OGH 2Ob79/23s

OGH2Ob79/23s16.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Mag. Alexander Wirth, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen zuletzt 117.029,92 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. März 2023, GZ 1 R 179/22s‑103, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00079.23S.0516.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin geriet bei Dunkelheit aus nicht feststellbaren Gründen mit ihrem PKW auf einer deutschen Autobahn ins Schleudern und kam querstehend, den rechten Fahrstreifen blockierend zum Stillstand. Der sich von hinten nähernde, bei der Beklagten haftpflichtversicherte, mit 15 Tonnen schweren Betonwänden beladene Sattelzug kollidierte mit dem Fahrzeug der Klägerin.

[2] Die Vorinstanzen bejahten unter Anwendung der §§ 7, 17 und 18 dStVG eine Haftung der Beklagten im Ausmaß von 50 %. Für keinen der Unfallbeteiligten sei ein unabwendbares Ereignis iSd § 17 Abs 3 dStVG vorgelegen. Bei der daher vorzunehmenden Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge sei die erhebliche Betriebsgefahr des auf der Autobahn quer zur Fahrbahn zum Stillstand gekommenen Fahrzeugs der Klägerin gleich hoch zu bewerten wie jene des Sattelzugs, dessen Lenker aufgrund der herrschenden Dunkelheit und bloßen Verwendung des Abblendlichts eine (relative) Geschwindigkeitsüberschreitung zu vertreten habe.

[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu berufen, für die Einheitlichkeit oder Rechtsfortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen oder Leitlinien zum richtigen Verständnis dieses Rechts zu entwickeln. Die Revision ist bei Anwendung fremden Rechts daher nur dann zulässig, wenn dieses Recht unzutreffend ermittelt oder eine in seinem ursprünglichen Geltungsbereich in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre oder wenn grobe Subsumtionsfehler vorlägen, die richtiggestellt werden müssten. Die Rechtsrüge einer außerordentlichen Revision muss bei Anwendung fremden Rechts ein Abweichen des Berufungsgerichts von der ausländischen Entscheidungspraxis bzw Lehre oder grobe Beurteilungsfehler im Einzelfall konkret aufzeigen (2 Ob 210/21b Rz 6 mwN). Diesen Anforderungen wird die außerordentliche Revision der Klägerin nicht gerecht.

[5] 2. Die Anwendung deutschen Haftpflichtrechts, das Nichtvorliegen eines unabwendbaren Ereignisses auch für die Klägerin iSd § 17 Abs 2 und Abs 3 iVm § 18 dStVG und ihre grundsätzliche Mithaftung auch für die Sach‑ und Betriebsgefahr des von ihr gelenkten Fahrzeugs zieht die Revision nicht in Zweifel, sodass darauf schon deshalb nicht mehr näher einzugehen ist (RS0043352 [T30, T32]). Dass das anzuwendende deutsche Haftpflichtrecht unzutreffend ermittelt worden wäre, behauptet die Revision ebenso wenig. Sie wendet sich im Ergebnis ausschließlich gegen die Bemessung der jeweiligen Verursachungsbeiträge.

[6] 3. Zwar sind bei Ermittlung des jeweiligen Verursachungsbeitrags nur unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zu berücksichtigen (vgl BGH VI ZR 228/03; vgl Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht27, § 17 StVG Rn 14). Die Klägerin legt aber nicht dar, welche nicht festgestellten bzw unklar gebliebenen Umstände die Vorinstanzen zu ihren Lasten gewertet hätten. Diese haben lediglich die mit dem Stillstand des Fahrzeugs verbundene Betriebsgefahr berücksichtigt. Dass auch die unklar gebliebene Beleuchtungssituation des Fahrzeugs der Klägerin zu ihren Lasten herangezogen worden wäre, ist den Entscheidungen nicht zu entnehmen.

[7] 4. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl bspw VI ZR 68/04 Rn 16 mwN; VI ZR 66/16 Rn 7) ist für die – im Einzelfall zu treffende und daher auch im Revisionsverfahren nur eingeschränkt zu überprüfenden – Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB bzw § 17 dStVG in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das Verschulden ist dabei nur ein Faktor der Abwägung (vgl auch Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht27, § 17 StVG Rn 17).

[8] 4.1. Die Behauptung, es entspreche der ständigen deutschen Rechtsprechung, dass bei einem Sattelzug stets von einer erhöhten Betriebsgefahr (einer höheren Verursachungsbeteiligung) auszugehen sei, bleibt unbelegt, sodass schon insoweit kein Abgehen von der ausländischen Entscheidungspraxis aufgezeigt wird. Mit ihrem Argument, es sei – neben der überhöhten Geschwindigkeit und der Betriebsgefahr des Sattelzugs – auch eine vermutete Unaufmerksamkeit dessen Lenkers zu berücksichtigen, übergeht die Klägerin die festgestellte, unmittelbar nach Erkennbarkeit der Gefahrenlage eingeleitete Abwehrreaktion.

[9] 4.2. Die von der Revision für die angestrebte Alleinhaftung der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidungen betrafen nicht vergleichbare Verkehrssituationen (OLG Celle 14 U 109/00: Alleinverschulden eines zu schnell [oder unaufmerksam], risikoreich fahrenden Radfahrers, der auf ein zulässig am Fahrbahnrand geparktes Fahrzeuggespann auffährt; OLG Brandenburg 12 U 222/06: Haftungsteilung 2 : 1 zu Lasten eines Sattelzugs gegenüber einem PKW bei ungeklärtem Unfallverlauf im Begegnungsverkehr) und sind daher schon deshalb nicht geeignet, ein Abweichen des Berufungsgerichts von der ausländischen Entscheidungspraxis oder einen groben Subsumtionsfehler aufzuzeigen.

[10] 5. Für die nicht freigestellte und daher nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Revisionsbeantwortung gebührt kein Kostenersatz (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO).

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