OGH 10ObS117/22m

OGH10ObS117/22m16.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, Tschechische Republik, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Bernhard Fink, Dr. Peter Bernhart, Mag. Klaus Haslinglehner, Mag. Bernd Peck, Mag. Kornelia Kaltenhauser, LL.M., und Mag. Michael Lassnig, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2022, GZ 7 Rs 47/22 s‑64, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 29. März 2022, GZ 1 Cgs 65/20k-53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00117.22M.0516.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Sozialrecht, Unionsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage der Berechnung der Ausgleichszahlung nach § 6 Abs 3 KBGG bzw des Unterschiedsbetrags iSd Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 , wenn der Bezugszeitraum der (vergleichbaren) in- und ausländischen Leistungen unterschiedlich lang ist.

[2] Die Klägerin lebt mit ihrem Ehegatten und den gemeinsamen Söhnen M*, geboren * 2018, und D*, geboren * 2020, in der Tschechischen Republik (künftig kurz: Tschechien). Vor der Geburt von M* war die Klägerin ab 1. April 2016 als Angestellte einer GmbH in Österreich unselbständig beschäftigt; von 25. Februar 2018 bis 17. Juni 2018 bezog sie (österreichisches) Wochengeld von 47,15 EUR täglich. Im Anschluss befand sich die Klägerin bis 2. April 2020 in Karenz. Am 13. März 2020 vereinbarte die Klägerin mit ihrem Dienstgeber von 2. April 2020 bis zum 4. Geburtstag von M* Elternteilzeit. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich (wegen der Schwangerschaft mit D*) bereits wieder in Mutterschutz; die vereinbarte Elternteilzeit (nach Ende der Karenz) trat sie nicht an. Der Ehegatte der Klägerin ist in Tschechienerwerbstätig.

[3] Am 12. April 2018 beantragte die Klägerin für M* pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante „730 Tage ab Geburt des Kindes“ für die höchstmögliche Bezugsdauer (2. April 2018 bis 31. März 2020), das sie für die Zeit von 18. Juni 2018 (nach Ende des Wochengeldbezugs) bis 29. Februar 2020 in Form einer Ausgleichszahlung von insgesamt 2.456,90 EUR (622 Tage zu je 3,95 EUR) auch erhielt. Bei der Berechnung der Ausgleichszahlung ging die beklagte Österreichische Gesundheitskasse vom unstrittigen Anspruch auf (österreichisches) Kinderbetreuungsgeld von insgesamt 11.061,82 EUR (653 Tage zu je 16,94 EUR) sowie davon aus, dass die Klägerin in Tschechien Anspruch auf Elterngeld („rodičovský příspěvek“) von 8.484,05 EUR hat.

[4] Durch eine Mitteilung der tschechischen Behörden erfuhr die Beklagte, dass die Klägerin in der Zeit von 1. Juli 2018 bis 30. April 2020 tatsächlich 9.486,71 EUR an (tschechischem) Elterngeld bezogen hatte. Aufgrund der darauf aufbauenden Neuberechnung der Ausgleichszahlung behielt die Beklagte den für März 2020 ermittelten Betrag von 74,71 EUR ein.

[5] Anspruch auf (tschechisches) Elterngeld hat jeder Elternteil, der das jüngste Kind der Familie selbst in Vollzeit angemessen erzieht und betreut, und dieses nicht älter als vier Jahre ist. Der Elternteil kann die Höhe des Elterngeldes und damit auch den Bezugszeitraum wählen, wenn mindestens ein Familienmitglied bei der Krankenkasse eingeschrieben ist.

[6] Mit Bescheid vom 31. August 2020 sprach die Beklagte aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum von „25. Februar 2018“ bis 17. Juni 2018 gemäß § 6 Abs 1 KBGG in voller Höhe sowie im Zeitraum von 18. Juni 2018 bis 31. März 2020 gemäß § 6 Abs 3 KBGG in Höhe von 9.486,71 EUR ruht und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz eines zu Unrecht bezogenen Betrags von 957,88 EUR. Da von diesem bereits 74,71 EUR einbehalten worden seien, hafte ein Betrag von 883,17 EUR unberichtigt aus.

[7] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass sie nicht zum Rückersatz von 957,88 EUR bzw 883,17 EUR verpflichtet, die Beklagte dagegen schuldig sei, ihr die zu Unrecht einbehaltenen 74,71 EUR zurück zu erstatten.

[8] Die Beklagtehielt dem entgegen, dass der Anspruch der Klägerin nach § 6 Abs 1 KBGG für die Dauer ihres Wochengeldbezugs zur Gänze ruhe. Da das tschechische Elterngeld eine dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Leistung iSd § 6 Abs 3 KBGG sei, führe dieses im bezogenen Ausmaß ebenfalls zum Ruhen des Anspruchs. Bei Berechnung der zu leistenden Ausgleichszahlung sei eine Gesamtbetrachtung anzustellen, wobei der Anspruch auf die ausländische Leistung aufgrund des Wegfalls des Bezugs zu Österreich durch das Ende der (gesetzlichen) Karenz der Klägerin (2. April 2020) nach Art 59 Abs 1 DVO (EG) 987/2009 nur bis 30. April 2020 zu berücksichtigen sei. Darauf aufbauend sei der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 18. Juni 2018 bis 31. März 2020 von insgesamt 11.061,82 EUR dem Anspruch auf Elterngeld für den Zeitraum von 1. Juli 2018 bis 30. April 2020 von 9.486,71 EUR gegenüberzustellen. Dies ergebe – nach einer Umrechnung auf Tagsätze – einen Übergenuss von 957,88 EUR bis 29. Februar 2020, von dem durch Einbehalt des für den Monat März 2020 zustehenden neu berechneten Betrags von 74,71 EUR (31 Tage zu je 2,41 EUR) nur mehr 883,17 EUR aushaften würden.

[9] Das Erstgericht wies dieKlage ab und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von 883,17 EUR an zu Unrecht bezogenem Kinderbetreuungsgeld.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Seit der Entscheidung des EuGH zu C-347/12 , Wiering, entspreche es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass für die Beurteilung, ob vergleichbare Leistungen iSd Art 68 VO (EG) 883/2004 bzw § 6 Abs 3 KBGG vorliegen, eine völlige Gleichheit bei der Berechnung und den Voraussetzungen ihrer Gewährung nicht erforderlich ist. Das entspreche auch der Ansicht der Lehre sowie dem Beschluss Nr F3 der Verwaltungskommission vom 19. Dezember 2018 zur Auslegung des Art 68 VO (EG) 883/2004 . Entgegen der Ansicht der Klägerin seien daher nicht nur deckungsgleiche Zeiträume der jeweiligen Leistungen, sondern die jeweiligen (Gesamt-)Ansprüche einander gegenüberzustellen.

[11] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der zeitlichen Kongruenz von Familienleistungen noch nicht Stellung genommen habe.

[12] In ihrer Revision begehrt die Klägerin, der Klage stattzugeben.

[13] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

[14] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[15] 1. Die Parteien ziehen nicht in Zweifel, dass die Klägerin Grenzgängerin iSd Art 1 lit f der VO (EG) 883/2004 und daher der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist. Unstrittig ist auch, dass Kinderbetreuungsgeld eine zu koordinierende Familienleistung iSd Art 1 lit z und Art 3 Abs 1 lit j VO (EG) 883/2004 sowie der DVO (EG) 987/2009 (RS0122905 [T3]; 10 ObS 36/21y ua), Österreich nach Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO (EG) 883/2004 subsidiär leistungszuständig (vgl EuGH, C-543/03 , Dodl und Oberhollenzer [Rn 64]) und das von der Mutter bezogene tschechische Elterngeld eine dem Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Leistung iSd § 6 Abs 3 KBGG bzw Art 10 VO (EG) 883/2004 ist (RS0125752 [T3]; vgl auch 10 ObS 147/21x SSV‑NF 35/73; EuGH C-347/12 , Wiering).

