGB geschützten Wohnung verneinen konnten, kommt es auf das dringende Wohnbedürfnis und damit die angebliche Wohnmöglichkeit der Klägerin auf ihrer Liegenschaft in * nicht an. Daher gibt es in diesem Zusammenhang keine sekundären Feststellungsmängel.
[33] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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