European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00176.22H.0914.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der Antragsgegner und Vater zeigt in seinem Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der Entscheidung über die Anordnung der Rückführung der beiden Kinder in die Slowakei keine Rechtsfrage der vom § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität auf:
[2] 1. Er wirft den Vorinstanzen vor, es sei seine Behauptung, die Mutter habe ihr Sorgerecht „tatsächlich“ nicht ausgeübt, unbeachtet geblieben. Eine derartige Behauptung wurde aber von ihm im Verfahren erster Instanz gar nicht aufgestellt. Den nun erstmals im Revisionsrekurs behaupteten – und damit gegen das Neuerungsverbot (RS0119918) verstoßenden – Umstand des Fehlens einer „tatsächlichen Ausübung“ des Sorgerechts durch die Mutter hat er im Rekurs darüber hinaus nicht geltend gemacht, womit dieser Punkt in dritter Instanz auch im Außerstreitverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann (6 Ob 238/21z; RS0043480 [T12]).
[3] Im Übrigen stellt sich diese unzulässige neue Behauptung als eine Schlussfolgerung aus der von ihm als mangelhaft eingestuften Qualität der (Ausübung der) Obsorge durch die Mutter dar, womit in Wahrheit (nur) die Art der Obsorgeausübung (etwa mit dem Vorwurf der Anwendung völlig inadäquater Erziehungsmethoden [Anschreien] oder der Nichteinhaltung orthopädischer Empfehlungen) in Kritik gezogen wird, aber (gerade) nicht deren Nichtausübung.
[4] 2. Auch im vom Antragsgegner monierten Fehlen von Feststellungen, „inwiefern“ vor der Verbringung nach Wien ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der Art 3 HKÜ beider Kinder bei der Mutter in der Slowakei vorgelegen sei, kann keine erhebliche Rechtsfrage liegen, wobei schon die Behauptung, diese habe dazu kein Vorbringen erstattet, unrichtig ist. Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag den (bei ihr in der Slowakei liegenden) gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder vor dem Verbringen unter Angabe der Adresse angegeben, welcher als solcher vom Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren unbestritten geblieben ist.
[5] 3. Warum das Bestehen eines Sorgerechtsstreits in der Slowakei die Widerrechtlichkeit des Verbringens oder Zurückhaltens der Kinder entfallen lassen sollte, versucht der Antragsgegner, gegen den unter anderem Strafverfahren wegen Kindesentführung und des Vergehens der Behinderung einer Vollstreckung einer behördlichen Entscheidung (weil er die Kinder der Mutter nicht übergab) in der Slowakei anhängig sind, im Revisionsrekurs erst gar nicht zu erklären.
[6] 4. Das Rekursgericht hat sich mit den nun erneut relevierten angeblichen Verfahrensmängeln erster Instanz (mündliche anstatt der von ihm begehrten schriftlichen Gutachtenserstattung) auseinandergesetzt und diese verneint. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens kann vom Obersten Gerichtshof – abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (RS0050037 [T4, T18]) – nicht wahrgenommen werden (6 Ob 150/22i; RS0050037; RS0030748). Ganz abgesehen davon war dem Antragsgegner Gelegenheit gegeben worden, das Gutachten in der mündlichen Verhandlung mit dem Sachverständigen zu erörtern und Fragen zu stellen.
[7] 5. Im Revisionsrekurs vermisste Feststellungen zur gesundheitlichen Gefährdung der Kinder bei Rückführung könnten nur dann von Relevanz sein, wenn die behaupteten Umstände solche wären, mit denen eine „schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind“ nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ verbunden ist. Der – einer Rückführung entgegenstehende – Ausnahmetatbestand des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ ist aber eng auszulegen und deshalb auf wirklich schwere Gefahren zu beschränken (RS0074568 [T8, T12]). Dass in den behaupteten langsam voranschreitenden orthopädischen Fehlstellungen der Kinder (Skoliose und Plattfüße) keine schwerwiegende Gefahr in diesem Sinne liegt, bedarf keiner Klärung durch das Höchstgericht.
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