OGH 2Ob214/22t

OGH2Ob214/22t17.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikingerals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R*, vertreten durch Pall Schwarz Rechtsanwälte OG in Leibnitz, wegen 22.222 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. August 2022, GZ 4 R 120/22g‑18, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Mai 2022, GZ 23 Cg 92/21t‑14, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00214.22T.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Streitteile sind Kinder der am * Mai 2018 verstorbenen Erblasserin. Die Verlassenschaft wurde dem Witwer an Zahlungs statt überlassen.

[2] Die Klägerin nimmt den Beklagten als von der Erblasserin Beschenkten gemäß § 789 ABGB in Anspruch und begehrt mit ihrer am 14. September 2021 eingebrachten Klage die Zahlung von 22.222 EUR sA. Die Verjährungsfrist könne nach § 765 Abs 2 ABGB nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Tod der Erblasserin beginnen.

[3] Der Beklagte wendet – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – Verjährung ein, weil die Stundungsregel des § 765 Abs 2 ABGB auf den Anspruch auf Zahlung des Fehlbetrags nach § 789 ABGB keine Anwendung finde. Der Klägerin seien alle Anspruchsvoraussetzungen bereits im Juli 2018 bekannt gewesen.

[4] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass der geltend gemachte Anspruch nicht verjährt sei. Der Klägerin seien frühestens Ende September 2018 alle anspruchsbegründenden Umstände bekannt gewesen.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ließ eine in der Berufung enthaltene Beweisrüge aus rechtlichen Erwägungen unerledigt und verwies darauf, dass nach der Entscheidung 2 Ob 117/21a die kurze Verjährungsfrist des § 1487a ABGB für Pflichtteilsansprüche frühestens ein Jahr nach dem Tod des Erblassers zu laufen beginnen könne. Da die Klägerin innerhalb von vier Jahren nach dem Tod der Erblasserin Klage erhoben habe, sei der Verjährungseinwand unberechtigt.

[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage zu, ob die in der Entscheidung 2 Ob 117/21a enthaltenen Ausführungen auch für den Fall eines Anspruchs gegen den subsidiär haftenden Beschenkten Geltung haben, wenn keine Stundung angeordnet wurde.

[7] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten mit dem (erkennbaren) Antrag, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Beklagte argumentiert, dass § 765 Abs 2 ABGB auf den Anspruch auf Zahlung des Fehlbetrags gegen den Geschenknehmer nicht anzuwenden sei. Die Verjährungsfrist könne daher schon vor Ablauf eines Jahres nach dem Erbfall zu laufen beginnen. Im konkreten Fall habe die Klägerin mehr als drei Jahre vor Einbringung der Klage Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen gehabt.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

[10] 1. Nach § 1487a Abs 1 ABGB muss unter anderem das Recht, den Geldpflichtteil zu fordern oder den Geschenknehmer wegen Verkürzung des Pflichtteils in Anspruch zu nehmen, binnen drei Jahren ab Kenntnis der für das Bestehen des Anspruchs maßgeblichen Tatsachen gerichtlich geltend gemacht werden.

[11] Das Vierzehnte Hauptstück des zweiten Teils des ABGB („Vom Pflichtteil und der Anrechnung auf den Pflichtteil“) regelt im 1. Abschnitt („I. Allgemeines“) in § 765 Abs 2 ABGB unter der Überschrift „Anfall und Fälligkeit“, dass der Pflichtteilsberechtigte den Geldpflichtteil erst ein Jahr nach dem Tod des Verstorbenen fordern kann. Die §§ 766 bis 768 ABGB enthalten (weitere) Regelungen über die Stundung des Pflichtteilsanspruchs (durch Anordnung des letztwillig Verfügenden oder durch das Gericht) sowie dessen Sicherstellung.

