OGH 3Ob42/23g

OGH3Ob42/23g19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei W* GmbH, *, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die verpflichtete Partei L* GmbH, *, vertreten durch Dr. Thomas Wiesinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 96.636,72 EUR sA, über den Revisionsrekurs der Drittschuldnerin COVID‑19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH, 1020 Wien, Taborstraße 1–3/OG 14, vertreten durch Althuber Spornberger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Dezember 2022, GZ 47 R 267/22w‑25, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Oktober 2022, GZ 68 E 2089/22y‑18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00042.23G.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurswird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht bewilligte dem betreibenden Energieversorger unter anderem die Forderungsexekution durch Pfändung und Überweisung der der Verpflichteten angeblich gegen die Drittschuldnerin (COFAG) zustehenden Forderungen.

[2] Die Drittschuldnerin beantragte gemäß § 292g Abs 1 EO die Feststellung, dass der Verpflichteten ihr gegenüber keine pfändbaren Forderungen zustünden und die Exekution daher ins Leere gehe. Jedenfalls aber seien die von ihr auszahlbaren Beihilfen analog § 290 EO unpfändbar, weil sie zwecks Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ausbreitung von COVID-19 gewährt würden. Wären sie pfändbar, könnte dieser Gesetzeszweck durch Exekutionen zum Zweck der Befriedigung bloß einzelner Gläubiger vereitelt werden.

[3] Die Betreibende sprach sich dagegen aus, weil der Zweck der Förderung gerade auch in der Abdeckung ihrer (Energiekosten‑)Forderungen diene.

[4] Das Erstgericht sprach aus, dass die der Verpflichteten gegenüber der Drittschuldnerin zustehende Forderung der Pfändung entzogen sei.

[5] Das Rekursgericht wies den Antrag der Drittschuldnerin ab. Der Zweck der von der Drittschuldnerin nach mehreren Verordnungen des Bundesministers für Finanzen, unter anderem der Ausfallsbonus‑Verordnung und der Fixkostenzuschuss‑Verordnung, zu gewährenden Beihilfen (Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten) rechtfertige keine Unpfändbarkeit, weil die Förderung zur Zahlung von Verbindlichkeiten zu verwenden sei. Dazu komme, dass gerade der Fixkostenzuschuss der Abdeckung von Forderungen der Betreibenden (Energiekosten) diene. Eine Gesetzeslücke liege nicht vor. Zu AZ 47 R 173/20v (= RWZ0000219) habe der Rekurssenat zwar ausgesprochen, dass Leistungen nach dem Härtefallfondsgesetz (BGBl I 2020/16) unpfändbar iSd § 290 Abs 1 EO seien. Das tragende Argument dieser Entscheidung – der Schutz der Existenz einer natürlichen Person – gelte jedoch nicht für Förderungen an Unternehmen, zumal diese auch keine beschränkt pfändbaren Forderungen iSd § 290a EO hätten. Ob die gepfändeten Forderungen zu Recht bestünden, sei nicht im Exekutionsverfahren zu klären.

[6] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, ob und in welchem Umfang die aufgrund der COVID‑19‑Pandemie gewährten Förderungen des Bundes pfändbar seien.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs der Drittschuldnerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[8] 1. Gemäß § 6a Abs 2 ABBAG‑Gesetz wurde – auf Basis von § 2 Abs 2a dieses Gesetzes – über Auftrag des Bundesministers für Finanzen die Drittschuldnerin gegründet und dieser die Erbringung der Dienstleistungen und finanziellen Maßnahmen gemäß § 2 Abs 2 Z 7 ABBAG‑Gesetz übertragen. Der Bund stattet die Drittschuldnerin so aus, dass diese in der Lage ist, die ihr übertragenen kapital‑ und liquiditätsstützenden Maßnahmen bis zu einem Höchstbetrag von 19 Milliarden Euro zu erbringen und ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen.

[9] 2. Den Angaben der Drittschuldnerin zufolge sind bei ihr zwei unerledigte Beihilfenanträge der Verpflichteten anhängig, und zwar einer nach der Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 22. März 2022 betreffend Richtlinien über eine weitere Verlängerung des Ausfallsbonus für Unternehmen mit hohem Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus III, BGBl II 2021/518), und einer nach der Fixkostenzuschuss-Verordnung vom 30. März 2022 (FKZ 800‑VO, BGBl II 2020/497).

