OGH 12Os90/22k

OGH12Os90/22k29.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Turner in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 15. März 2022, GZ 41 Hv 10/21t‑36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00090.22K.0929.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1./ und 3./), mehrerer (richtig) Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (2./) und eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 (4./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in L* hinsichtlich seiner am * 1986 geborenen Nichte * F*

1) vom 5. Februar 1997 bis zum 22. November 2000 in mehreren Angriffen mit einer unmündigen Person den Beischlaf unternommen, indem er mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang,

2) vom 5. Februar 1997 bis zum 30. September 1998 in mehreren Angriffen eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sich von ihr oral befriedigen ließ,

3) vom 1. Oktober 1998 bis zum 22. November 2000 in mehreren Angriffen mit einer unmündigen Person dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er sich von ihr oral befriedigen ließ, und

4) zwischen dem 5. Februar 1997 und dem 31. Dezember 2001 außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 eine Person mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs genötigt, indem er ihr zunächst mit einer Hand den Mund zu‑ und mit der anderen Hand ihre Hand festhielt, sie anschließend mit beiden Händen im Bereich ihrer Unterarme und Handgelenke festhielt und mit seinem Penis vaginal in sie eindrang, obwohl sie versuchte, ihn wegzustoßen,

wodurch * F* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung in Form einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Indem die Mängelrüge (Z 5) beweiswürdigende Erwägungen des Erstgerichts als offenbar unzureichend begründet kritisiert (Z 5 vierter Fall), verfehlt sie den in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (zum Begriff siehe näher Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 ff) gelegenen Bezugspunkt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0106268).

[5] Die Tatsachenrüge (Z 5a) erweckt mit eigenen Erwägungen zur Zeugenaussage des Opfers beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen. Vielmehr bekämpft der Beschwerdeführer damit nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[6] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) behauptet Verjährung. Sie leitet jedoch schon die – (wie im Übrigen auch das Erstgericht [US 17 f]) verfehlt ohne Differenzierung zwischen den einzelnen Taten aufgestellte – pauschale Behauptung zehnjähriger Verjährungsfrist (vgl aber RIS‑Justiz RS0132829) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565). Ihre auf dieser Prämisse entwickelte Argumentation entzieht sich somitbereits im Ansatz einer inhaltlichen Erwiderung.

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[8] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[9] Dabei wird dieses zu beachten haben, dass das Urteil an vom Angeklagten nicht geltend gemachter Nichtigkeit aus Z 11 erster Fall leidet (RIS-Justiz RS0122140), weil das Erstgericht unter Berücksichtigung der Bedachtnahme (§ 31 Abs 1 StGB) auf das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. Juli 2004, AZ 40 Hv 7/04v, (US 2) von einem nicht zutreffenden Strafrahmen (Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren, US 18) ausging (vgl RIS-Justiz RS0090661 [T3]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 667).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei zur Frage der Verjährung hinzugefügt:

[10] Voranzustellen ist, dass das Erstgericht den Günstigkeitsvergleich nach § 61 StGB zum Schuldspruch 1./ bis 4./ jeweils zutreffend angestellt hat.

[11] Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten – abgesehen vom Fall des § 58 Abs 2 StGB – grundsätzlich jeweils für sich. Es ist daher jede einzelne Tat (historisches Geschehen) an Hand der im Urteil getroffenen Feststellungen einer (oder mehreren) strafbaren Handlung(en) zu unterstellen und auf dieser Basis zu beurteilen, ob Verjährung eingetreten ist. Dies ungeachtet dessen, dass ein und derselbe Erfolg, für den mehrere Taten kausal waren, bei gemeinsamer Beurteilung solcherart gleichartig oder ungleichartig realkonkurrierender strafbarer Handlungen infolge materieller Subsidiarität nur einmal (RIS‑Justiz RS0120828 und RS0128224) qualifikationsbegründend angerechnet werden darf (was vorliegend auch geschehen ist – Schuldspruch 1./ und 3./ wegen § 206 Abs 3 erster Fall StGB). Die Hemmung der Verjährung nach § 58 Abs 2 StGB wiederum bezieht sich nur auf die frühere Tat, während die später begangene unabhängig davon verjährt, dass der Täter zuvor ein mit strengerer Strafe bedrohtes Verhalten gesetzt hat, das aufgrund längerer Verjährungsfrist später verjährt (RIS‑Justiz RS0128998 [T1, T2]; Marek in WK2 StGB § 57 Rz 12, § 58 Rz 6).

[12] Nach dem Urteilssachverhalt (US 5 f) waren alle vom Schuldspruch umfassten Taten für die konstatierte schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers (mit‑)kausal (vgl dazu RIS‑Justiz RS0091997 [T2]).

[13] Hievon ausgehend ist jede einzelne der vom Schuldspruch 1./ und 3./ umfassten Taten nach dem auf die angesprochene besondere Folge abstellenden Qualifikationstatbestand des § 206 Abs 3 erster Fall StGB mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren bedroht. Damit beträgt die Verjährungsfrist für jede dieser Taten 20 Jahre (§ 57 Abs 3 erster Fall StGB).

[14] Für sämtliche vom Schuldspruch 2./ umfassten Taten (jeweils § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60) beträgt die Verjährungsfrist – mit Blick auf die besondere Folge (§ 84 Abs 1 StGB iVm § 207 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60, der eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren androht) – jeweils zehn Jahre (§ 57 Abs 3 StGB).

[15] Die vom Schuldspruch 4./ wegen § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 umfasste Tat ist nach dem hier relevanten Qualifikationstatbestand des § 201 Abs 3 erster Satz zweiter Halbsatz StGB idF BGBl 1989/242 mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht. Damit beträgt die Verjährungsfrist für diese Tat zehn Jahre (§ 57 Abs 3 StGB).

[16] Geht man davon aus, dass (auch) die vom Schuldspruch 4./ umfasste Tat vor der letzten vom Schuldspruch 1./ und 3./ umfassten Tat und somit vor dem 23. November 2000 gesetzt wurde, so beging der Angeklagte auf der Basis des Urteilssachverhalts jeweils vor dem Ablauf der Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 StGB; § 58 Abs 2 StGB) für die vorangegangenen Taten (2./ und 4./) weitere – auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruhende – Taten (1./ und 3./).

[17] Solcherart ist – unter Berücksichtigung der polizeilichen Vernehmung des Angeklagten am 29. September 2020 (US 8 iVm ON 2 S 15 ff; § 58 Abs 3 Z 2 StGB) – auch ohne Berücksichtigung der Anlaufhemmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB (vgl Marek in WK2 StGB § 58 Rz 3, 30) zu keiner der urteilsgegenständlichen Taten Verjährung eingetreten.

Unter der Annahme, dass die vom Schuldspruch 4./ umfasste Tat in der Zeit vom 23. November 2000 bis zum 31. Dezember 2001, also nach der letzten von den Schuldsprüchen 1./ und 3./ umfassten Taten, verübt wurde, gilt:

[18] Nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl I 1998/153 wurde die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung (ua) nach § 201 StGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet (maW begann die Frist bis zum Eintritt der Volljährigkeit des zur Tatzeit minderjährigen Opfers nicht zu laufen [Anlaufhemmung; erneut Marek in WK2 StGB § 58 Rz 3]).

[19] Ihre Volljährigkeit hat die zur Tatzeit minderjährige * F* mit Ablauf (§ 68 StGB; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 68 Rz 6) des 23. November 2004 erreicht, sodass die Verjährungsfrist – bei Weitergeltung der Tatzeitfassung – mit 23. November 2014 abgelaufen wäre. Schon mit BGBl I 2009/40 (Inkrafttreten am 1. Juni 2009) aber wurde diese Bestimmung dahin geändert, dass die Zeit bis zur Erreichung (seit 1. Jänner 2010 [BGBl I 2009/142]: Vollendung) des 28. Lebensjahres des Opfers einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (wenn das Opfer zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war) nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Die neu gefasste (und weiterhin geltende) Regelung war (und ist) auch auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden, sofern die Strafbarkeit – wie hier – zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen war (Art XIV Abs 2 2. GeSchG). Ihr 28. Lebensjahr aber hat * F* erst mit Ablauf des 23. November 2014 vollendet. Die zehnjährige Verjährungsfrist hinsichtlich dieser Tat wäre daher auch in diesem Fall zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgelaufen.

[20] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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