OGH 11Os81/22d

OGH11Os81/22d27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen * A* wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 15. Juni 2022, GZ 12 Hv 15/22t‑56a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00081.22D.0927.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A*des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit einem Unbekannten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise „in Bezug auf mindestens drei Fremde“, die über keine aufrechte Einreise‑ oder Aufenthaltsbewilligung für den Schengenraum verfügten, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem sie dem gesondert verfolgten * B* „den Auftrag erteilten, zunächst einen und danach vier Fremde jeweils in Budapest zu übernehmen“, „sodass“ B*

„A./ die Fremden von Budapest über Nickelsdorf nach Österreich brachte, und zwar

1./ am 14. 03. 2017 einen syrischen Staatsangehörigen gegen ein versprochenes Entgelt von € 200,--;

2./ am 16. 03. 2017 * R* und * T* für ein Entgelt von € 400,--, wobei * B* in Österreich festgenommen wurde;

B./ am 16. 03. 2017 für ein Entgelt von € 400,-- zwei weitere in Budapest auf ihn wartende Fremde von Budapest über Nickelsdorf nach Österreich transportieren sollte.“

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

[4] Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die Feststellung, „unbekannte Mitglieder der Schleppervereinigung“ hätten dem Beschwerdeführer „für seine Vermittlung von Schlepperaufträgen eine Entschädigung“ von „zumindest 200 Euro pro Fremden versprochen“ (US 4).

[5] Da die Tatrichter in diesem – wenn auch selbst nicht entscheidenden (zum Begriff RIS‑Justiz RS0117264 und RS0106268) – Umstand erkennbar eine notwendige Bedingung für ihre Feststellungen (US 5) zu dem von § 114 Abs 1 FPG verlangten Bereicherungsvorsatz (dazu RIS‑Justiz RS0131308) des Beschwerdeführers erblickten (US 9), wird damit zwar deutlich genug der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen angesprochen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 410).

[6] Der insoweit erhobene Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) versäumt es jedoch, prozessordnungsgemäß (RIS‑Justiz RS0119370) die Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilserwägungen in den Blick zu nehmen. Denn das Erstgericht hat die betreffende Feststellung – der Rüge zuwider – nicht allein auf die Behauptung „zwingend[er]“ Ableitbarkeit „aus der allgemeinen Lebenserfahrung“ (US 8), sondern auch auf Wahrscheinlichkeitsschlüsse gestützt, die (willkürfrei – vgl RIS‑Justiz RS0098362) aus der Höhe jener „Entlohnung“ gezogen wurden, die der Beschwerdeführer (seinerseits) B* für dessen Tätigkeit (im Rahmen derselben „Schleppervereinigung“) zugesagt und teils auch ausbezahlt hat (US 8 f).

[7] Das Schöffengericht ging – unmissverständlich – davon aus, dass die zu A 2 erwähnte Schlepperfahrt des B* von dessen (nicht insgesamt im Auftrag des Beschwerdeführers, sondern bloß) am 16. März 2017 durchzuführen gedachten „Schleppung[en]“ (A 2 und B) die „erste“ war (US 4).

[8] Entgegen der weiteren Mängelrüge besteht– sinnfällig – kein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen dieser Urteilsaussage und den zu einer Schlepperfahrt am 14. März 2017 (A 1) getroffenen Feststellungen (US 3).

[9] Weshalb es für die gerichtliche Strafbarkeit der vom Schuldspruch umfassten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers darauf ankommen sollte, ob „der Zeuge B*“ den zu A 1 erwähnten syrischen Staatsangehörigen „tatsächlich nach Österreich gebracht hat“, macht die– diesbezügliche Feststellungen vermissende – Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht klar (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565).

[10] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass alle in Rede stehenden Schlepperfahrten tatplangemäß (auch) nach Österreich führen sollten (US 3 f). Dies begründet fallkonkret – obwohl der Beschwerdeführer (soweit festgestellt) jeweils in Ungarn handelte (US 3 f) – die Annahme inländischer Gerichtsbarkeit nach § 114 Abs 7 FPG (vgl dazu RIS‑Justiz RS0131529, insbesondere 13 Os 129/17w).

[11] Weder subsumtionsrelevant noch für die Unterscheidung von Versuch (§ 15 StGB) und Vollendung bedeutsam ist aber, ob die – vom Täter intendierte – Durch- oder Einreise (hier: nach Österreich) gelingt. Vielmehr reicht – weil § 114 Abs 1 FPG kein Erfolgs‑, sondern schlichtes Tätigkeitsdelikt ist – das bloße Fördern einer solchen zur Tatbestandsverwirklichung aus (RIS‑Justiz RS0127813, erneut 13 Os 129/17w).

[12] Insoweit tatbestandsmäßige (§ 114 Abs 1 FPG), jeweils als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Fall FPG) gesetzte Ausführungshandlungen (§ 12 erster Fall StGB) des Beschwerdeführers waren – auf der Basis des Urteilssachverhalts (US 3 f) – zwei Auftragserteilungen an B*, „Schleppungen“ von Budapest nach Wien (also von Ungarn nach Österreich) vorzunehmen. Die erste (am 14. März 2017 erfolgte) betraf den Transport eines Fremden (US 3; „A./1./“), die zweite (am 16. März 2017 erfolgte) betraf den – wenngleich von B* „auf zwei separate Fahrten zu je zwei Fremden auf[ge]teilte[n]“ (US 4; daher „A./2./“ und „B./“) – Transport von vier Fremden (US 4).

[13] Die von § 114 Abs 3 Z 2 FPG geforderte Personenzahl muss durch eine Tat (die übrigens auch in einer tatbestandlichen Handlungseinheit bestehen kann) erreicht werden. Eine § 29 StGB vergleichbare Anordnung der Zusammenrechnung geschleppter Personen und Bildung einer Subsumtionseinheit findet sich im FPG nicht (RIS‑Justiz RS0130603 [insbesondere T1]).

[14] Nach dem zuvor Gesagten umfasst der Schuldspruch zwei Taten (des Beschwerdeführers), wovon (nur, aber immerhin) eine in Bezug auf „mindestens drei Fremde“ (§ 114 Abs 3 Z 2 FPG) begangen wurde.

[15] Hiervon ausgehend wären die festgestellten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers – rechtsrichtig – mehreren Verbrechen der Schlepperei, nämlich einem solchen nach § 114 Abs 1, Abs 4 erster Fall FPG (A 1) und einem solchen nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (A 2 und B) zu subsumieren gewesen.

[16] Dass sie das Erstgericht (demgegenüber bloß) einem Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG unterstellte (US 2), hat – als dem Angeklagten zum Vorteil gereichend – auf sich zu beruhen.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[18] Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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