[10] 3. Diese Verordnungen und die dazu erlassenen Richtlinien enthalten keine ausdrückliche Regelung über eine allfällige Unpfändbarkeit der zu gewährenden Beihilfen. Folgerichtig behauptet die Drittschuldnerin eine Unpfändbarkeit bloß aufgrund einer Analogie zu § 290 EO. Dem kann aber nicht gefolgt werden:

[11] 3.1. Ein Analogieschluss setzt eine Gesetzeslücke voraus, das heißt also, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf. Es muss eine „planwidrige Unvollständigkeit“, das heißt eine nicht gewollte Lücke, vorliegen (RS0098756). Eine solche ist dann gegeben, wenn die Regelung eines Sachbereichs keine Bestimmung für eine Frage enthält, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müsste (vgl RS0008866 [T1]), oder wenn Wertungen und Zweck der konkreten gesetzlichen Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (vgl RS0008866 [T10]). Wurde vom Gesetzgeber hingegen für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht angeordnet, so fehlt es an einer Gesetzeslücke und daher auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (RS0008866 [T8]). Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge, steht den Gerichten nicht zu (RS0008866 [T16]).

[12] 3.2. Die Drittschuldnerin verweist zutreffend darauf, dass weder die VO Ausfallsbonus III noch die FKZ 800‑VO eine Zweckwidmung der Beihilfen für konkrete vom Förderwerber zu leistende Zahlungen (wie etwa Energiekosten) enthalten, sondern die von der Drittschuldnerin zu gewährenden Leistungen gemäß § 2 Abs 1 Z 3 ABBAG‑Gesetz generell der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit, Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von Unternehmen im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Erregers SARS‑CoV‑2 und den dadurch verursachten wirtschaftlichen Auswirkungen dienen sollen. Die hier in Rede stehenden Beihilfen haben daher die Funktion eines (teilweisen) Ersatzes von – aufgrund der COVID‑19‑Pandemie (und der dagegen ergriffenen Maßnahmen) entgangenen – Einnahmen der Förderwerber.

[13] 3.3. Die Drittschuldnerin verweist pauschal auf § 290 EO, ohne konkret einen darin normierten Tatbestand zu nennen, der ihres Erachtens analog heranzuziehen sei. Betrachtet man den Regelungsinhalt des § 290 EO, zeigt sich, dass diese Bestimmung überwiegend solche Leistungen als unpfändbar anordnet, die – wie beispielsweise Aufwandsentschädigungen (Abs 1 Z 1), Zuwendungen zur Abdeckung des Mehraufwands wegen körperlicher oder geistiger Behinderung etc (Abs 1 Z 2), Ersatz der Kosten, die der Arbeitnehmer für seine Vertretung aufwenden muss (Abs 1 Z 4), Beiträge für Bestattungskosten (Abs 1 Z 5) oder Mietzinsbeihilfen (Abs 1 Z 8) – der Abdeckung eines ganz konkreten Bedarfs dienen und daher für den Empfänger wirtschaftlich einen bloßen „Durchgangsposten“ (Oberhammer in Angst/Oberhammer 3 § 290 EO Rz 1) darstellen. Eine Analogie zu solchen Leistungen verbietet sich bereits aufgrund der davon abweichenden wirtschaftlichen Funktion der von der Drittschuldnerin zu gewährenden Beihilfen als Einnahmenersatz.

[14] 3.4. Daneben nennt § 290 EO insbesondere die Familienbeihilfe (Abs 1 Z 9), das Kinderbetreuungsgeld (Abs 1 Z 10), Beihilfen und Stipendien für Schüler und Studenten (Abs 1 Z 11) und Ansprüche auf die Arbeitsvergütung nach dem StVG (Abs 1 Z 16). Diese Leistungen sind zwar keine „Durchgangsposten“; aus welchem Grund von der Drittschuldnerin zu gewährende Beihilfen mit diesen Leistungen vergleichbar wären, weshalb eine analoge Anwendung der insoweit angeordneten Unpfändbarkeit geboten erschiene, ist dem Rechtsmittel aber nicht einmal ansatzweise zu entnehmen.

