European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00135.22X.1221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Antragsteller ist Mieter der Wohnung Top 7, die nunmehr im Wohnungseigentum des Erstantragsgegners steht. Er trat nach seiner Mutter in den am 8. 8. 1973 abgeschlossenen Hauptmietvertrag ein. Im Jahr 2004 wurde Wohnungseigentum an der Liegenschaft begründet. Die Zweitantragsgegnerin ist die Eigentümergemeinschaft dieser Liegenschaft.
[2] Das Erstgericht trug beiden Antragsgegnern auf, binnen sechs Monaten die zur Wohnung führende Wassersteigleitung vom Keller bis zur Wohnung und die Wohnungszuleitung, soweit diese noch in Blei ausgeführt sind, zu entfernen oder stillzulegen, und eine neue Steigleitung samt Wohnungszuleitung herzustellen, dieden gültigen Normen entsprechen, sowie die damit verbundenen Vor‑ und Nacharbeiten durchzuführen. Den Erstantragsgegner verpflichtete es zudem, dieselben Arbeiten hinsichtlich der Wohnungsinnenleitung durchzuführen; ein Mehrbegehren wies es ab. Die Bleikontamination des Wassers in der Wohnung überschreite auch noch nach fünfminütigem Abrinnenlassen den Grenzwert um mehr als das zweifache, sodass das Wasser gesundheitsgefährdend und damit auch nicht zum Kochen geeignet sei. Als „Altmieter“ könne der Antragsteller seine mietrechtlichen Ansprüche, soweit sie sich auf allgemeine Teile der Liegenschaft oder die Liegenschaft als Gesamtheit beziehen, ungeachtet der Rechtsstellung des Erstantragsgegners als Vermieter auch gegen die Eigentümergemeinschaft richten. Da sowohl die Rohre in der Wohnung als auch in allgemeinen Teilen des Hauses (Steigleitungen) aus Blei bestünden, seien der Erstantragsgegner und auch die Zweitantragsgegnerin zur Behebung des gesundheitsgefährdenden Zustands verpflichtet.
[3] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteigt und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
[4] Der Revisionsrekurs der Antragsgegner ist nicht zulässig:
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Die durch die Wohnrechtsnovelle 2006, BGBl I 2006/124, in § 3 Abs 2 Z 2 MRG eingefügte Verpflichtung des Vermieters zu Erhaltungsarbeiten im Inneren des Mietgegenstands, wenn von diesem eine erhebliche Gesundheitsgefährdung ausgeht, gilt infolge der Übergangsbestimmung des § 49e Abs 1 MRG sowohl bei Alt‑ als auch bei nach dem 30. 9. 2006 neu geschlossenen Mietverträgen (vgl RIS‑Justiz RS0126323 [T2]).
[6] 1.1 Sind Bleirohre im Inneren des Hauses für eine erheblich gesundheitsgefährdende Trinkwasserkontamination ursächlich, so ist nach der Rechtsprechung des Fachsenats der Vermieter zur Behebungverpflichtet, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob es sich um Leitungen im Mietobjekt selbst oder Leitungen in den allgemeinen Teilen des Hauses handelt (5 Ob 88/14y). Zufolge § 4 Abs 3 WEG haften im vorliegenden Fall der Erstantragsgegner und die Eigentümergemeinschaft solidarisch für nicht im Inneren des Bestandobjekts erforderliche Erhaltungsarbeiten (RS0121465 [T4]).
[7] 1.2 Nach den Feststellungen beträgt die Bleikonzentration im Leitungswasser, das der Antragsteller in der Küche entnehmen kann, selbst nach einem Wasservorlauf von fünf Minutenmehr als das zweifache des nach Anhang 1 Teil B der Trinkwasserverordnung (BGBl II 2001/304 idgF) seit 1. 12. 2013 zulässigen Grenzwerts. Eine Gesundheitsgefährdung iSd § 3 Abs 2 Z 2 MRG besteht nicht nur bei extremen oder gar lebensbedrohenden Gefahren, sondern bei jedem Mangel, von dem eine signifikante Gefährdung der körperlichen Integrität ausgeht (O. Riss in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 3 MRG Rz 17ad). Die Überschreitung von Grenzwerten ist dabei generell ein deutliches Indiz für eine erhebliche Gesundheitsgefährdung (5 Ob 110/15k; Pletzer in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht I § 3 MRG Rz 59), sodass es auch nicht zu beanstanden ist, dass das Rekursgericht bei einer Überschreitung des Grenzwerts um mehr als das Doppelte der zulässigen Konzentration die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 Z 2 MRG als erfüllt angesehen hat. Unerheblich ist in Anbetracht der festgestellten Sachlage, ob – wie die Antragsgegner spekulieren – der „Wert, der nach einer Ablaufzeit von 5 Minuten gemessen wurde, auch schon nach einer (jedenfalls zumutbaren) Ablaufzeit von einer Minute“ erreicht worden wäre. Es bliebe dann auch bei der von ihnen als zumutbar angesehenen Wasservorlaufzeit bei der festgestellten Überschreitung des zulässigen Grenzwerts, der sich dann eben nur nicht mehr verändert hätte. Indem die Antragsgegner ihren Ausführungen eine deutlich geringere Konzentration im Wasser ohne jede Vorlaufzeit zugrunde legen, weichen sie vom festgestellten Sachverhalt ab, weil sich dann nicht erklären ließe, wie es dann trotz einer Vorlaufzeit zu dem erwiesenen Wert kommen konnte. Insoweit ist ihre Rechtsrüge nicht ordnungsgemäß ausgeführt (vgl RS0041585).
