OGH 12Os52/23y

OGH12Os52/23y22.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Mair in der Strafsache gegen * M* und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 5 Hv 41/22d des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Jugendschöffengericht vom 12. August 2022, GZ 5 Hv 41/22d‑138, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00052.23Y.0622.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiete: Jugendstrafsachen, Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 12. August 2022, GZ 5 Hv 41/22d‑138, verletzt in seinem den Angeklagten * M* betreffenden Strafausspruch § 5 Z 4 iVm § 5 Z 11 JGG.

Betreffend diesen Angeklagten werden das Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie die nach §§ 50 ff StGB gefassten Beschlüsse aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 12. August 2022, GZ 5 Hv 41/22d‑138, wurde – soweit im Folgenden von Relevanz – der am 9. Mai 2001 geborene * M* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./I./1./) und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und „unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB und § 19 Abs 1 JGG nach § 28a Abs 4 SMG“ zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 4 StGB ein Strafteil von 28 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

[2] Gemäß § 20 Abs 1 und Abs 3 StGB iVm § 5 Z 6a JGG wurde bei ihm ein Betrag in Höhe von 5.000 Euro für verfallen erklärt. Mit zugleich gefassten (ON 137 S 10) – verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (US 5 f; vgl RIS‑Justiz RS0101841, RS0120887 [T2 und T3]) – Beschlüssen wurde dem Angeklagten eine Weisung erteilt und Bewährungshilfe angeordnet (§§ 50 ff StGB).

[3] Inhaltlich des Punktes A./I./1./ des Schuldspruchs hat M* in G* und an anderen Orten des Bundesgebiets von Juni 2018 bis zum 17. November 2021 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er die im Urteil bezeichneten Suchtgifte an einzeln angeführte bekannte und unbekannte Abnehmer gewinnbringend verkaufte, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge des § 28b SMG umfasste.

[4] Innerhalb der sich „unter Berücksichtigung des § 36 StGB iVm § 19 Abs 1 JGG aus § 28a Abs 4 SMG ergebenden Strafandrohung“ wertete das Erstgericht bei M* unter anderem die Tatbegehung teils als Jugendlicher, teils nach Vollendung des 18., jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahrs als mildernd (US 11).

[5] Gegen das vom Angeklagten unbekämpft gelassene Urteil erhob die Staatsanwaltschaft zu dessen Nachteil das Rechtsmittel der Berufung, mit welcher eine Anhebung der Freiheitsstrafe unter Ausschaltung der Anwendung des § 43a Abs 4 StGB sowie ein höherer Verfallsbetrag begehrt wurde (ON 146). Über diese hat das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht (AZ 8 Bs 10/23s) bislang nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt, steht das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht in seinem den Angeklagten M* betreffenden Strafausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[7] Sind Werte oder Schadensbeträge einer Jugendstraftat mit jenen einer Straftat, die nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres begangen wurde, zusammenzurechnen (§ 29 StGB), so richten sich die Strafdrohungen nach § 5 Z 2 bis 5 JGG; begründet jedoch allein die Summe der Werte oder Schadensbeträge der nach dem genannten Zeitpunkt begangenen Straftaten eine höhere Strafdrohung, so ist diese maßgeblich (§ 5 Z 11 JGG).

[8] Diese Grundsätze sind auch bei der Zusammenrechnung von Mengen im Suchtmittelbereich anzuwenden (Schroll in WK² JGG § 5 Rz 6). Daher kommt beim jungen Erwachsenen bei altersübergreifender Delinquenz nach § 28a Abs 1, Abs 4 Z 3 SMG dann die Strafdrohung des § 28a Abs 4 SMGzur Anwendung, wenn der nunmehr junge Erwachsene seine als Jugendlicher begonnenen Suchtmitteltransaktionen weiterhin mit Additionsvorsatz durchführt und auch in dieser Alterskategorie die herangezogene Mengenqualifikation überschreitet (Schroll in WK² JGG § 5 Rz 6/3; RIS‑Justiz RS0131430).

[9] Davon ausgehend vermögen die Urteilskonstatierungen, wonach der am 9. Mai 2001 geborene M* „ab Juni 2018 in regelmäßigen Abständen nach W*“ fuhr, dort die im Spruch genannten Suchtgifte bezog und diese „im angeführten Tatzeitraum“ verkaufte (US 7), wobei er es „beim Überlassen des Suchtgifts“ ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass „in Summe“ das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge des § 28b SMG überschritten werde (US 9), die Anwendung der Strafdrohung von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe aus § 28a Abs 4 SMG „unter Berücksichtigung des § 36 StGB iVm § 19 Abs 1 JGG“ nicht zu tragen. Sie treffen nämlich keine Aussage dazu, dass die von ihm nach Ablauf des 9. Mai 2019 als junger Erwachsener begangenen Tathandlungen isoliert gesehen eine Überschreitung der Mengenqualifikation des § 28a Abs 4 Z 3 SMG bewirkt hätten (§ 5 Z 11 zweiter Halbsatz JGG). Ist dies jedoch nicht der Fall, wäre gemäß § 5 Z 4 iVm § 5 Z 11 JGG von einem Strafrahmen bis zu siebeneinhalb Jahren auszugehen (vgl Schroll in WK² JGG § 5 Rz 6/1).

[10] Darin liegt, unabhängig davon, ob die verhängte Strafe die Grenzen der gesetzlichen Strafbefugnis tangiert, eine Gesetzesverletzung (RIS‑Justiz RS0086949; Schroll in WK² JGG § 5 Rz 26).

[11] Da sie sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, war die Feststellung der Gesetzesverletzung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO). Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Ausspruch über die Strafe ist durch diese Entscheidung gegenstandslos. Die Entscheidung über die Berufung gegen den Verfallsausspruch kommt dem Oberlandesgericht zu (vgl RIS‑Justiz RS0133326).

[12] Bleibt für den Fall der Erweislichkeit einer Überschreitung der Mengenqualifikation des § 28a Abs 4 Z 3 StGB (auch) als junger Erwachsener anzumerken, dass es sich beim Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG um eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben im Sinn des § 19 Abs 4 Z 1 JGG handelt, in dessen Anwendungsbereich § 19 Abs 1 JGG – in Bezug auf den Entfall des Mindestmaßes der angedrohten Freiheitsstrafe – nicht zum Tragen kommt (vgl RIS‑Justiz RS0091972, RS0134129, verstSen 18. 4. 2023, 15 Os 119/22x).

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