OGH 2Ob186/22z

OGH2Ob186/22z25.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch Peissl & Partner Rechtsanwälte OG in Köflach, gegen die beklagte Partei Fachverband der Versicherungsunternehmen, *, vertreten durch Dr. Winfried Sattlegger ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen 21.969,77 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 5.492,44 EUR sA) gegen das Teil‑ und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Juli 2022, GZ 2 R 101/22v‑24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 27. April 2022, GZ 9 Cg 13/21p‑19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00186.22Z.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 104,42 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Am 16. 11. 2020 ereignete sich im Lainbergtunnel auf der Phyrnautobahn (A 9) ein Verkehrsunfall zwischen einem PKW (Fahrzeug des [ursprünglichen] Klägers) und einem LKW, für den der beklagte Verband nach § 4 Abs 1 Z 1 VOEG einzustehen hat. Der LKW war zum Unfallszeitpunkt nicht zugelassen; er verfügte weder über eine aufrechte Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung noch über eine gültige Begutachtungsplakette nach § 57a KFG. Der von dessen Lenker erst am Unfallstag als Gebrauchtwagen angekaufte LKW kam im Tunnel auf dem rechten Fahrstreifen aufgrund eines plötzlichen Absterbens des Motors zum Stillstand. Zum Absterben des Motors wäre es auch bei Bestehen einer aufrechten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und Vorliegen einer gültigen Begutachtungsplakette nach § 57a KFG gekommen. Bei einer Überprüfung des LKW unmittelbar vor Antritt der Fahrt wären die zum Absterben des Motors führenden Defekte nicht aufgefallen. Der Kläger reagierte bei einer Sichtweite von 200 Metern mit einer Verspätung von etwas mehr als 6 Sekunden auf den bereits stillstehenden LKW.

[2] Das Berufungsgericht ging von einer Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Lasten des Klägers aus. Der massiven Reaktionsverspätung des Klägers – sohin seinem groben Verschulden – stehe die außergewöhnliche Betriebsgefahr des LKW gegenüber, was die vorgenommene Schadensteilung rechtfertige. Ein im Fehlen einer Zulassung liegendes Verschulden sei dem Lenker des LKW nicht anzulasten, weil es nach den Feststellungen am Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle.

[3] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil im Hinblick auf die Gewichtung der außergewöhnlichen Betriebsgefahr im Verhältnis zu grobem Verschulden unterschiedliche höchstgerichtliche Entscheidungen vorliegen würden.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.

[5] 1. Der gerügte Mangel des Berufungsverfahrens liegt – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Berufungsgericht bezog bei Erledigung der Tatsachenrüge zusätzlich zu dem vom Erstgericht zur Begründung der bekämpften Feststellung allein herangezogenen Sachverständigengutachten auch die Prüf- und Begutachtungsstellenverordnung, BGBl II 1998/78, in seine beweiswürdigenden Überlegungen ein. Wenn es auf diese Weise die Schlüssigkeit des Gutachtens und die Richtigkeit der vom Erstgericht aus dem Gutachten gezogenen Schlussfolgerungen untermauerte, liegt darin weder eine unzulässige Überraschungsentscheidung noch ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz.

[6] 2. Nach der Rechtsprechung stellen die Vorschriften über die Zulassung eines Kraftfahrzeugs (§§ 36 ff KFG) Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB dar. Ihr Schutzzweck betrifft aber nicht die Verhinderung eines Schadens durch ein Kraftfahrzeug an sich, sondern nur die Verhinderung eines spezifisch mit dem Erfordernis der Zulassung zusammenhängenden Schadens (RS0027696). Hat also der Umstand, dass das Fahrzeug nicht ordnungsgemäß angemeldet und zugelassen war, auf den Schadenseintritt keinen Einfluss, macht die Übertretung der Bestimmungen über die Zulassung allein nicht haftbar (8 Ob 240/71 ZVR 1972/111; 2 Ob 191/80 ZVR 1981/240; 7 Ob 53/82 SZ 56/80).

[7] 2.1. Die Annahme des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall sei ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Nichtzulassung des LKW und dem Fehlen einer gültigen Prüfplakette gemäß § 57a KFG einerseits sowie dem eingetretenen Schaden andererseits zu verneinen, ist auf Basis der getroffenen Feststellungen unter Beachtung der soeben dargestellten Judikatur jedenfalls vertretbar.

[8] 2.2. Wird bereits der Rechtswidrigkeitszusammenhang verneint, kommt es auf die in der Revision thematisierte Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens (vgl dazu RS0111706) nicht entscheidend an.

[9] 3. Dass der beklagte Verband für die außergewöhnliche Betriebsgefahr des LKW (vgl zur in einem nicht bloß verkehrsbedingten Stillstand auf einer Autobahn liegenden außergewöhnlichen Betriebsgefahr jüngst 2 Ob 217/20f Rz 22 mwN) einzustehen hat, ist im Revisionsverfahren nicht (mehr) strittig.

[10] 4. Nach der Rechtsprechung des Fachsenats ist für außergewöhnliche Betriebsgefahr gegenüber grobem Verschulden regelmäßig eine Quote von einem Viertel in Ansatz zu bringen (RS0058551 [T9]; jüngst 2 Ob 217/20f Rz 26 mwN). Die vom Berufungsgericht angenommene Judikaturdivergenz liegt nicht vor; vielmehr berücksichtigt die vom Senat vorgenommene (oder als vertretbar gebilligte) Schadensteilung iSd § 11 EKHG die jeweils konkreten Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Schwere des gegen die außergewöhnliche Betriebsgefahr abzuwiegenden Verschuldens.

[11] 4.1. Das Berufungsgericht hat die Entscheidungen 2 Ob 359/99d (Reaktionsverspätung von zumindest 6,7 Sekunden) und 2 Ob 229/01t (beinahe reaktionsloses Auffahren auf einen auf der Autobahn stehenden LKW bei einer Sichtweite von mindestens 200 Metern), in denen für die außergewöhnliche Betriebsgefahr jeweils eine Quote von einem Viertel veranschlagt wurde, in nicht korrekturbedürftiger Weise als gut vergleichbar angesehen.

[12] 4.2. Die in der Revision zitierte Entscheidung 8 Ob 42/87 ist hingegen nicht vergleichbar, war dort doch ein im Vergleich zum vorliegenden Fall deutlich geringeres Verschulden (Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht) gegenüber einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr zu gewichten.

[13] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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