[12] Unter der Überschrift „Haftung des Geschenknehmers“ normiert § 789 Abs 1 ABGB, dass der verkürzte Pflichtteilsberechtigte bei Hinzu- oder Anrechnung von Schenkungen im Fall, dass die Verlassenschaft zur Deckung der Pflichtteile nicht ausreicht, vom Geschenknehmer die Zahlung des Fehlbetrags verlangen kann. Nach § 790 Abs 2 ABGB sind auf den Anspruch auf Zahlung des Fehlbetrags die §§ 766 bis 768 ABGB über die Stundung des Pflichtteils sinngemäß anzuwenden.

[13] Eine ausdrückliche Regelung über „Anfall und Fälligkeit“ des Anspruchs auf Zahlung des Fehlbetrags gegen den Geschenknehmer enthält das Gesetz nicht.

[14] 2. Der Senat hat sich in der ausführlich begründeten Entscheidung 2 Ob 117/21a (iFamZ 2022/120, 151 [Mondel]) mit der Verjährung von Pflichtteilsansprüchen und dem Zusammenspiel von § 765 Abs 2 und § 1487a ABGB befasst und ausgesprochen, dass die kurze Verjährungsfrist des § 1487a ABGB für Pflichtteilsansprüche frühestens ein Jahr nach dem Tod des Erblassers zu laufen beginnt (RS0133859). Der Entscheidung lag ein gegen den Erben als Pflichtteilsschuldner (§ 764 Abs 1 ABGB) gerichteter Zahlungsanspruch zu Grunde.

[15] Der Senat verwies darauf, dass sich aus den Materialien zu § 765 Abs 2 ABGB die Wertung ableiten lasse, dass eine Klage vor Ablauf der Jahresfrist im Regelfall (auch) für den Gläubiger unzumutbar sei. Wenn dann ein Teil der Verjährungsfrist schon verstrichen wäre, bedeutete das eine durch die Wertung des § 765 Abs 2 ABGB nicht gedeckte Schwächung der Rechte des Pflichtteilsberechtigten (Rz 21). Für eine Hemmung der Verjährung durch die in § 765 Abs 2 ABGB angeordnete Stundung sprächen auch Praktikabilitätserwägungen. Im Regelfall würden die für das Bestehen des Pflichtteilsanspruchs maßgebenden Umstände innerhalb eines Jahres nach dem Tod des Erblassers geklärt werden können und dem Berechtigten im Verlassenschaftsverfahren zur Kenntnis gelangen. Der Beginn der Frist jedenfalls erst ein Jahr nach dem Tod vermeide daher in solchen Fällen unnötigen Streit darüber, wann genau diese Kenntnis eingetreten sei oder wann sie bei angemessenen Erkundigungen eingetreten wäre (Rz 22).

[16] 3. Zutreffend verweist der Beklagte daher darauf, dass die Entscheidung 2 Ob 117/21a einen anderen als den hier zu beurteilenden Anspruch nach § 789 ABGB betroffen hat.

[17] 4. Zur Frage der Verjährung des Anspruchs auf Zahlung des Fehlbetrags gegen den Geschenknehmer finden sich in der Literatur folgende Stellungnahmen:

[18] 4.1. R. Madl (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1487a Rz 20) geht davon aus, dass § 765 Abs 2 ABGB mangels entsprechenden Verweises in § 790 Abs 2 ABGB für den Anspruch auf Zahlung des Fehlbetrags keine Relevanz hat. Sofern nicht eine Stundung vom Erblasser letztwillig verfügt oder gerichtlich angeordnet worden sei, könne die Verjährung daher schon vor Ablauf eines Jahres nach dem Erbfall beginnen, wenn der Pflichtteilsberechtigte bereits Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt habe.

[19] 4.2. Welser (in Erbrechtskommentar § 789 ABGB Rz 4) lehrt hingegen, dass die Einjahresfrist für die Durchsetzbarkeit des Haftungsanspruchs auch im Anwendungsbereich des § 789 ABGB gilt.

[20] 4.3. Auch Umlauft (in Hinzu- und Anrechnung² 379 FN 1075 und 381) geht davon aus, dass § 765 Abs 2 ABGB für den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Geschenknehmer nach § 789 ABGB beachtlich ist. Grundlage jedes Haftungsanspruchs nach §§ 789 ff ABGB sei ein in der Verlassenschaft nicht gedeckter Pflichtteilsanspruch. Der Haftungsanspruch gegen den Beschenkten sei subsidiär zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegen die Verlassenschaft bzw den Erben. Es wäre sachwidrig, den Beginn der kurzen Verjährungsfrist für den subsidiären Haftungsanspruch früher anzusetzen als jenen für den Hauptanspruch. Zwar verweise § 790 Abs 2 ABGB nur auf die §§ 766 bis 768 ABGB. Darin liege aber eine offenbar lückenhafte Regelung, was sich aus einem Größenschluss ergebe. Wenn sogar die letztwillig oder gerichtlich angeordnete Stundung (nach §§ 766 bis 768 ABGB) auch für die Geltendmachung der Haftung gegen den Beschenkten gelte, müsse dies umso mehr für die gesetzlich angeordnete Stundung des § 765 Abs 2 ABGB gelten.

[21] 5. Die in der Entscheidung 2 Ob 117/21a angestellten Überlegungen lassen sich aus folgenden Erwägungen auch auf den hier zu beurteilenden Anspruch des Pflichtteilsgläubigers gegen den Geschenknehmer (§ 789 ABGB) übertragen:

[22] § 789 ABGB ordnet eine subsidiäre Haftung des Geschenknehmers an, wenn bei der Pflichtteilsbestimmung Schenkungen hinzu- oder hinzu- und angerechnet werden, jedoch die Verlassenschaft zur Pflichtteilsdeckung nicht hinreicht (Nemeth/Niedermayr in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm5 § 789 Rz 1). Der Senat erachtet aus diesem Grund die Ausführungen Umlaufts für überzeugend. Tatsächlich stellt es einen erheblichen Wertungswiderspruch dar, die Verjährung des subsidiären Anspruchs früher beginnen zu lassen als jene des Hauptanspruchs. § 765 Abs 2 ABGB weist damit eine planwidrige Lücke auf, die durch analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den Anspruch nach § 789 ABGB zu schließen ist.

[23] Dass der Gesetzgeber in § 790 Abs 2 ABGB lediglich einen Verweis auf §§ 766 bis 768 ABGB, nicht aber auf § 765 (Abs 2) ABGB anordnete, lässt keinen Umkehrschluss zu, sondern beruht vielmehr erkennbar auf einer planwidrigen Unvollständigkeit. Dies legen auch die Materialien nahe, die ausdrücklich betonen, dass die Schutzwürdigkeit des Geschenknehmers bei der vorweggenommenen Erbfolge nicht geringer sei als die Schutzbedürftigkeit des Pflichtteilsschuldners (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  36). Dass der Gesetzgeber den Geschenknehmer zwar von einer letztwillig oder gerichtlich angeordneten, nicht aber von der gesetzlich vorgesehenen Stundung des § 765 Abs 2 ABGB profitieren lassen wollte, ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen.

[24] Wollte man § 765 Abs 2 ABGB auf den subsidiären Anspruch des Pflichtteilsgläubigers gegen den Geschenknehmer nicht analog anwenden, käme es im Übrigen gerade im (praktisch relevanten) Fall, dass ein Beklagter zugleich als eingeantworteter Erbe im Umfang des Verlassenschaftsvermögens und als Geschenknehmer im Umfang des Fehlbetrags in Anspruch genommen wird, zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden verjährungsrechtlichen Aufspaltung.

[25] 6. Da der Anspruch der Klägerin somit bei Einbringung der Klage weniger als vier Jahre nach dem Tod der Erblasserin noch nicht verjährt sein konnte, liegen die behaupteten sekundären Feststellungsmängel zum Kenntnisstand der Klägerin nicht vor. Der Revision war insgesamt nicht Folge zu geben.

[26] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.

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