[8] 1.3 Indem sie sich auch noch im Revisionsrekursverfahren auf ein Sachverständigengutachten zum Nachweis dafür berufen, dass sich eine gesundheitsgefährdende Bleikonzentration auch durch einen kurzen Wasservorlauf beheben ließe, machen die Antragsgegner darüber hinaus einen bereits durch das Rekursgericht verneinten Mangel des Verfahrens erster Instanz geltend. Darauf ist im Revisionsrekursverfahren nicht mehr einzugehen (RS0042963 [zum Verfahren in Außerstreitsachen: T61; T69]). Da fest steht, dass der zulässige Grenzwert selbst nach einer Wasservorlaufzeit von fünf Minuten um mehr als das Doppelte überschritten wurde, sind auch die von ihnen relevierten Feststellungsmängel nicht zu erkennen.
[9] 2. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0118891). Mit ihren Ausführungen zum Verständnis der erstgerichtlichen Feststellung, wonach die erhöhte Bleikonzentration im Trinkwasser „auf [die] der Wohnung vorgelagerte Wasserleitungen bzw. Wasserleitungsteile innerhalb der Wohnung, die noch in Blei ausgeführt sind, zurück zu führen“ sind, sprechen die Antragsteller auch keine Fehlbeurteilung dieser (Auslegungs‑)Frage durch die zweite Instanz an, die vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall zu korrigieren wäre (vgl dazu RS0118891 [T5]). Die Ansicht des Rekursgerichts, dass diese Feststellung im Sinn einer kumulativen Ursache zu verstehen ist, ist jedenfalls vertretbar. Die daraus von den Antragstellern abgeleitete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens sowie die behauptete Aktenwidrigkeit liegen nicht vor.
[10] 3. Richtig ist, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen der gesundheitsgefährdenden Bleikonzentration im Trinkwasser grundsätzlich auch durch Schwermetallfilter begegnet werden könnte. Die Antragsgegner übergehen jedoch in ihrer Argumentation die Feststellungen des Erstgerichts zur Wartungsintensität einer solchen Anlage. Danach wäre ein regelmäßiger Filtertausch durch den Vermieter oder die Hausverwaltung in Abständen von weniger als einem Monat erforderlich, um die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme zu garantieren. Eine derart intensive Wartungsnotwendigkeit bringt naturgemäß die Unsicherheit mit sich, ob der Tausch stets rechtzeitig erfolgt, um die Wirksamkeit der Filter zu erhalten, sodass es im Einzelfall auch nicht zu beanstanden ist, dass das Rekursgericht von einer dem Mieter nicht zumutbaren Maßnahme ausging.
[11] 4. Die Auslegung des Prozessvorbringens einer Partei wirft im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG auf (vgl RS0042828). Im Verfahren erster Instanz hat die Zweitantragsgegnerin ihre Passivlegitimation insoweit bestritten, als sie nicht in Anspruch genommen werden könne, soweit für die Bleibelastung nicht Wasserleitungen außerhalb der Wohnung ursächlich wären. Damit ist es im Einzelfall auch nicht zu korrigieren, dass das Rekursgericht das Bestreitungsvorbringen der Eigentümergemeinschaft dahin deutete, dass sie ihre Passivlegitimation lediglich hinsichtlich der Leitungen im Wohnungsinneren in Abrede stellte (insoweit wurde der Antrag ihr gegenüber ohnedies abgewiesen) und ihr Rekursvorbringen, sie könne auch hinsichtlich der Wohnungszuleitung nicht in Anspruch genommen werden, als unzulässige Neuerung bewertete. Darüber hinaus fehlt es dem festgestellten Sachverhalt ohnedies an Anhaltspunkten, dass mit der Erneuerung der „Wohnungszuleitung“ keine solchen Ansprüche des „(Alt‑)Mieters“ angesprochen sind, deren unmittelbare Erfüllung die Verfügungsberechtigung im weiteren Sinn über die gesamte Liegenschaft voraussetzt (dazu § 4 Abs 3 WEG), und damit der Annahme einerSolidarhaftung der Eigentümergemeinschaft entgegenstünden.
[12] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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