[16] 2. Auf Basis dieser Grundsätze geht die Klägerin – wie in der Berufung – zwar davon aus, dass die Beklagte ihr „nur“ eine Ausgleichszahlung (den Unterschiedsbetrag nach Art 68 Abs 2 VO [EG] 883/2004) zu leisten habe. Sie verweist jedoch darauf, dass sie zwischen 18. und 30. Juni 2018 nur Kinderbetreuungsgeld, aber kein Elterngeld und im April 2020 nur Elterngeld und kein Kinderbetreuungsgeld bezogen habe. Sie vertritt den Standpunkt, für diese Zeiträume habe mangels zeitlicher Kongruenz keine Anrechnung iSd Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 bzw § 6 Abs 3 KBGG zu erfolgen. Vielmehr sei eine – nicht näher dargelegte – Methode heranzuziehen, bei der ausschließlich der konkrete Überschneidungszeitraum der beiden Leistungen (hier also die Zeit zwischen 1. Juli 2018 und 31. März 2020) einander gegenübergestellt und nur insoweit ein Unterschiedsbetrag gemäß Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 ermittelt werde. Das würde dazu führen, dass kein Rückforderungsanspruch bestehe.

[17] 3. Dem ist nicht zu folgen.

[18] 3.1. Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, legt Art 68 Abs 1 VO (EG) 883/2004 Prioritätsregeln in Form einer Kaskade fest: Die Rangfolge bestimmt sich nach dem Grund, aus dem die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zur Anwendung kommen (10 ObS 148/14h SSV-NF 29/59 [ErwGr 3.3.]; 10 ObS 120/19y SSV-NF 33/70 [ErwGr 3.2.] ua). Darauf aufbauend enthält Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 sodann Antikumulierungsvorschriften für den Fall, dass (gleichartige) Ansprüche zusammentreffen: Der nach Abs 1 prioritär zuständige Mitgliedstaat hat die Leistung zu erbringen, wohingegen jene des nachrangig zuständigen Staats bis zur Höhe der prioritären Leistung auszusetzen ist. Ist die Leistung des nachrangig zuständigen Mitgliedstaats höher als die prioritäre Leistung, hat er – wenn sich die prioritäre Zuständigkeit aus einer Beschäftigung ergibt – ergänzend die Differenz (den Unterschiedsbetrag) zu leisten. Damit wird der Familie im Ergebnis die der Höhe nach günstigste Leistung garantiert (Günstigkeitsprinzip; 10 ObS 42/19b SSV-NF 33/29 [ErwGr 3.]; Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg] Art 68 VO [EG] 883/2004 Rz 7; Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG4 § 2 Rz 63; Burger-Ehrenhofer,KBGG und FamZeitbG3 § 2 KBGG Rz 55; vgl auch Juhasz, „Gleichartigkeit“ der Familienleistungen im EU‑Kontext und die daraus resultierende Säumnisproblematik, DRdA-infas 2020, 191 [192]).

[19] 3.2. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass sich die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung primär aufdie (hier nicht strittige) Vergleichbarkeit von Familienleistungen bezieht. Richtig ist auch, dass Beschlüsse der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit für die Gerichte nicht verbindlich sind (vgl EuGH C‑270/12 , Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat [Rn 63 mwN]) und im Schrifttum schon wiederholt auf ungelöste Fragen bei Berechnung des Unterschiedsbetrags hingewiesen wurde. Angesprochen werden dabei Probleme beim Zusammentreffen von Geld- mit Sachleistungen, bei der Währungsumrechnung sowie die Fragen, ob der Unterschiedsbetrag für jedes Kind gesondert oder pro Familie zu berechnen ist oder ob alle oder nur vergleichbare Leistungen zu berücksichtigen sind (vgl Felten in Spiegel, Art 68 VO [EG] 883/2004 Rz 9 ff; Marhold in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8, VO [EG] 883/2004 Rz 9 ff; Becker in Reinhard/Becker/Devetzi/Klein/Otting/Weber, EU‑Sozialrecht [9. Lfg IX/21] VO 883/04 – K Art 68 Rz 26 ff; Spiegel, Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts in Mazal, Die Familie im Sozialrecht [2009] 126 ff). Zwar wird teilweise auch die hier interessierende Frage der zeitlichen Kongruenz als Problemfeld genannt (Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG4 § 2 Rz 63). Näher haben sich damit bislang aber nur Spiegel und Felten beschäftigt:

[20] Spiegel (in Mazal, Die Familie im Sozialrecht, 129 ff) verweist darauf, dass der Umstand, dass nach § 6 Abs 3 KBGG – ungeachtet einer vorläufigen Leistung nach Art 68 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 iVm Art 7 DVO (EG) 987/2009 – der Unterschiedsbetrag grundsätzlich erst am Ende des ausländischen Leistungsbezugs festzustellen ist, auf die Anrechnung des Gesamtbetrags der ausländischen Leistung hinauslaufe. Das hält er zumindest dann für unionsrechtskonfrom, wenn – wie beim Kinderbetreuungsgeld – ein echtes Wahlrecht dahin besteht, die Leistung während eines kurzen Zeitraums mit höheren oder eines längeren Zeitraums mit niedrigeren periodischen Zahlungen zu beziehen, weil andernfalls die Gefahr einer Optimierung der insgesamt erhaltenen Leistungen drohe. Für den Fall, dass kein Wahlrecht besteht und sich die Anspruchszeiträume nicht decken, verneint er die Möglichkeit der Aufrechnung des Gesamtbezugszeitraums (Spiegel, Familienleistungen, 131). Dem schließt sich Felten (in Spiegel, Art 68 VO [EG] 883/2004 Rz 7) an und verweist darauf, dass Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 nur die Höhe der günstigsten Familienleistung garantiere. Dem Problem, dass die Wahl der Bezugsdauer zu Lasten des nachrangigen Staates ausgeübt wird, um von diesem möglichst lange hohe (Teil-)Leistungen zu beziehen, sei auf nationaler Ebene, etwa durch Berechnung des Unterschiedsbetrags im Nachhinein, zu begegnen.

[21] 3.3. Der Oberste Gerichtshof hatte sich mit unterschiedlich langen Bezugszeiträumen vergleichbarer Familienleistungen nur einmal zu befassen. Zu 10 ObS 6/10w (SSV-NF 24/9) schloss er sich für den Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 und VO (EWG) 574/72 der dargestellten Ansicht von Spiegel an und führte aus, § 6 Abs 3 KBGG ordne die Anrechnung des Gesamtbetrags der ausländischen Familienleistung an. Da die Antikumulierungsregel des Art 10 Abs 1 lit b Z i VO (EWG) 574/72 gerade unangemessene Vorteile bzw einen Überbezug von Leistungen verhindern solle, widerspreche das zumindest dann nicht dem Unionsrecht, wenn bei beiden Leistungen ein Wahlrecht hinsichtlich der Bezugsdauer bestehe. Vor dem Hintergrund, dass die dortige Klägerin die ausländische Leistung im selben Zeitraum hätte beziehen können wie das Kinderbetreuungsgeld (bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes), billigte der Oberste Gerichtshof die Ansicht des Berufungsgerichts, dass sich der zur Vermeidung von Doppelleistungen anzustellende Vergleich auf die gesamten Bezugszeiträume der Familienleistungen erstrecke und nicht auf Zeiträume im Ausmaß von (einzelnen) Tagen, Wochen oder Monaten beschränkt sei.

[22] 3.4. Von diesen Grundsätzen abzugehen, besteht im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 kein Anlass, zumal dadurch im Vergleich zur VO (EWG) 1408/71 keine relevante Änderung der Rechtslage eingetreten ist.

