OGH 13Os101/22k

OGH13Os101/22k23.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Strafsache gegen * W* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * W* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 11. Juli 2022, GZ 25 Hv 50/21f‑66, ferner über die Beschwerde des genannten Angeklagten gegen einen zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00101.22K.1123.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten * W* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – * W* eines Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15201 Abs 1 StGB (1) sowie jeweils eines Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (2) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (3) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in I*

(1) am 19. Jänner 2021 im Innenhof einer Wohnanlage eine etwa 30 Jahre alte Frau mit Gewalt zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Oralverkehrs, zu nötigen versucht, indem er sie an den Handgelenken packte, gegen eine Hausmauer drückte, nach einem Fluchtversuch wieder an sich riss und zugleich von ihr verlangte, ihm „einen zu blasen“, weiters

(2) am 24. September 2021 * L* durch die Äußerung: „I bring dein Hund um. Und di schlag i tot, du Ratzenkopf!“ mit einer Verletzung am Körper und am Vermögen gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, sowie

(3) am 24. März 2022 * H* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm mit beiden Händen einen kräftigen Stoß versetzte, wodurch der Genannte zu Boden fiel, mit dem Gesicht auf dem Asphalt aufschlug und eine Nasenbeinfraktur sowie Abschürfungen an der Stirn und an der rechten Hand erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * W*.

[4] Die Vorsatzformen der Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) und der Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) sind voneinander zu trennen. Bei ersterer dominiert die Willenskomponente, bei letzterer die Wissenskomponente. Demnach bedeutet Wissentlichkeit nicht notwendigerweise, dass der Täter in Bezug auf einen Umstand oder Erfolg auch absichtlich handelte, und ist absichtliches Handeln nicht zwingend mit der Annahme verbunden, dass er das Vorliegen eines Umstands oder den Eintritt eines Erfolgs für gewiss hielte. Allerdings schließen Absichtlichkeit und Wissentlichkeit – bezogen auf denselben Umstand oder Erfolg – einander nicht aus (vgl RIS-Justiz RS0089283; Reindl-Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 24 und 31).

[5] Hiervon ausgehend sind jene Urteilsfeststellungen, denen zufolge der Angeklagte in Ansehung der Tatbildmerkmale (zum Schuldspruch 1) des § 201 Abs 1 StGB (US 7) sowie (zum Schuldspruch 2) des § 107 Abs 1 StGB – einschließlich des mit der Drohung verfolgten Zwecks, den Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen – (US 8) sowohl absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) als auch wissentlich (§ 5 Abs 3 StGB) handelte, der Mängelrüge zuwider weder undeutlich (Z 5 erster Fall) noch widersprüchlich (Z 5 dritter Fall).

[6] Weshalb die Feststellung: „Dass diese Drohung bzw. die Verwirklichung der angedrohten Übel dem * L* auch als ernstgemeint erschien, wusste und beabsichtigte * W* zum Tatzeitpunkt“ (US 8) undeutlich sein sollte, macht die Beschwerde ihrerseits nicht deutlich.

[7] Entgegen der weiteren Rüge (Z 5 vierter Fall) bedurfte es in Bezug auf die Ernstlichkeit der Drohung keiner gesonderten Begründung zur Wollenskomponente des Vorsatzes, weil das – im Urteil begründete (US 16) – Wissen des Angeklagten die Wollenskomponente inkludiert (RIS‑Justiz RS0088835 [T4]) und eine (wenngleich festgestellte) Absicht insoweit gar nicht erforderlich, das diesbezügliche Tatsachensubstrat somit nicht entscheidend ist.

[8] Die vom Beschwerdeführer vermisste Begründung der Urteilsaussage (US 8), wonach es ihm „darauf an[kam], den * L* in Furcht und Unruhe, also in einen nachhaltigen, das ganze Gemüt ergreifenden peinvollen Seelenzustand zu versetzen“ (vgl RIS-Justiz RS0093200), findet sich auf US 16.

[9] Der Einwand, das Erstgericht habe den Bedeutungsinhalt der Drohung allein aus deren Wortlaut abgeleitet, orientiert sich nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (siehe aber RIS-Justiz RS0119370). Die Tatrichter stützten die betreffende Feststellung vielmehr überdies darauf, dass der Angeklagte bereits in der Vergangenheit aggressiv aufgetreten sei und sich nun ohne Anlass dem ihm bekannten * L* bis auf einen Abstand von rund 10 bis 20 cm genähert hätte (US 16).

[10] Seine Konstatierungen zum subjektiven Handlungselement in Bezug auf die Verletzung des * H* am Körper (Schuldspruch 3) folgerte das Schöffengericht aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer dem Opfer (einem „älteren schmächtigen Mann“) einen kräftigen Stoß mit beiden Händen versetzte, somit aus dem objektiven Tatgeschehen (US 15 f).

[11] Diese Schlussfolgerung ist – entgegen der weiteren Mängelrüge – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).

[12] Mit der Behauptung, die vom Schuldspruch 2 umfasste Tat sei (bloß) „als milieubedingte Unmutsäußerung zu werten“, bestreitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) – der Sache nach – nicht die (in den Bereich der rechtlichen Beurteilung fallende) begründete Besorgniseignung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB), sondern die (den Gegenstand einer Tatfrage bildende) Ernstlichkeit der Drohung (RIS-Justiz RS0092448 [T5], RS0093096 [T6]).

[13] Indem sie dabei nicht vom festgestellten Sachverhalt (US 8) ausgeht, verfehlt sie den – gerade darin gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[14] Gleiches gilt, soweit sie Feststellungen „zur Realisierbarkeit der Drohung“ vermisst und sich solcherart über den Urteilssachverhalt hinwegsetzt, wonach eine Drohung (sogar) tatsächlich ausgesprochen wurde (US 7).

[15] Hinzugefügt sei, dass die Realisierbarkeit des angedrohten Übels für die Beurteilung einer Drohung als gefährlich (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) nicht erforderlich ist. Es genügt vielmehr der (beim Opfer erweckte) Eindruck dessen (grundsätzlicher) Realisierbarkeit (RIS-Justiz RS0092132 und RS0092519 [insbesondere T4] sowie Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 74 Rz 23).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[17] Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[18] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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