OGH 13Os130/22z

OGH13Os130/22z22.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Februar 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Seidenschwann in der Strafsache gegen * M* wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 10. Oktober 2022, GZ 10 Hv 72/22m-63.4, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00130.22Z.0222.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Schlepperei/FPG

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und eines Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er vom 22. Februar 2022 bis zum 14. April 2022 in G* und andernorts in zwölf Angriffen als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von jeweils mindestens drei Fremden (US 14) in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, Dritte, nämlich * T* und andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung (US 5), durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er die Fremden als Lenker eines Sattelzugs von Ungarn nach Österreich beförderte, wobei er die Tat am 14. April 2022 überdies auf eine Art und Weise beging, durch die die Fremden, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden (dazu US 9).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Nach den Feststellungen des Erstgerichts hielt es der Angeklagte bei den Schleppungen ernstlich für möglich, dadurch Dritte, insbesondere * T*, unrechtmäßig zu bereichern, und fand sich damit ab (US 8 und 11). Ebenso wusste er, dass er als Mitglied eines Zusammenschlusses von mehr als zwei Personen agierte, die es sich zum Ziel gemacht hatten, mehrere Wochen oder Monate hindurch die Schleppungen von Fremden in oder durch Länder des Schengenraums durchzuführen und dadurch Geld für den Lebensunterhalt der Mitglieder zu lukrieren, und wollte er seine Handlungen im Rahmen dieser Vereinigung setzen (US 8 f).

[5] Dem Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) zuwider sind dadurch die für den von § 114 Abs 1 FPG verlangten Bereicherungsvorsatz relevanten Konstatierungen im Urteil unmissverständlich getroffen worden. Entsprechendes gilt auch für die innere Tatseite in Bezug auf die Qualifikation des § 114 Abs 4 erster Fall FPG.

[6] Die Ableitung dieser Konstatierungen aus dem äußeren Geschehensablauf, insbesondere aus der Vielzahl der Tathandlungen und der großen Anzahl der geschleppten Personen sowie der professionellen Vorgangsweise der Beteiligten (US 11 f), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) keineswegs zu beanstanden (vgl RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882).

[7] Entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) haben die Tatrichter die Verantwortung des Angeklagten bei den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 8 f) nicht übergangen, sondern mit eingehender Begründung als unglaubwürdig verworfen (US 10 f und 12).

[8] Indem die Mängelrüge (Z 5) aus Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[9] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen zur inneren Tatseite vermisst, gleichzeitig aber die genau dazu getroffenen Konstatierungen (US 8 f) bestreitet, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[10] Weshalb es für die Subsumtion nach § 114 Abs 1 FPG darauf ankommen sollte, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Fahrten „nur deshalb durchgeführt hat, um Dritte daran verdienen zu lassen“, entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO – ebenso wie die im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[12] Die Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[13] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte