OGH 6Ob104/22w

OGH6Ob104/22w17.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen N*, vertreten durch Mag. Robert Igaly‑Igalffy, Rechtsanwalt in Wien, als Rechtsbeistand gemäß § 119 AußStrG, über die Revisionsrekurse des Betroffenen und dessen Ehefrau Mag. G*, sowie dessen Adoptivsohn I*, vertreten durch Mag. Petra Smutny, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. März 2022, GZ 42 R 14/22b‑54, womit über Rekurs der Tochter des Betroffenen E*, vertreten durch Mag. Philipp Haller, Rechtsanwalt in Wien, der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 22. November 2021, GZ 83 P 319/20b‑42, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00104.22W.1017.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht sprach aus, die Vorsorgevollmacht zugunsten der Ehefrau des Betroffenen werde beendet (Punkt 1.) sowie die Ehefrau des Betroffenen werde für die im einzelnen angeführten Angelegenheiten zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin für den Betroffenen bestellt und ihr die Erstattung eines Antrittsstatus aufgetragen (Punkt 2.). Die Verfahrenskosten trage endgültig der Bund.

Das Rekursgericht gab dem gegen Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses erhobenen Rekurs der Tochter des Betroffenen Folge und traf folgenden Ausspruch:

„Der angefochtene Beschluss, der in seinen Punkten 1. und 3. (gemeint offensichtlich der Kostenausspruch) sowie hinsichtlich der Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters in seinem Punkt 2. unbekämpft geblieben ist, wird hinsichtlich der Auswahl der Person aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen; dabei ist hinsichtlich der Überprüfung der Gültigkeit des Schenkungsvertrages vom * sowie der Einbringung des nicht protokollierten Einzelunternehmens des Betroffenen * in die * KG jedenfalls eine außenstehende Person mit entsprechenden Rechtskenntnissen zu bestellen.“

[2] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nicht zu, weil die Entscheidung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang stehe und in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinausgehe.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revisionsrekurse des Betroffenen sowie der Ehegattin und des Adoptivsohns des Betroffenen sind nicht zulässig.

[4] 1.1. Nach § 64 Abs 1 AußStrG ist ein Beschluss, mit dem das Rekursgericht einen Beschluss des Gerichts erster Instanz aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen hat, nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs zulässig ist.

[5] 1.2. § 64 Abs 1 AußStrG gilt nur für „echte“ Aufhebungsbeschlüsse (RS0111919 [T3]; vgl RS0007218 [T1]). Ein echter Aufhebungsbeschluss liegt vor, wenn eine bestimmte Frage, über die eine selbstständige Entscheidung zu ergehen hat, vom Gericht zweiter Instanz noch nicht abschließend erledigt wird, sondern hierüber eine neuerliche Entscheidung des Erstgerichts ergehen soll (RS0044037 [T15]; vgl RS0044033 [T3]). Hingegen liegt eine in Wahrheit abändernde Entscheidung des Rekursgerichts vor, wenn in der Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses zugleich auch die abschließende Entscheidung über die Unzulässigkeit oder die Unrichtigkeit der Entscheidung der ersten Instanz oder über eine in dieser Entscheidung aufgeworfene und für diese Entscheidung ausschlaggebende Frage liegt, sodass über den bisherigen Entscheidungsgegenstand nicht mehr abzusprechen ist, weil dies inhaltlich bereits durch den Beschluss des Rekursgerichts geschah (RS0044035; RS0007218). Dies trifft etwa auf Beschlüsse zu, mit denen ein Antrag oder ein Rechtsmittel aus formellen Gründen, beispielsweise wegen des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen, zurückgewiesen (Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 64 Rz 4) oder ein solcher Zurückweisungsbeschluss aufgehoben wurden (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 64 Rz 2; zu allem auch 6 Ob 141/21k).

[6] 1.3. Im vorliegenden Fall liegt ein „echter“ Aufhebungsbeschluss vor, weil das Rekursgericht keine abschließende Entscheidung über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters traf. Es trifft zwar zu, dass sich der Rekurs – entsprechend dem Umfang der Rechtsmittellegitimation gemäß § 127 Abs 3 AußStrG – nur gegen die Person der vom Erstgericht bestellten Erwachsenenvertreterin wandte. Der Bestellungsbeschluss kann aber ohne Bestellung einer konkreten Person keinen Bestand haben; er bildet keine abschließende Entscheidung über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters.

[7] 1.4. Der Hinweis auf die unbekämpft gebliebene Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters im Spruch des angefochtenen Beschlusses kann nur dahin verstanden werden, dass es sich bei der grundsätzlichen Notwendigkeit, für den Betroffenen einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter zu bestellen, um einen für das Rekursgericht abschließend erledigten Streitpunkt handelt, der im fortzusetzenden Verfahren vor dem Erstgericht und dem Rekursgericht nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann (vgl RS0042031 [T2; T21 zum Außerstreitverfahren]).

[8] 1.5. Die weiteren in den Spruch der Entscheidung aufgenommenen Ausführungen zur Notwendigkeit der Bestellung einer Person mit Rechtskenntnissen sind – im Zusammenhalt mit der Begründung des angefochtenen Beschlusses – dahin zu verstehen, dass es sich dabei um die dem Erstgericht gemäß § 61 AußStrG überbundene Rechtsansicht des Rekursgerichts zur Auswahl der Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters für bestimmte Angelegenheiten handelt.

[9] 1.6. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass der Oberste Gerichtshof nur aufgrund eines zulässigen Rechtsmittels überprüfen kann, ob die dem Erstgericht überbundene Rechtsansicht des Rekursgerichts zutrifft.

[10] Da sich die vorliegenden Revisionsrekurse gegen einen „echten“ Aufhebungsbeschluss wenden, gegen den das Rekursgericht den Revisionsrekurs nicht zugelassen hat, sind sie gemäß § 64 Abs 1 AußStrG nicht zulässig. Eine Überprüfung der vom Rekursgericht dem Erstgericht überbundenen Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof findet mit der vorliegenden Entscheidung daher nicht statt.

[11] 2. Gemäß § 6 Abs 2 AußStrG müssen sich die Parteien im Verfahren über die Erwachsenenvertretung im Revisionsrekursverfahren durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen. Gemäß § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG bedarf der Revisionsrekurs der Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars. Obwohl es dem Revisionsrekurs des Betroffenen an diesem Formerfordernis mangelt, kann von der Durchführung eines Verbesserungsverfahrens gemäß § 10 Abs 4 AußStrG Abstand genommen werden, weil ein jedenfalls unzulässiges Rechtsmittel vorliegt (vgl RS0005946 [T1, T6]; RS0120077).

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