OGH 9ObA129/22v

OGH9ObA129/22v23.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. phil. Dr. iur. Robert Toder (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. G*, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land Tirol (Amt der Tiroler Landesregierung, Eduard-Wallnöfer-Platz 3, 6020 Innsbruck), vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert: 30.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. August 2022, GZ 15 Ra 33/22y‑22, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Jänner 2022, GZ 79 Cga 62/20s‑16, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00129.22V.0323.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.883,16 EUR (darin enthalten 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist aufgrund Dienstvertrags mit der beklagen Partei seit 2005 als Facharzt in einem Krankenhaus beschäftigt, dessen Träger nach § 1 Abs 2 TILAK‑Gesetz idF LGBl für Tirol 2015/115 die TILAK – Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH ist, die nunmehr den Firmenwortlaut „Tirol Kliniken GmbH“ führt. Auf das Dienstverhältnis ist das Landes-Vertragsbedienstetengesetz (L‑VBG; nunmehr: „Gesetz über das Dienstrecht der Bediensteten des Landes Tirol“ – Landesbedienstetengesetz – LBedG) anwendbar.

[2] In einem Vorverfahren begehrte der Kläger die Feststellung, dass sein Vorrückungsstichtag richtig der *, nicht wie von der beklagten Partei angenommen der * sei. Dem Klagebegehren wurde mittlerweile rechtskräftig stattgegeben.

[3] Am 8. 9. 2017 unterfertigten die Parteien eine mit „Nachtrag zum Dienstvertrag Sondervertrag“ betitelte Vereinbarung. Dieser lagen in längeren Gehaltsverhandlungen von Interessenvertretungen der Dienstnehmer mit der beklagten Partei erarbeitete Musterverträge zugrunde, die im Vergleich zum gesetzlichen Regelsystem ein erheblich besseres Gehalt enthielten, der Gehaltsunterschied lag bei zumindest 2.000 EUR brutto pro Monat.

[4] In die Verträge wurden neben persönlichen Daten auch Stichtage, darunter ein „Vorrückungsstichtag“ eingesetzt. Bei diesem hatte sich die beklagte Partei für ein nicht abänderbares Fixdatum entschieden, dem Vorrückungsstichtag, der im betriebsinternen Computersystem hinterlegt war, beim Kläger der *. Dieser Stichtag war von Seiten der beklagten Partei nicht verhandelbar. Dem Kläger wurde bei einem Gespräch mitgeteilt, dass er im Fall des Wechsels in das neue System auf den Stichtag laut Urteil vertraglich verzichten müsse. Der Kläger erwiderte, dass dies nicht rechtskonform sei. In der Folge unterfertigte er die Vereinbarung, ohne zu prüfen, welcher Stichtag im Vertrag enthalten war. Auch wenn ihm der Stichtag aufgefallen wäre, hätte er den Vertrag unterschrieben, jedoch mit dem Zusatz, dass der Stichtag noch zu korrigieren sei.

[5] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der „Nachtrag zum Dienstvertrag Sondervertrag“ kein Sondervertrag iSd § 79 LBedG sei sowie dass Punkt 9.5. der Vereinbarung mit Anführung des Vorrückungsstichtags unwirksam sei. In eventu beantragt er die Feststellung, dass die beklagte Partei dem Kläger für alle Nachteile aus der Anwendung des unrichtigen Vorrückungsstichtags ersatzpflichtig sei. Die Nachtragsvereinbarung erfülle nicht die Voraussetzungen des § 79 LBedG. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Die beklagte Partei habe mit einer Vielzahl von Ärzten solche „Sonderverträge“ geschlossen, dies mit dem Ziel vom Gesetz abweichender Vereinbarungen und Schaffung eines Entlohnungssystems.

[6] Die beklagte Partei bestritt.

[7] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das Berufungsgericht führte aus, dass es sich bei der Vereinbarung um einen Sondervertrag nach § 79 Abs 2 LBedG handle. Mit dem Abschluss solcher Verträge sei ein vom Regelsystem des LBedG abweichendes Entlohnungssystem geboten worden, um bereits länger beschäftigte Ärzte als Krankenanstaltenbedienstete zu halten und damit den Umfang und die Qualität der Patientenversorgung in den Krankenanstalten sicherzustellen bzw aufrecht zu erhalten. Diese Verträge entsprächen daher dem gesetzlichen Zweck der Gewährleistung der ärztlichen Versorgung. Damit seien die Hauptbegehren nicht berechtigt. Eine Grundlage für das Eventualbegehren sei nicht erkennbar.

