OGH 13Os74/22i

OGH13Os74/22i19.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Turner in der Strafsache gegen Mo* S* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 19. Mai 2022, GZ 17 Hv 27/22d‑78, nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00074.22I.1019.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zur Zusatzfrage sowie das darauf beruhende Urteil im Schuldspruch, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche sowie im Kostenausspruch, aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang an das Geschworenengericht des Landesgerichts Klagenfurt zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung mit dem Auftrag verwiesen, die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Mo* S* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 3. September 2021 in V * A* vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihr mit einem Stanleymesser mehrere Schnitte zufügte, die multiple langstreckige und tiefreichende Schnittwunden an der Kehle, an Hals und Nacken, an der rechten Schulter, am Hinterkopf, vom linken Schulterblatt bis zur rechten Gesäßgegend, an Brustkorb und Oberbauch, an beiden Armen und Händen sowie an der rechten Wange mit Durchtrennung des Kopfnickermuskels und der Rückenmuskulatur, der linken Daumenbeugesehne sowie von Nerven dreier Finger der linken Hand, verbunden mit erheblichem Blutverlust, beim Opfer zur Folge hatten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Geschworenen bejahten die (nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte) Hauptfrage und verneinten die nach Rücktritt vom Versuch (§ 16 StGB) gestellte Zusatzfrage.

[5] Letztere lautete (ON 77 S 65): „Hat Mo* S* am 03. 09. 2021 in V* dadurch, dass er unmittelbar nach der […] geschilderten Tat seinem Sohn Ma* S* auftrug zu den Nachbarn zu gehen und Hilfe zu holen, nachdem er ihn vergeblich ersuchte seinen Bruder anzurufen, freiwillig den Erfolg seiner Tat abgewendet?“

[6] Die (eigentliche) Zusatzfrage gemäß § 313 StPO ist „nach dem“ jeweiligen „Strafausschließungs‑ oder Strafaufhebungsgrunde“ zu stellen. Das bedeutet, dass hier – anders als bei Schuldfragen (§§ 312, 314, 316 StPO) – nicht auch nach einem konkreten Lebenssachverhalt, sondern nur nach dem Vorliegen der gesetzlichen Kriterien des in Rede stehenden Straflosigkeitsgrundes zu fragen ist (13 Os 30/03, SSt 2003/24; RIS‑Justiz RS0100495 und RS0117501). Die in der Hauptverhandlung vorgekommenen „Tatsachen“ bilden solcherart zwar den Anlass, nicht jedoch den Inhalt der Fragestellung (13 Os 78/06d, SSt 2006/64; RIS‑Justiz RS0117501 und RS0121148; zum Ganzen Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 9 f und Ratz, WK-StPO § 281 Rz 619).

[7] Weist demnach ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Verfahrensergebnis in die Richtung des Strafaufhebungsgrundes des Rücktritts vom Versuch (hier § 16 Abs 1 StGB), so ist bloß nach den Tatbestandsmerkmalen dieses Ausnahmesatzes zu fragen, also danach, ob der Angeklagte (soweit hier relevant) „freiwillig den Erfolg abgewendet“ hat. Der diesbezügliche Sachverhalt – etwa die rechtliche Annahme von „Freiwilligkeit“ tragende Tatumstände oder die Art und Weise der Erfolgsabwendung – ist nicht Gegenstand der Fragestellung gemäß § 313 StPO.

[8] Im Recht ist daher die aus Z 6 erhobene Kritik, die „Aufnahme des Passus 'unmittelbar'“ in die Stellung der Zusatzfrage sei „nicht rechtskonform“, weil § 16 Abs 1 StGB die „freiwillige, […] aber nicht die sofortige Abwendung des Erfolges“ verlange.

[9] Die vom Beschwerdeführer zutreffend geltend gemachte Nichtigkeit (Z 6) führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen sowie des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO iVm § 344 zweiter Satz StPO).

[10] Das – (aus Z 6) gegen die übrige Formulierung und (aus Z 10a) gegen die Verneinung der betreffenden Zusatzfrage gerichtete – weitere Beschwerdevorbringen hat demnach auf sich zu beruhen.

[11] Da der Nichtigkeitsgrund nur den Wahrspruch zur Zusatzfrage, nicht aber den (ohnedies unbekämpft gebliebenen) Wahrspruch zur Hauptfrage betrifft, hatte der Wahrspruch, soweit er Letztere bejaht, unberührt zu bleiben (§ 349 Abs 2 StPO; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 349 Rz 1).

[12] Im Umfang der Aufhebung war die Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts Klagenfurt zu verweisen (§ 349 Abs 1 StPO).

[13] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung zu verweisen.

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