OGH 8Ob20/23h

OGH8Ob20/23h29.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei T* GmbH, *, vertreten durch die Dr. Heinz Häupl Rechtsanwalts GmbH in Nußdorf, gegen die beklagte Partei D* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch die Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 37.791,68 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 19. Jänner 2023, GZ 1 R 3/23a‑32, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. November 2022, GZ 3 Cg 21/22a‑27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00020.23H.0329.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Trockenbauarbeiten. Auf das Vertragsverhältnis ist die ÖNORM B 2110 anzuwenden. Obwohl gleitende Deckenanschlüsse vereinbart waren, hat die Klägerin die Deckenanschlüsse teilweise verschraubt. Es kam daraufhin zu Riss- und Spaltbildungen, die auf eine Deckendurchbiegung zurückzuführen waren. Dennoch legte die Klägerin am 24. 4. 2020 ihre Schlussrechnung. Während die Beklagte die Klägerin für den Schaden verantwortlich machte, sah sich die Klägerin nur für einen Teil des Schadens verantwortlich. Obwohl keine Einigung erzielt wurde, wer die damit verbundenen Kosten tragen muss, führte die Klägerin über Aufforderung der Beklagten die nötigen Sanierungsarbeiten durch.

[2] Die Klägerin begehrt 37.791,68 EUR sA für die von ihr durchgeführte Sanierung. Die Klägerin treffe keine Verantwortung für den eingetretenen Schaden. Die Sanierungsarbeiten seien aufgrund eines gesondert erteilten Auftrags durchgeführt worden.

[3] Die Beklagte wendet ein, dass die Klägerin ihre Warnpflicht verletzt und die Deckenanschlüsse mangelhaft ausgeführt habe, sodass sie zur Sanierung des Schadens verpflichtet gewesen sei. Im Übrigen habe die Klägerin ihre Leistungen mit der Schlussrechnung vom 24. 4. 2020 in Rechnung gestellt, sodass sie mangels eines rechtzeitig erklärten Vorbehalts nach Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 keine weiteren Ansprüche erheben könne.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab, wobei es feststellte, dass das Ausmaß der Deckendurchbiegung nicht vorhersehbar gewesen sei, der Schaden auch bei einer vertragskonformen Herstellung der Deckenanschlüsse eingetreten wäre und die Beklagte der Klägerin den Auftrag zur Sanierung erteilt habe. Daraus folgerte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht, dass die Klägerin keine Warnpflichtverletzung verantworte und es sich bei den Kosten der Sanierung des Schadens um Sowieso-Kosten handle, welche der Klägerin nicht angelastet werden könnten. Selbst wenn kein Sanierungsauftrag erteilt worden wäre, stünde der Klägerin ein entsprechender Bereicherungsanspruch zu. Da der Sanierungsauftrag aber als Teil des ursprünglichen Werkvertrags anzusehen sei, stehe der Geltendmachung des Anspruchs Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 entgegen, weil die Klägerin nicht nachweisen habe können, dass sie sich binnen drei Monaten nach Zahlung der Schlussrechnung die Geltendmachung weiterer Ansprüche vorbehalten habe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Da die Beklagte die Klägerin für die Schäden verantwortlich gemacht habe, hätte die Klägerin einen entsprechenden Vorbehalt nach Punkt 8.4.2 ÖNORM B 2110 bereits in die Schlussrechnung aufnehmen müssen. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch für nachträglich ausgeführte Sanierungsarbeiten ein Vorbehalt in die Schlussrechnung aufzunehmen sei.

[6] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde.

[7] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt (RIS‑Justiz RS0041774 [T1]).

[9] 1. Nach den Feststellungen des Erstgerichts war das Ausmaß der Deckendurchbiegung nicht vorhersehbar und der Schaden wäre auch bei einer vertragskonformen Durchführung der beauftragten Arbeiten eingetreten, sodass die Klägerin keine Verantwortung für den eingetretenen Schaden trifft. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Sanierungsarbeiten als Teil des ursprünglichen Auftragsverhältnisses anzusehen seien, ist deshalb unzutreffend. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts liegt vielmehr ein gesonderter Auftrag vor, sodass die Klägerin Anspruch auf Entlohnung der geleisteten Arbeiten hat.

[10] 2. Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 lautet: „Die Annahme der Schlusszahlung auf Grund einer Schluss- oder Teilschlussrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen drei Monaten nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen. Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von drei Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages durch den Auftraggeber.

[11] 3. Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 dient im Wesentlichen dazu, möglichst rasch Klarheit über die Abrechnung zu schaffen, sodass der Auftraggeber zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Ausmaß seiner Verpflichtungen überschauen kann (RS0122419 [T7]). Nachforderungen sind deshalb ausgeschlossen, wenn der Auftragnehmer – bewusst oder unbewusst – nicht alle Forderungen in die Schlussrechnung aufgenommen hat (Wenusch, ÖNORM B 21102 [2011] 503; Karasek, ÖNORM B 21103 [2016] Rz 1839).

[12] 4. In eine Schlussrechnung können aber nur solche Leistungen aufgenommen werden, die bereits erbracht wurden oder zumindest aufgrund des bestehenden Auftrags noch geschuldet werden. Daher muss auch einem Werkbesteller bewusst sein, dass mit der Bezahlung einer Schlussrechnung keine Leistungen abgegolten werden, die erst nachträglich beauftragt werden, sodass es diesbezüglich auch keines ausdrücklichen Vorbehalts in der Schlussrechnung bedarf. Dies entspricht dem Wortlaut des Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110, wonach das Fehlen eines Vorbehalts in der Schlussrechnung nachträgliche Forderungen für die „erbrachten“ Leistungen ausschließt, nicht aber Forderungen für künftige Leistungen aufgrund von erst später erteilten Aufträgen.

[13] 5. Da die Klägerin ihren Anspruch auf einen nach der Schlussrechnung erteilten Auftrag stützt, hätten die Vorinstanzen die Klage nicht unter Hinweis auf Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 abweisen dürfen. Damit kommt aber der Beweisrüge der Beklagten in der Berufungsbeantwortung, mit der sie sich gegen die Feststellungen des Erstgerichts richtet, entscheidende Bedeutung zu. Das Berufungsgericht wird daher die Beweisrüge der Berufungsbeantwortung erledigen und dann neuerlich über die Berufung entscheiden müssen.

[14] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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