OGH 5Ob177/22y

OGH5Ob177/22y12.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der außerstreitigen Mietrechtssache des Antragstellers J*, vertreten durch den Verein für Gerechte Mieten Österreich, *, gegen die Antragsgegnerinnen 1. M*, 2. D*, beide vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 16 Abs 2 iVm § 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Juni 2022, GZ 39 R 98/22h‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00177.22Y.1212.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die – im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses – von den Vorinstanzen verneinte Berechtigung eines Lagezuschlags.

[2] Die Antragsgegner zeigen in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[3] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Eine solche würde einen Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks und dessen Wiedergabe durch das Rekursgericht voraussetzen (vgl RIS‑Justiz RS0043298 [T11]). Die Ausführungen des Rekursgerichts zu den von den Antragsgegnerinnen beanstandeten Feststellungen zur – in Richtung der verschiedenen Straßenseiten unterschiedlichen – Lärmbeeinträchtigung der Liegenschaft stimmen jedoch mit der Aktenlage überein.

[4] 2.1 Für die Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, bedarf es nach der Rechtsprechung (vgl dazu etwa RS0111204) eines wertenden (Gesamt‑)Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen). In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (vgl RS0131812). In der von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 5 Ob 74/17v stellte der Senat für ein im 5. Bezirk gelegenes Haus als Referenzgebiet auf die innerstädtischen Gebiete mit dafür typischer mehrgeschossiger Verbauung ab. Die dort festgestellte Erschließung der Wohnumgebung des Hauses mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die Möglichkeiten der Nahversorgung rechtfertigten die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage im Sinn des § 16 Abs 4 MRG nicht. An den Grundsätzen dieser Entscheidung hielt der Senat mehrfach ausdrücklich fest (vgl RS0131812). Auch die Entscheidung 5 Ob 214/20m betraf eine Wohnung in unmittelbarer Nähe zu dem hier zu beurteilenden, auch im 5. Bezirk gelegenen Objekt und schrieb diese Rechtsprechung fort.

[5] 2.2 Das Rekursgericht wendete – ebenso wie schon das Erstgericht – die Leitlinien dieser Entscheidung auch für die hier zu beurteilende, ebenfalls im 5. Wiener Gemeindebezirk und in der Nähe der zu 5 Ob 74/17v beurteilten Liegenschaft liegende Wohnung an. Die Entscheidung ist nicht korrekturbedürftig. Das Mietobjekt befindet sich in einem fünfstöckigen Gebäude im mehrstöckig verbauten Wohngebiet. Geschäfte des täglichen Bedarfs sind ebenso wie die Anbindung an eine U-Bahn- und eine Autobus-Linie fußläufig erreichbar. Kulturelle Einrichtungen der innerstädtischen Bezirke sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen; auch Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sind in unmittelbarer Umgebung. Die gute öffentliche Verkehrsanbindung der Liegenschaft mit der zu beurteilenden Wohnung bringt allerdings (ähnlich wie in der Entscheidung 5 Ob 214/20m) auch die Lärmimmission durch Straßenlärm (von etwa 75 dB auf der einen und 60–65 dB auf der anderen Straßenseite des Hauses) mit sich.

[6] 2.3 Die Antragsgegnerinnen behaupten (neuerlich, wie bereits in ihrem Rekurs), das Rekursgericht sei auf die Ausführungen des Sachverständigen, der für die Liegenschaft eine sehr gute Verkehrsanbindung und andere für eine überdurchschnittliche Lage sprechende Kriterien erhoben habe, nicht hinreichend eingegangen. Damit übersehen sie, dass die Beurteilung des zulässigen Mietzinses und damit auch die Frage der Berechtigung eines Lagezuschlags eine vom Richter (und nicht vom Sachverständigen) zu beurteilende Rechtsfrage ist (vgl 5 Ob 140/20d [Pkt 2.3.] mwN).

[7] 2.4 Auch eine „Abweichung zur Judikatur“ im Bezug auf die Lärmbelästigung ist nicht zu erkennen: Die Lärmbelastung der Liegenschaft bildet grundsätzlich ein Lagekriterium (5 Ob 104/21m = RS0133742). Nach dem Sachverhalt weist die Liegenschaft eine durchaus erhebliche Lärmbeeinträchtigung auf; die Wohnumgebung ist im Übrigen die Gegend der Stadt, die den erwähnten Entscheidungen 5 Ob 74/17v und 5 Ob 214/20m zugrunde lag. Auch in diesem Zusammenhang zeigt das Rechtsmittel daher nicht auf, dass das Rekursgericht den ihm bei der Beurteilung der Qualität der Lage (Wohnumgebung) grundsätzlich eingeräumten Wertungs‑ und Ermessensspielraum verlassen hätte.

[8] 3. Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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