OGH 9Ob61/22v

OGH9Ob61/22v31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei L* W*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S* GmbH, * und 2. G* B*, beide vertreten durch die Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, wegen 98.591,59 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2022, GZ 4 R 172/21z‑106, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00061.22V.0831.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Erfolgt die (behauptete) Schädigung durch ein Unterlassen, so ist Kausalität dann anzunehmen, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte (RS0022913). Die Haftung für die Folgen einer rechtswidrigen Unterlassung ist wegen fehlender Kausalität zu verneinen, wenn der Nachteil, auf dessen Ersatz jemand in Anspruch genommen wird, auch bei dessen pflichtgemäßem positivem Tun eingetreten wäre. Dafür ist der Schädiger beweispflichtig (RS0022913 [T10]; RS0022900 [T17]).

[2] Wenn das Berufungsgericht ausgehend von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung die Kausalität der unterlassenen, im konkreten Einzelfall aber gebotenen Maßnahmen der Erstbeklagten für den bei der Klägerin eingetretenen Schaden bejaht hat, so ist dies nicht zu beanstanden. Eine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung zeigt die außerordentliche Revision der Erstbeklagten nicht auf.

[3] Im konkreten Fall hat es die Erstbeklagte im Rahmen des mit der Klägerin abgeschlossenen Pflege- und Betreuungsvertrags ua bereits vor erstmaliger Hilfestellung bei der Körperpflege (anlässlich derer es zum Sturz der Klägerin beim Einstieg in die Dusche gekommen ist) unterlassen, eine ordnungsgemäße Pflegeplanung (im Zusammenhang mit einem sog. „Trockentraining“) zu erstellen. Hätte die Erstbeklagte dies gemacht, hätte sie nach den (teilweise dislozierten) Feststellungen erkennen können, dass die gegebenen räumlichen Verhältnisse der Dusche ohne Vorhandensein eines Handgriffs auf der linken Seite der Dusche unter Berücksichtigung der körperlichen Einschränkungen der Klägerin ein gefahrloses Duschen trotz Unterstützung der Erstbeklagten nicht erlaubt hätte. In letzter Konsequenz hätte die Erstbeklagte daher schon von vornherein eine Unterstützung der Klägerin beim Duschen mangels Gewährleistung der dafür erforderlichen Sicherheit der Klägerin ablehnen müssen.

[4] 2. Das Ausmaß des Mitverschuldens begründet wegen seiner Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage (RS0087606 [T1]; RS0022681 [T8, T10, T11]). Das gilt auch für die Frage, ob ein Mitverschulden so gering ist, dass es gegenüber dem Verschulden des Beklagten gänzlich in den Hintergrund tritt und daher vernachlässigt werden kann (RS0087606 [T7]). Eine Einzelfallentscheidung wäre vom Obersten Gerichtshof nur bei auffallender – hier nicht vorliegender – Fehlbeurteilung überprüfbar (vgl RS0044088).

[5] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, gegenüber den groben Versäumnissen der Erstbeklagten bei der Einführungsbesprechung am 15. 10. 2018 sei das Beharren der Klägerin am 19. 10. 2018, der wegen der unterbliebenen Funktionsüberprüfung ihre eigene Immobilität im Beisein einer Fachkraft (die Unterstützung beim Duschen hätte die Erstbeklagte nicht einer Heimhilfe, sondern einer Pflegeassistenzfachkraft übertragen müssen) gar nicht vor Augen geführt worden sei, zu vernachlässigen, ist jedenfalls vertretbar.

[6] Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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