[23] So wie zu 10 ObS 6/10w (SSV-NF 24/9) kann auch hier die Bezugsdauer sowohl des Kinderbetreuungsgeldes als auch des Elterngeldes vom Bezieher gewählt werden. Durch eine entsprechende Wahl könnten daher in Summe Leistungen bezogen werden, die über das durch Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 garantierte Ausmaß allenfalls weit hinausgehen, und zu einer durch die Koordinierung der Familienleistungen nicht angestrebten Überkompensation von Familienlasten führen (vgl EuGH C‑543/03 , Dodl und Oberhollenzer [Rn 51 und 54; zur VO (EWG) 1408/71 ]). Wenn § 6 Abs 3 KBGG dem durch Anrechnung des Gesamtbetrags der ausländischen Leistung vorbeugt, verstößt das jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht gegen Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 , weil damit bewirkt wird, dass die höchste Leistung erhalten bleibt, aber kein (teilweiser) Verlust von Ansprüchen, die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gewähren, eintritt. Eine Benachteiligung aufgrund der Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit – wie sie die Klägerin ansatzweise behauptet – liegt darin nicht.

[24] 3.5. Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass Art 68 Abs 1 VO (EG) 883/2004 „denselben Zeitraum“ anspricht. Denn Art 68 Abs 1 VO (EG) 883/2004 regelt in erster Linie die Rangfolge der vor- und nachrangig zuständigen Staaten, was evidentermaßen nur bei aktuellen (vgl Art 59 DVO [EG] 987/2009) Anspruchskonflikten, das heißt dann notwendig ist, wenn zur selben Zeit Leistungen in verschiedenen Staaten zu gewähren sind. Die hier relevanten Antikumulierungsregeln finden sich hingegen ausschließlich in Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 . Diesem ist eine Anordnung dahin, dass bei der Berechnung des Unterschiedsbetrags (der Ausgleichszahlung) nur Leistungen zu berücksichtigen sind, die im selben Zeitraum bezogen werden, nicht zu entnehmen. Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 schließt es somit nicht aus, auch dann einen Unterschiedsbetrag auf Basis der jeweiligen Gesamtbeträge zu ermitteln, wenn – wie hier – gleichartige Familienleistungen verschiedener Mitgliedstaaten, die im selben Anspruchszeitraum beansprucht werden könnten, in sich gar nicht oder sich nur zum Teil überschneidenden Zeiträumen bezogen werden. Angesichts des Wortlauts und des Zwecks des Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 sowie der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur VO (EWG) 1408/71 besteht in der vorliegenden Konstellation daher kein Grund für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens.

[25] 4. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage sind die Vorinstanzen daher zu Recht davon ausgegangen, dass bei Berechnung der Ausgleichszahlung (des Unterschiedsbetrags) das von der Klägerin insgesamt und nicht nur das im zeitlich kongruenten Zeitraum bezogene Elterngeld zu berücksichtigen ist. Dass sie auf den Kinderbetreuungsgeldanspruch trotzdem nur das bis 30. April 2020 bezogene Elterngeld angerechnet haben, obwohl die Klägerin dieses tatsächlich bis inklusive Juni 2020 bezogen hat (vgl Beilage ./3 bzw ON 47), trägt dem Standpunkt der Beklagten Rechnung und ist für die Klägerin auch nicht nachteilig.

[26] 5. Gegen die Berechnung des endgültigen Unterschiedsbetrags (der Ausgleichszahlung) nach Tagsätzen wendet sich die Klägerin nicht. Dass sie im Fall eines Überbezugs zu dessen Rückersatz verpflichtet ist, bestreitet die Klägerin in der Revision ebenfalls nicht mehr. Sie kommt auch auf die Aufrechnung nach § 31 Abs 4 KBGG nicht mehr zurück. Diese Fragen sind daher nicht mehr zu prüfen.

[27] 6. Im Ergebnis entsprechen die Entscheidungen der Vorinstanzen daher der Rechtslage, sodass der Revision nicht Folge zu geben ist.

[28] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte