OGH 9ObA110/22z

OGH9ObA110/22z20.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende,die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauerund Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Alexander Noga (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Stefan Gschwendt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C* D*, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt *, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit‑Partnerschaft in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. August 2022, GZ 10 Ra 16/22d‑16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00110.22Z.1020.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Dienstgeber gehalten, von seinem an wichtige Gründe gebundenen Kündigungsrecht bei sonstigem Verlust desselben unverzüglich nach Kenntnisnahme des rechtfertigenden Sachverhalts durch die für den Ausspruch der Kündigung zuständigen Organe Gebrauch zu machen. Verzögerungen im Ausspruch der Kündigung von Vertragsbediensteten können nur insoweit anerkannt werden, als sie in der Sachlage, also in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls, sachlich begründet sind (RS0029273; vgl auch RS0028543 [T1]). Dem Dienstgeber ist das Recht zuzubilligen, bei einem undurchsichtigen Sachverhalt bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit dem Kündigungsausspruch zuzuwarten (RS0029297). Auch ein durch die obligatorische Einschaltung der zum Arbeitnehmerschutz berufenen Organe veranlasstes Zuwarten ist dabei zu berücksichtigen (8 ObA 36/21h Rz 4; RS0028543 [T6]; RS0029273 [T8, T26]). Ist dieser Zeitraum nicht unangemessen lang, dann darf der Dienstnehmer nach Treu und Glauben nicht auf einen konkludenten Verzicht auf das Kündigungsrecht schließen (RS0029273 [T12]).

[2] 1.2. In der Rechtsprechung wurde auch stets darauf Bedacht genommen, dass bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich die Willensbildung aufgrund der hierarchischen Strukturen umständlicher und langwieriger ist als bei physischen Personen; desgleichen wurde auch auf Aktenlauf und Kompetenzverteilung bei Gebietskörperschaften und anderen juristischen Personen entsprechend Bedacht genommen (9 ObA 88/13a; 8 ObA 36/21h Rz 5).

[3] 1.3. Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf generell nicht überspannt werden (RS0029273 [T16]; vgl RS0031587 [T1]). Nicht aus jeder Verzögerung kann auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Dienstnehmers, können die Annahme eines Verzichts verhindern (RS0028987). Allerdings muss die Dienstfreistellung zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für den Beendigungsausspruch erfolgen und für den Dienstnehmer als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung erkennbar sein; nur wenn dem Dienstnehmer erkennbar ist, dass sein Verhalten die schwerwiegende Folge der Entlassung bzw Kündigung eines Vertragsbediensteten nach sich ziehen kann und nur noch Abklärungen der Sach- und Rechtslage erforderlich sind, kann aus dem Zeitablauf allein nicht auf einen Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden (9 ObA 20/19k Pkt 2.).

[4] 2. Ob die Beklagte den Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 Z 1 VBO 1995 unverzüglich geltend gemacht hat, stellt eine Beurteilung im Einzelfall dar, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (8 ObA 62/21g Rz 11; RS0031571 [T1, T9, T10]). Die angefochtene Entscheidung, in der das Berufungsgericht im Einklang mit dem Ersturteil die Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Kündigung des Klägers bejaht hat, bewegt sich im Rahmen der dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung zum Unverzüglichkeitserfordernis.

[5] 3. Nach den Feststellungen leistete der beim beklagten Land als Vertragsbediensteter beschäftigt gewesene Kläger zuletzt seinen Dienst im Rahmen der Überwachung von Kurzparkzonen und dem ruhenden Verkehr. Nachdem durch eine verdeckte Dienstaufsicht am 15. 4. 2021 Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der vorschriftswidrigen Unterlassung der Hinterlegung mehrerer Organstrafverfügungen durch den Kläger entdeckt wurden, informierte der Vorgesetzte des Klägers noch am selben Tag davon die Landespolizeidirektion Wien und beantragte die Dienstfreistellung des Klägers. Diese wurde am darauffolgenden Tag, dem 16. 4. 2021, auch ausgesprochen. In einer sofort eingeholten schriftlichen Stellungnahme verantwortete sich der Kläger unter anderem damit, dass er bei seiner dienstlichen Tätigkeit am 15. 4. 2021 zweimal von Bauarbeitern beleidigt und provoziert worden sei und sich daher im Sinne des Eigenschutzes beide Male ohne Hinterlegung des Organstrafmandats an den beanstandeten Fahrzeugen entfernt habe.

[6] Am 23. 4. 2021 wurde die Personalvertretung der Bediensteten der Gemeinde * über die beabsichtigte Kündigung des Klägers in Kenntnis gesetzt. Diese sprach sich am 6. 5. 2021 gegen die Kündigung des Klägers aus, weil nach Angaben der Vorsitzenden des Dienststellenausschusses dem Kläger lediglich in einem Fall vorgeworfen werde, ein ausgestelltes Organstrafmandat nicht am Fahrzeug angebracht zu haben.

[7] Am 8. 6. 2021 ersuchte die Dienststelle des Klägers (MA 7 Parkraumüberwachung) in einer Stellungnahme an die Magistratsabteilung 2, die Kündigung weiter zu betreiben, weil der Kläger nicht nur einmal, wie in der Stellungnahme der Personalvertretung dargestellt werde, sondern systematisch bei Fahrzeugen, bei denen er Konflikte mit den Fahrzeuglenkern befürchtete, zwar Organmandate ausgestellt, diese aber nicht hinterlegt, sondern offenbar weggeworfen habe.

[8] Die Kündigung des Klägers erfolgte am 10. 6. 2021.

[9] 4.1. In seiner außerordentlichen Revision erblickt der Kläger eine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen (ausschließlich) darin, dass der Unverzüglichkeitsgrundsatz durch die Untätigkeit der Beklagten im Zeitraum zwischen der bei der Beklagten am 6. 5. 2021 eingelangten Stellungnahme der Personalvertretung und der dazu am 8. 6. 2021 ergangenen Stellungnahme der MA 7 verletzt worden sei. Bereits am 6. 5. 2021 sei der für den Ausspruch der Kündigung zuständigen Magistratsabteilung 2 der gesamte Sachverhalt bekannt gewesen. Der Grund für die mehr als einmonatige Verzögerung mit dem Ausspruch der Kündigung sei demnach allein in der Untätigkeit des zur Entscheidung berufenen Organs der Beklagten gelegen.

[10] 4.2. Dem ist zu entgegnen, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ergibt, dass die Beklagte (MA 2) bereits nach Einlangen der Stellungnahme der Personalvertretung am 6. 5. 2022 in Kenntnis aller für ihre Entscheidungsfindung relevanten Umstände war. Vielmehr war gerade aufgrund dieser Stellungnahme noch klärungsbedürftig, ob dem Kläger nur ein einmaliges Fehlverhalten zur Last liegt oder er mehrere Verstöße gegen seine Dienstpflichten zu verantworten hat. Dadurch, dass die Beklagte (MA 2) nicht ohne berechtigten Grund mit ihrer Entscheidungsfindung bis zum Einlangen der von ihr angeforderten Stellungnahme der Dienststelle des Klägers (MA 7) zugewartet hat, ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Ausspruch der Kündigung nicht ungebührlich verzögert, vertretbar. Es liegen auch sonst keine Gründe vor, aufgrund derer der suspendierte Kläger allein wegen des verzögerten Zeitablaufs davon ausgehen durfte, die Beklagte wolle die Kündigung nicht weiter betreiben und auf die Kündigung verzichten.

[11] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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