OGH 10Ob40/22p

OGH10Ob40/22p24.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 25.617,86 EUR sA, aus Anlass der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2019, GZ 2 R 151/19t‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 21. August 2019, GZ 5 Cg 118/18z‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00040.22P.0224.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Das mit Beschluss vom 17. 3. 2020, AZ 10 Ob 2/20x, gemäß § 90a GOG unterbrochene Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. Februar 2021 beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C‑100/21 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Die Fortsetzung des Revisionsverfahrens erfolgt nur auf Antrag.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Mit Beschluss vom 17. 3. 2020, 10 Ob 2/20x, wurde das Revisionsverfahren bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom selben Tag zu 10 Ob 44/19x gestellte Ersuchen unterbrochen. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , die Vorabentscheidung getroffen.

[2] Das Revisionsverfahren ist neuerlich zu unterbrechen:

[3] 2. Der Kläger begehrt von der beklagten Fahrzeugherstellerin im Weg des Schadenersatzes durch Naturalrestitution die Zahlung von 25.617,86 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen die Herausgabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Zahlung von 6.000 EUR, hilfsweise dazu die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der dem Kläger aus dem Kauf des Fahrzeugs samt darin verbautem Dieselmotor des Typs EA189 entstehe.

[4] Er stützt sich auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB und auf einen Verstoß gegen die VO (EG) 715/2007 , die auch den Schutz des bloßen Vermögens bezwecke.

[5] 3. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist zur Zahl C‑100/21 (QB gegen Mercedes-Benz Group AG) ein Verfahren über ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) anhängig, das deliktische Schadenersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die Fahrzeugherstellerin wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zum Gegenstand hat. Das Landgericht Ravensburg legte dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Fragen vor:

1. Haben Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 ‑ der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 auch die Zielrichtung, die Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen zu schützen? Wenn ja:

2. Zählt dazu auch das Interesse eines individuellen Fahrzeugerwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht konform ist, insbesondere kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist?

Wenn die Vorlagefrage 1 verneint wird:

3. Ist es unvereinbar mit Unionsrecht, wenn ein Erwerber, der ungewollt ein vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verkehr gebrachtes Fahrzeug gekauft hat, zivilrechtliche deliktische Ansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller auf Ersatz seines Schadens, insbesondere auch einen Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, nur ausnahmsweise dann geltend machen kann, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat? Wenn ja:

4. Ist es unionsrechtlich geboten, dass ein zivilrechtlicher deliktischer Ersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller bei jeglichem schuldhaften (fahrlässigen oder vorsätzlichen) Handeln des Fahrzeugherstellers in Bezug auf das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist, gegeben ist?

[…]

[6] In diesem Verfahren wurden am 2. 6. 2022 die Schlussanträge des Generalanwalts Athanasios Rantos vorgelegt; eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus.

[7] 4. Diese Fragestellungen sind auch für die Beurteilung des im vorliegenden Fall geltend gemachten Schadenersatzanspruchs gegen die Beklagte relevant.

[8] 5. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung über den gegen die Beklagte geltend gemachten Schadenersatzanspruch bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Revisionsverfahren zu unterbrechen (RS0110583).

[9] 6. Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, weil diese der Disposition der Parteien unterliegt. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung ziehen (4 Ob 211/08w; 4 Ob 217/17s).

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