European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00054.23A.0524.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Exekutionsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin und die c* AG haben einen Reiseschutzversicherungsvertrag abgeschlossen. Versicherte Personen sind die Inhaber einer Mastercard.
[2] Zwischen der Beklagten und dem *verein (in Hinkunft: Verein) als Versicherungsnehmer besteht ein Versicherungsvertrag zur Kollektivunfallversicherung für Bergungskosten sowie Rückholung, Verlegung und Heilbehandlung. Versicherte Personen sind die Vereinsmitglieder. Diesem Vertrag liegen unter anderem die „Sondervereinbarungen für die Kollektivunfallversicherung des *vereins (Besondere Bedingung UVKU 1572)“ zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
„ 2. Versicherungsschutz für Rückholung, Verlegung und Heilbehandlung
2.1 Umfang des Versicherungsschutzes
[…]
2.2 Versicherungssummen
2.2.1 Die vollen Kosten eines medizinisch begründeten Transportes aus dem Ausland in ein Krankenhaus im Land des Hauptwohnsitzes des Verletzten/ Erkrankten oder an den Hauptwohnsitz […]. Voraussetzung für eine Rückholung ist neben der Transportfähigkeit des Versicherten […]
2.2.5 Die Transporte gemäß Punkt 2.2.1, 2.2.3 und 2.2.4 sowie bei stationärer Heilbehandlung gemäß Punkt 2.2.2 müssen von der auf der Mitgliedskarte angeführten Vertragsorganisation organisiert werden, ansonsten werden maximal 750 EUR vergütet.“
[3] Ein Inhaber einer Mastercard, der gleichzeitig Mitglied des Vereins ist, verunfallte in Japan.
[4] Die Klägerin begehrt von der Beklagten nach § 59 Abs 1 VersVG Ausgleich für die von ihr getragenen Rückholkosten.
[5] 1.1 Die in § 59 Abs 1 VersVG definierte Doppelversicherung ist ein Sonderfall einer Neben‑ bzw Mehrfachversicherung nach § 58 VersVG. Sie setzt voraus, dass dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr bei zwei Versicherern versichert ist. Ein zusätzlich erforderliches Merkmal ist, dass entweder (erste Alternative) die Summe der Versicherungssummen den Versicherungswert übersteigt oder (zweite Alternative), dass die Summe der von den Versicherern zu zahlenden Entschädigung aus anderen Gründen den Gesamtschaden übersteigt. Die Versicherer haften dem Versicherungsnehmer bei der Doppelversicherung im Sinn von § 890 ABGB zur gesamten Hand, jeweils nach Maßgabe des Vertrags. Der Versicherungsnehmer kann also von jedem der Versicherer (ganz oder teilweise) die Entschädigung fordern, die ihm nach dem Vertrag gebührt. Jeder Versicherer ist daher gegenüber dem Versicherungsnehmer genau in jenem Umfang zur Leistung verpflichtet, in dem er es auch ohne Doppelversicherung wäre (7 Ob 9/12t, 7 Ob 97/12h, 7 Ob 165/16i je mwN), dabei ist auf den tatsächlichen Geschehensablauf abzustellen. Bei der Bestimmung der Anteile kommt es nur darauf an, welche konkreten Beträge von den einzelnen Versicherern vertragsgemäß ohne Vorliegen der Doppelversicherung zu zählen wären (7 Ob 165/16i mwN).
[6] 1.2 Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 59 Abs 1 VersVG ist nicht strittig.
[7] 2. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Oberste Gerichtshof zur Auslegung von AGB‑Klauseln nicht jedenfalls, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtete oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (RS0121516 [T3, T37]). Die Auslegung von AGB-Klauseln ist nur dann revisibel, wenn deren Wortlaut nicht so eindeutig ist, dass Auslegungszweifel verbleiben können (vgl RS0121516 [T6, T17]).
[8] 3.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 ff ABGB) auszulegen und zwar orientiertam Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen. In allen Fällen ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [T5, T7, T87]).
Rechtliche Beurteilung
[9] 3.2 Aus dem völlig eindeutigen Wortlaut der Punkte 2.2.1 iVm 2.2.5 der Besonderen Bedingungen folgt, dass – bei Vorliegen der weiters genannten Voraussetzungen – die vollen Kosten eines medizinisch begründeten Krankentransports aus dem Ausland in ein Krankenhaus im Land des Hauptwohnsitzes des Verletzten/Erkrankten oder an denHauptwohnsitzersetzt werden (Punkt 2.2.1), sofern die Vertragsorganisation in Anspruch genommen wird. Ansonsten werden maximal 750 EUR vergütet (Punkt 2.2.5).
[10] 4.1 Die Klägerin, die im Übrigen ähnlicheBedingungen verwendet, erachtet die Klausel als ungewöhnlich nach § 864a ABGB und gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB.
[11] 4.2.1 Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen (RS0014646). Entscheidend ist, ob die Klausel beim entsprechenden Geschäftstyp üblich ist und ob sie den redlichen Verkehrsgewohnheiten entspricht (RS0105643 [T3]).
[12] 4.2.2 Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0016914 [T4, T32]).
[13] 4.3.1 Ob Punkt 2 derBesonderen Bedingungen UVKU 1572 zwischen der Beklagten und ihrem Vertragspartner – unbestritten einem Unternehmer – als vorformulierte, keine Hauptleistung regelnde, Vertragsbedingung einzuordnen ist, kann ebenso dahingestellt bleiben, wie die Beantwortung der Frage, ob die Klägerin sich überhaupt auf die Unwirksamkeit von dem Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und ihrem Versicherungsnehmer zugrunde gelegten Klauseln berufen kann. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die inkriminierte Klausel weder ungewöhnlich nach § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB ist, ist nämlich jedenfalls nicht korrekturbedürftig:
[14] 4.3.2 Die Klausel ist unter der eigenen Überschrift „2. Versicherungsschutz für Rückholung, Verlegung und Heilbehandlung“ im Unterpunkt „2.2 Versicherungssummen“ enthalten. Damit ist sie nicht im Text „versteckt“, sondern befindet sich dort, wo sie ein durchschnittlich sorgfältiger Leser auch vermuten würde (RS0105643 [T2]), sodass von einer Überrumpelung (RS0014646) keine Rede sein kann. Darüber hinaus entspricht sie der vom Versicherungsnehmer gewollten Rechtsposition, seinen Mitgliedern Versicherungsschutz nur in dem genannten Ausmaß zu verschaffen. Dies folgt bereits aus dem Vertragsverhältnis zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern, dem gleichfalls nur die Begründung eines eingeschränkten Versicherungsschutzes zugrunde liegt, wasschon daraus ersichtlich wird, dass die Website des Vereins den Hinweis „Was tun in Notfällen? Achtung: Vor Rückholung, Überführung, stationärer medizinischer Heilbehandlung im Ausland und Verlegung im Inland (nicht bei Bergung) unbedingt Kontaktaufnahme mit dem 24‑Stunden‑Notfallservice (ansonsten werden maximal 750 EUR ersetzt)“ und die ausdrückliche Anführung derkonkreten Vertragsorganisation und ihrer Telefonnummer enthält.DieserHinweis wird auf den Mitgliederkarten des Vereins wiederholt.
[15] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
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