OGH 10ObS115/22t

OGH10ObS115/22t22.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. C*, vertreten durch Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Feststellung des Berufsschutzes, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑und Sozialrechtssachen vom 23. Juni 2022, GZ 10 Rs 19/22 w‑10, mit dem aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 7. September 2021, GZ 11 Cgs 35/21y‑7, teilweise als nichtig aufgehoben und insoweit die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00115.22T.1122.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 17. 12. 2020 anerkannte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Anspruch der Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension ab 1. 11. 2020 und sprach aus, dass die Pension inklusive eines Kinderzuschusses für zwei Kinder monatlich 1.935,89 EUR betrage.

[2] Die Klägerin begehrte mit ihrer dagegen erhobenen Klage die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension im höchstmöglich gesetzlichen Ausmaß. Sie begehrte weiters, die Beklagte schuldig zu erkennen, „der klagenden Partei Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs 1 in Verbindung mit § 273 Abs 1 ASVG zuzusprechen“.

[3] Das Erstgericht wiederholte mit Urteil den angefochtenen Bescheid und wies das Mehrbegehren auf Zuerkennung einer höheren Berufsunfähigkeitspension ab. In diesem Umfang erwuchs seine Entscheidung mangels Anfechtung in Rechtskraft.

[4] Das Erstgericht wies weiters mit Urteil das Klagebegehren auf Zuspruch von Berufsschutz im Sinn der §§ 255 Abs 1 iVm 273 Abs 1 ASVG ab.

[5] Aus Anlass der Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht mit Beschluss das angefochtene Urteil, soweit es das Feststellungsbegehren betrifft, und insoweit auch das vorangegangene Verfahren, als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Über ein Feststellungsbegehren im Sinn des § 65 Abs 2 ASGG könne das Sozialgericht nach dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz nur dann entscheiden, wenn die Bestimmungen über das Verfahren vor dem Versicherungsträger eine entsprechende Feststellungsentscheidung in Leistungssachen vorsähen. § 367 Abs 4 ASVG biete keine Grundlage für die begehrte Feststellung eines Berufsschutzes, weil der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension zuerkannt worden sei.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Beklagten nicht beantwortete Rekurs der Klägerin, mit dem sie die Feststellung von Berufsschutz anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs ist zulässig (RIS‑Justiz RS0043861; RS0043882 [T11]; A. Kodek in Rechberger / Klicka, ZPO5, § 519 Rz 8), er ist jedoch nicht berechtigt.

[8] 1. Die zutreffende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Sozialgerichte nach dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz über ein Feststellungsbegehren (§ 65 Abs 2 ASGG) nur dann entscheiden können, wenn die Bestimmungen über das Verfahren vor dem Versicherungsträger eine entsprechende Feststellungsentscheidung in Leistungssachen vorsehen (§ 367 Abs 1 und 2 ASVG; RS0085830), stellt die Rekurswerberin nicht in Frage.

[9] 2. § 367 Abs 4 Z 1 ASVG sieht die von der Klägerin erkennbar begehrte Feststellung, dass Invalidität (Berufsunfähigkeit) im Sinn des § 255 Abs 1 oder 2 (§ 273 Abs 1) ASVG vorliegt, nur dann vor, wenn eine beantragte Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit abgelehnt wird, weil dauernde Invalidität (§ 254 ASVG) oder dauernde Berufsunfähigkeit (§ 271 ASVG) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands nicht anzunehmen ist. Diese Feststellung hat der Versicherungsträger von Amts wegen zu treffen, wenn nach § 255a (§§ 273a, 280a) ASVG festgestellt wird, dass die Invalidität (Berufsunfähigkeit) voraussichtlich nicht dauerhaft vorliegt (§ 367 Abs 4 Satz 2 ASVG). Eine derartige Feststellung kann bei Anspruch auf Rehabilitationsgeld auch erst im Bescheid zur Entziehung von Rehabilitationsgeld (§ 99 Abs 3 Z 1 lit b ASVG) erfolgen (§ 367 Abs 4 Satz 3 ASVG). Keiner dieser Fälle ist hier verwirklicht, weil der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension zuerkannt wurde, was unter anderem das Vorliegen voraussichtlich dauerhafter Berufsunfähigkeit voraussetzt und weiters, dass kein Rechtsanspruch auf zumutbare und zweckmäßige berufliche Maßnahmen der Rehabilitation im Sinn des § 270a ASVG besteht (§ 271 Abs 1 Z 1 und Z 2 ASVG).

[10] 3. Dem Argument der Klägerin, dass sich aus der Gesamtsystematik der mit dem SRÄG 2012 geänderten „Berufsunfähigkeits‑ und Rehabilitationsgeldthematik des ASVG“ ergeben müsse, dass der Versicherte auch bei Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension einen Anspruch auf Feststellung des Berufsschutzes haben müsse, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage: Die Frage des Berufsschutzes ist, worauf die Beklagte bereits im Verfahren erster Instanz hingewiesen hat, lediglich eine Vorfrage zur Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit, die im Fall der Klägerin ohnedies bejaht wurde. Daher ist auch aus dem Hinweis der Klägerin auf (gemeint offenbar:) § 354 Z 4a ASVG nichts für ihren Standpunkt zu gewinnen.

[11] Auf die weiteren Ausführungen des Rekurses, aus welchen Gründen die Klägerin meint, Berufsschutz zu genießen, ist deshalb nicht einzugehen.

[12] Dem Rekurs ist daher nicht Folge zu geben.

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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