OGH 5Ob47/23g

OGH5Ob47/23g18.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. B*, geboren * 2016, 2. H*, geboren * 2018, und 3. L*, geboren * 2021, alle wohnhaft bei der Mutter M*, vertreten durch Dr. Christoph Weinberger, Rechtsanwalt in Salzburg, Vater S*, vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 21. Februar 2023, GZ 21 R 30/23t‑106, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00047.23G.0418.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Seit dem Auszug des Vaters aus der gemeinsamen Wohnung im Februar 2021 leben die drei Minderjährigen gemeinsam mit ihrer Mutter; mit Beschluss vom 7. Juni 2021 legte das Erstgericht den hauptsächlichen Aufenthalt bei der Mutter fest. Ein Scheidungsverfahren zwischen den Eltern ist anhängig. Die Mutter beantragte die alleinige Obsorge für die drei Minderjährigen.

[2] Das Rekursgericht sprach (im zweiten Rechtsgang) aus, dass der Mutter künftig die alleinige Obsorge für die drei Kinder zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[4] 1.1 Gemäß § 180 Abs 1 ABGB hat das Gericht eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung zu treffen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht. Schon nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung nur in Fällen zu treffen, in denen dies dem Wohl des Kindes entspricht. Eine Phase der vorläufigen Regelung der elterlichen Verantwortung ist schon daher keinesfalls zwingende Voraussetzung für eine endgültige Entscheidung über die Obsorge (10 Ob 53/16s mwN). Eine gesetzliche Vorgabe dahin, dass die Obsorgeentscheidung in jedem Fall erst nach einer Anordnung von Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG und Eintreten des angestrebten Ergebnisses getroffen werden dürfte, besteht (ebenfalls) nicht (RIS‑Justiz RS0128812 [T9]).

[5] 1.2 Die Entscheidung nach § 180 Abs 2 ABGB, welchem Elternteil die Obsorge endgültig zu übertragen ist, hat sich allein am darin genannten Kindeswohl zu orientieren, und zwar ohne dass es – anders als in den hier nicht relevanten Fällen der Sicherungsverfügung nach den §§ 181 f ABGB – einer Kindeswohlgefährdung bedarf, um die alleinige Obsorge anzuordnen (1 Ob 185/22w mwN). Für die Entscheidung, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es daher nur darauf an, welche Regelung dem Wohl des Kindes besser entspricht (RS0128812 [T13]).

[6] 1.3 Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge durch beide Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es nämlich erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist daher zu beurteilen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit hergestellt werden kann (RS0128812 [T4]).

[7] 1.4 Die Frage, ob die Obsorge beider Eltern dem Kindeswohl entspricht (RS0128812 [T8]), oder welchem Elternteil die Obsorge übertragen werden soll, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, sofern auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RS0007101 [T8]).

[8] 2.1 Der vom Revisionsrekurswerber genannten Entscheidung 8 Ob 152/17m lag ein Fall zugrunde, in dem der gegenseitige Umgang der Eltern zwar schwierig war, allerdings Vereinbarungen über Betreuungswochenenden zustande gekommen und auch schon mehrere Vereinbarungen unter Anleitung des Gerichts gelungen waren. Aus diesem Grund sah es der Senat für erforderlich an, vor der endgültigen Entscheidung über die alleinige Obsorge zur Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Eltern noch nähere Feststellungen zu treffen. Im vorliegenden Fall steht hingegen – nach der vom Erstgericht im April 2022 angeordneten Elternberatung, die von der Mutter mehrmals einzeln in Anspruch genommen wurde (ON 50 und ON 59) – fest, dass zwischen den Kindeseltern nach wie vor ein konflikthaftes, von ständigen wechselseitigen Vorwürfen geprägtes Verhältnis besteht und weiterhin nicht davon auszugehen ist, dass sich dieser Konflikt auflösen wird, weil beide Elternteile eine Kommunikation zum jeweils anderen Elternteil grundsätzlich ablehnen. „Die Eltern sind auch nicht bereit, über Angelegenheiten ihrer gemeinsamen Kinder zu kommunizieren oder eine gemeinsame Elternberatung durchzuführen.“ Nach den Feststellungen ist „davon auszugehen, dass die Eltern auch weiterhin jegliche Zusammenarbeit auf Obsorgeebene unterlassen werden. Jede Kommunikation der Eltern würde in einem hochemotionalen Streit enden“. Es sei „auch nicht zu erwarten, dass die Eltern Angelegenheiten ihrer Kinder jemals gemeinsam werden besprechen, geschweige denn lösen können/wollen“. Die Vorinstanzen haben zur Beurteilung der gegenwärtigen und künftigen Kooperationsfähigkeit der Eltern damit hinreichende Feststellungen getroffen. Ein – wie das Rechtsmittel behauptet – sekundärer Feststellungsmangel liegt in diesem Zusammenhang nicht vor.

[9] 2.3 Soweit der Revisionsrekurswerber argumentiert, es müsse zusätzlich zur fehlenden Kommunikation eine konkrete Kindeswohlgefährdung vorliegen, übersieht er, dass – wie bereits erwähnt (oben 1.2) – die nachträgliche Änderung einer bestehenden Obsorgeregelung keine Gefährdung des Kindeswohls voraussetzt (vgl RS0128809 [T5]). Bei der Frage, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es (nur) darauf an, dass im konkreten Fall dem Wohl des Kindes besser entsprochen wird (vgl RS0128812 [T13]).

[10] 3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

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