[8] Die Revision wurde zugelassen, da sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit dem mit § 79 Abs 2 LBedG geschaffenen Sondervertragsmodell sowie mit auf dieser Bestimmung fußenden Konstellationen auseinanderzusetzen gehabt habe.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1. Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision des Klägers gegen diese Entscheidung mangels einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Es liegt trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur konkreten Fallgestaltung keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, eindeutige Regelung trifft (RS0042656).

[10] 2. Vergleichbar zu § 36 VBG für Bedienstete des Bundes eröffnet § 79 Abs 1 LBedG die Möglichkeit des Abgehens von den Bestimmungen des jeweiligen Gesetzes, doch ist diese Möglichkeit grundsätzlich nur für einen Ausnahmefall gegeben. Diese Gesetzesstelle schafft keine Generalklausel dafür, beispielsweise zwingende Entlohnungsvorschriften hinfällig zu machen, sondern die Möglichkeit, den Fällen gerecht zu werden, in denen das Gesetz den besonderen Umständen des Falls nicht entsprechen kann, wobei in erster Linie die Vereinbarung eines besonderen Entgelts in Frage kommt (vgl 9 ObA 112/22v).

[11] 3. Allerdings sieht der durch die Novelle LGBl Nr 2017/39 eingeführte § 79 Abs 2 LBedG ausdrücklich vor, dass mit Vertragsbediensteten iSd § 78a erster Satz LBedG, deren Dienstverhältnis zur beklagten Partei vor dem 1. 1. 2015 begründet wurde, Sonderverträge abgeschlossen bzw bestehende Sonderverträge geändert werden können, um die ärztliche Versorgung gewährleisten zu können.

[12] Dass es sich dabei entgegen den Ausführungen in der Revision nicht nur um die Umschreibung eines Unterfalls des § 79 Abs 1 LBedG handelt, ergibt sich schon daraus, dass die Bestimmung sonst überflüssig wäre. Vielmehr wird zusätzlich zur Regelung des Abs 1 der Abschluss von Sonderverträgen mit einer bestimmten Bedienstetengruppe – Ärzte, die in Krankenanstalten beschäftigt sind – ermöglicht. Gerade in Zusammenhang mit den vom Kläger angesprochenen gleichzeitig eingeführten Neuregelungen betreffend die Arbeitszeit wurde damit die Möglichkeit eröffnet, allfällige daraus resultierende Gehaltseinbußen auszugleichen, um diese Ärzte in den Landeskrankenhäusern zu halten. Die Sicherung der medizinischen Versorgung soll dabei nicht durch den einzelnen Vertrag, sondern durch die höhere Attraktivität der Tätigkeit an sich erreicht werden. Eine Beschränkung des Regelungsinhalts solcher Vereinbarungen auf arbeitszeitrechtliche Aspekte, wie die Revision vermeint, lässt sich dem Gesetz dagegen nicht entnehmen.

[13] Genau solche Verträge hat die beklagte Partei der im Gesetz genannten Personengruppe, darunter dem Kläger angeboten. Wenn der Kläger daher vom Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Vereinbarung ausgeht, kann ihm nicht gefolgt werden.

[14] 4. Richtig ist weiters, dass nach der Rechtsprechung durch die Zulässigkeit von Sonderverträgen nicht die Möglichkeit eröffnet werden soll, einen aufgrund verlangter und erbrachter Dienstleistung den Bediensteten bereits erwachsenen Anspruch auf Einstufung in eine bestimmte Entlohnungsgruppe eines bestimmten Entlohnungsschemas des VBG (oder vergleichbarer Landesgesetze) auf dem Umweg der Sonderverträge ganz oder zum Teil zu beseitigen (9 ObA 606/90 mwN), also eine unsachliche vertragliche Schlechterstellung des Dienstnehmers gegenüber seinen gesetzlichen Ansprüchen zu ermöglichen. Darauf muss aber im vorliegenden Fall schon deshalb nicht eingegangen werden, weil der Kläger unstrittig aufgrund des Sondervertrags unabhängig vom darin festgehaltenen „Vorrückungsstichtag“ ein wesentlich höheres Entgelt erhält als nach dem Gesetz. Dass dieser Stichtag auch für andere als im Sondervertrag ausdrücklich geregelte Ansprüche Relevanz hat, wurde von keiner der Parteien behauptet.

[15] 5. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Darauf, inwieweit das Klagebegehren überhaupt ein feststellungsfähiges Recht oder Rechtsverhältnis umschreibt, muss daher nicht weiter eingegangen werden.

[16] 6. Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[17] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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