OGH 6Ob218/22k

OGH6Ob218/22k24.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. E*, geboren * 2011, 2. N*, geboren * 2013, 3. M*, geboren * 2014, alle *, wegen Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters M*, Vereinigtes Königreich, vertreten durch Tischler & Tischler Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 23. September 2022, GZ 2 R 120/22g-68, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 10. Mai 2022, GZ 47 Ps 178/21x‑54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00218.22K.0324.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird hinsichtlich der Ferienkontakte von 17. 7. 2022 bis 31. 7. 2022, von 20. 8. 2022 bis 3. 9. 2022, von 26. 10. 2022 bis 30. 10. 2022 und von 30. 12. 2022 bis 7. 1. 2023 zurückgewiesen.

2. Hinsichtlich des Ferienkontakts von 23. 12. 2023 bis 30. 12. 2023 werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

[1] Die drei Minderjährigen lebten zunächst mit ihren Eltern in London. Im Sommer 2021 zog die Mutter mit den Kindern nach * (Österreich). Der Vater zog nach * in der Schweiz, wobei er von Montag bis Donnerstag in London arbeitet. Vor der Übersiedlung der Mutter und der Kinder nach Österreich traf ein Londoner Gericht am 13. 4. 2021 eine Entscheidung, die den Umzug der Mutter mit den Kindern nach Österreich erlaubte und die Ferienkontakte im Wesentlichen dahin regelte, dass ein Elternteil die Minderjährigen abzuholen, der andere sie zurückzubringen habe.

[2] In der am 24. 3. 2022 von den Eltern vor dem Erstgericht getroffenen Kontaktrechtsvereinbarung ist festgehalten, dass „das Abholen und Zurückbringen der Kinder – soweit nicht vereinbart – mit gerichtlichem Beschluss entschieden werden wird“.

[3] Mit den angefochtenen Beschlüssen verpflichteten die Vorinstanzen den Vater, die Kinder zu den im Spruch angeführten Ferienkontakten jeweils am Beginn der Kontaktzeit am Wohnort der Mutter abzuholen und am Ende der Kontaktzeit wieder dorthin zurückzubringen.

[4] Der Revisionsrekurs des Vaters ist zum Teil unzulässig, zum Teil jedoch zulässig und insoweit auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel – auch im Außerstreitverfahren (RS0006598) – eine Beschwer voraus, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen muss; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770; RS0006880). Diese Grundsätze gelten auch für ein zeitlich überholtes Kontaktrecht (1 Ob 167/21x; RS0002495 [T2]; RS0006880 [T10, T15, T16]; RS0041770 [T33, T36]; vgl RS0006526 [T1]).

[6] Soweit die Entscheidungen der Vorinstanzen Kontaktrechte des Vaters zu Zeiten betreffen, die bereits verstrichen sind, fehlt seinem Rechtsmittel die Beschwer, weil es den Zweck, die Mutter zur Übernahme einer Wegstrecke zu verpflichten, nicht mehr erreichen kann.

[7] Die Beschwer des Vaters ist daher lediglich für das Kontaktrecht vom 23. 12. 2023 bis 30. 12. 2023 gegeben.

[8] 2. Auch vor Gericht getroffene Vereinbarungen sind nach § 914 ABGB – sohin nach dem Wortlaut, dem objektiven Erklärungswert und der Übung des redlichen Verkehrs unter Berücksichtigung der konkreten Umstände (vgl RS0017915) – auszulegen (RS0017943).

[9] Bereits aus dem Wortlaut der von den – anwaltlich vertretenen – Eltern am 24. 3. 2022 vor dem Erstgericht geschlossenen Vereinbarung („wobei das Abholen und Zurückbringen der Kinder – soweit nicht vereinbart – mit gerichtlichem Beschluss entschieden werden wird“) ergibt sich, dass die Eltern damit das Kontaktrecht des Vaters nicht nur zeitlich neu regelten, sondern für die festgelegten Ferienkontakte auch hinsichtlich des Abholens und Zurückbringens der Kinder von der Regelung des Londoner Gerichts abgingen und eine Entscheidung des Erstgerichts beantragten. Auch der Umstand, dass vor Abschluss der Vereinbarung vom 24. 3. 2022 beide Eltern Anträge auf Neuregelung des Kontaktrechts gestellt hatten, wobei der Antrag der Mutter vom 13. 9. 2021 darauf abzielte, dass der Vater die Kinder abzuholen und zurückzubringen habe, wohingegen der Antrag des Vaters vom 17. 3. 2022 darauf gerichtet war, dass die Mutter pro Auslandskontaktrecht eine Wegstrecke mit den Kindern zurückzulegen habe, spricht dafür, dass beide Eltern eine Neuregelung durch das Erstgericht anstrebten.

[10] Da die Eltern sich auf eine Neuregelung durch das Erstgericht einigten, kann sich der Vater nicht erfolgreich auf die Bindungswirkung der am 13. 4. 2021 ergangenen Entscheidung des Londoner Gerichts zur Frage des Hinbringens und Abholens der Kinder stützen (vgl RS0088931).

[11] 3. Grundsätzlich hat der Kontaktberechtigte das Kind von dessen ständigem Aufenthalt abzuholen und dorthin zurückzubringen (RS0048002; 1 Ob 181/20d). Davon anerkennt die Rechtsprechung Ausnahmen im Einzelfall, wobei vor allem wirtschaftliche und organisatorische Faktoren, die eine Regelung praktikabel machen, zu berücksichtigen sind, etwa bei weiteren Entfernungen das Transportproblem und der damit verbundene Zeit- und Kostenaufwand sowie berufliche Rücksichten der Eltern (vgl RS0048002 [T7]; 1 Ob 181/20d; 1 Ob 225/21a).

[12] Die Vorinstanzen trafen Feststellungen lediglich zu den Verkehrsverbindungen und der Reisedauer und begründeten ihre Entscheidung, dem Vater sämtliche Transportwege aufzubürden, pauschal damit, dass die Voraussetzungen einer Ausnahme vom Grundsatz, wonach der Kontaktberechtigte die Kinder abzuholen und zurückzubringen habe, nicht vorlägen.

[13] Die Entscheidungen lassen jedoch eine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falls vermissen. Dazu gehören in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem beide Eltern von dem zunächst bestehenden gemeinsamen Wohnort wegzogen und davor gemeinsam eine Lösung für die zukünftigen Transportwege erarbeiteten, auch die Vorstellungen und Motivationen, die die Eltern ihrer Einigung zum damaligen Zeitpunkt zugrunde legten; ebenso sind seither eingetretene Umstände zu berücksichtigen. Dabei wird – entsprechend der zitierten Rechtsprechung – insbesondere auf die Praktikabilität der Regelung und auf die Wahrung des Kindeswohls zu achten sein. Da eine konkrete Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, bei den gegebenen Wohnsitzen der Familienmitglieder eine praktikable, dem Kindeswohl entsprechende Aufteilung der Transportwege zu erreichen, bisher nicht erfolgt ist, ist (im Umfang des vom Obersten Gerichtshofs hier ausschließlich zu beurteilenden Kontaktrechts von 23. 12. 2023 bis 30. 12. 2023) die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich.

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