[15] 3.5. Das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber in einem anderen im Zusammenhang mit der COVID‑19‑Pandemie erlassenen Gesetz, nämlich dem Bundesgesetz zur Bekämpfung pandemiebedingter Armutsfolgen, BGBl I 2020/135 (COVID‑19‑Gesetz‑Armut), eine Unpfändbarkeit von Beihilfen angeordnet hat. Nach § 4 Abs 2 leg cit dürfen Zuwendungen nach diesem Bundesgesetz weder gepfändet noch verpfändet werden. Entgegen der Ansicht der Drittschuldnerin spricht diese gesetzliche Bestimmung allerdings nicht für, sondern gegen die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke:

[16] 3.5.1. Dem Gesetzgeber war, wie sich aus der zitierten Bestimmung des COVID‑19‑Gesetz‑Armut ergibt, die Thematik einer allfälligen Unpfändbarkeit von Leistungen im Zusammenhang mit der COVID‑19‑Pandemie durchaus bewusst; mögen auch die damaligen Regelungen, wie es die Drittschuldnerin formuliert, „mit der sprichwörtlichen heißen Nadel gestrickt“ worden sein, wäre es durchaus zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber, hätte er eine entsprechende Absicht gehabt, einen so wesentlichen Punkt nicht übersieht, sondern die Unpfändbarkeit von Hilfsleistungen an Unternehmen im ABBAG‑Gesetz (oder an anderer Stelle) festschreibt.

[17] 3.5.2. Auch wenn die von der Drittschuldnerin zu gewährenden Beihilfen das wirtschaftliche Überleben der geförderten Unternehmen sichern sollen, kann doch nicht außer Acht bleiben, dass das COVID‑19‑Gesetz‑Armut Leistungen an Haushalte mit Sozialhilfe‑ oder Mindestsicherungsbezug 1. zur Finanzierung von Zuwendungen für Kinder und 2. für die Gewährung von Energiekostenzuschüssen regelt (vgl § 1 leg cit), es sich also um eine Regelung (nur) zugunsten von Personen handelt, die auch ohne die Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie in sehr prekären Verhältnissen leben. Dass der Gesetzgeber (nur) in diesem Gesetz eine Unpfändbarkeit der Unterstützungsleistungen anordnete, ist sachlich konsequent und lässt gerade nicht den Schluss zu, er habe dies in anderen Regelungen bloß vergessen.

[18] 3.6. Auch der Argumentation der Drittschuldnerin, die Annahme einer Pfändbarkeit der Förderleistungen würde den Zweck der Förderungen aushebeln, kann nicht gefolgt werden:

[19] 3.6.1. Es trifft zwar zu, dass die Gewährung der in Rede stehenden Beihilfen jene Unternehmen finanziell unterstützen soll, die aufgrund der Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie in wirtschaftliche Bedrängnis geraten sind. Durch die Gewährung von Beihilfen sollen diese Unternehmen also gerade in die Lage versetzt werden, trotz Wegbrechens ihrer Umsätze ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Wollte man dem Standpunkt der Drittschuldnerin folgen, würden Unternehmer, die ihre Verbindlichkeiten trotz der ihnen gewährten Förderungen nicht freiwillig begleichen, besser gestellt als rechtstreue Unternehmer, die dies tun. Ein solches Ergebnis kann aber nicht als vom Gesetzgeber gewollt angesehen werden.

[20] 3.6.2. An dieser Beurteilung kann auch der Umstand nichts ändern, dass es sich bei den betriebenen Forderungen um „Altlasten“ aus der Zeit vor der COVID‑19‑Pandemie handelt. Denkt man nämlich die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen weg, hätte die Verpflichtete aus ihren Umsatzerlösen auch die titulierten Forderungen begleichen können (oder aber Insolvenz anmelden müssen). Da die Beihilfen den pandemiebedingten Umsatzausfall (teilweise) wettmachen sollen, ist nicht einzusehen, warum die Verpflichtete sie nicht auch zur Erfüllung bereits titulierter Forderungen verwenden sollte.

[21] 3.7. Soweit die Drittschuldnerin mit der „pfändungsrechtlichen Ungleichbehandlung von COFAG‑ und Härtefallfonds‑Beihilfen“ argumentiert und sich damit auf die Entscheidung des Rekursgerichts zu AZ 47 R 173/20v bezieht, genügt der Hinweis, dass die Frage der (Un‑)Pfändbarkeit von Beihilfen nach dem Härtefallfondsgesetz nicht Gegenstand dieser Entscheidung ist.

[22] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 292g Abs 3 und 5 EO. Die Betreibende hat zwar in einem durch den Antrag der Drittschuldnerin ausgelösten Zwischenstreit obsiegt; zufolge der gesetzlichen Anordnung in § 292g Abs 3 EO können die durch das Einschreiten eines Dritten ausgelösten Kosten aber nicht die Schuldenlast des Verpflichteten vergrößern (vgl Markowetz in Deixler‑Hübner § 292g EO Rz 31).

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