OGH 9Ob42/22z

OGH9Ob42/22z31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Erwachsenenschutzsache der betroffenen Person *, vertreten durch Dr. Christian Boyer, Rechtsanwalt in Wien, über ihren Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Graz vom 4. Februar 2022, GZ 1 R 16/22p‑44, mit dem ihr Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 9. Dezember 2021, GZ 26 P 4/21p‑37, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00042.22Z.0831.000

 

Spruch:

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird an dieses zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs der betroffenen Person unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zurückverwiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 17. 8. 2021 (ON 22) bestellte das Erstgericht eine Rechtsanwältin zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin (§ 271 ABGB) für den Betroffenen mit dem Wirkungsbereich Vertretung vor Behörden, behördenähnlichen Institutionen und Sozialversicherungsträgern sowie Vertretung in einem näher genannten Zivilverfahren. Nach den Beschlussfeststellungen bestand beim Betroffenen eine Anpassungsstörung mit leichten depressiven Einbrüchen und einem vermehrt grüblerischen Gedankengang aufgrund eines mehrjährigen Rechtsverfahrens, zudem ein wiederholter Konsum von Alkohol in etwas überhöhtem Maße, wobei sich der Betroffene diesbezüglich ein wenig bagatellisierend zeigte. Wie weiters feststeht, fanden sich ansonsten keine Hinweise auf das Vorliegen von schwerwiegenden kognitiven Defiziten. Nach dem Akteninhalt habe der Betroffene zu seinen drei Töchtern regelmäßig Kontakt, auch zu zwei Schwestern bestehe ein gutes Verhältnis. Im Jänner 2021 habe der Betroffene bei einem Notar zwei Vorsorgevollmachten zugunsten seiner Schwestern errichtet; der Vorsorgefall sei bis dato nicht eingetragen worden.

[2] Über Rekurse des Betroffenen und einer seiner Töchter hob das Rekursgericht diese Entscheidung mit Beschluss vom 13. 10. 2021 auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht. Im Hinblick auf das strenge Subsidiaritätsprinzip bei der gerichtlichen Erwachsenenvertretung sei zunächst zu prüfen, ob Gründe vorliegen, die eine gerichtliche Erwachsenenvertretung trotz der bestehenden Vorsorgevollmacht unvermeidlich iSd § 240 Abs 1 ABGB machten.

[3] Nach Beischaffung der Vorsorgevollmacht stellte das Erstgericht mit dem nun gegenständlichen Beschluss das Bestellungsverfahren ein (Punkt 1.), verpflichtete den Bund zur Kostentragung (Punkt 2.) und sprach gemäß § 122 Abs 3 AußStrG aus, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls vorliegen (Punkt 3.). Der Betroffene habe am 31. 1. 2020 eine (im ÖZVV registrierte) Vorsorgevollmacht errichtet, mit der er seine Schwestern für den Vorsorgefall umfassend mit seiner Vertretung betraut habe, so auch für die Vertretung vor Gerichten und Behörden aller Art. Eine gerichtliche Erwachsenenvertretung sei daher nicht unvermeidlich iSd § 240 Abs 1 ABGB. Zum Ausspruch nach § 122 Abs 3 AußStrG verwies das Erstgericht auf das vorliegende psychiatrische Sachverständigengutachten.

[4] Das Rekursgericht wies den nur gegen Punkt 3. gerichteten Rekurs des Betroffenen als unzulässig zurück. Der bekämpfte Ausspruch entfalte keine unmittelbaren Rechtswirkungen, weil erst das Tätigwerden eines Beteiligten die konstitutiv wirkende Registrierung im ÖZVV bewirken könnte. Der Einstellungsbeschluss sei auch nur dem Betroffenen selbst und seinem Rechtsbeistand zuzustellen. Im Übrigen stünde es dem Betroffenen frei, die Vorsorgevollmacht jederzeit zu widerrufen. Anfechtbar seien nur solche Gerichtsakte, die eine Anordnungs- oder Regelungsabsicht enthielten und auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtet seien, daher nicht etwa bloße Ankündigungen, Belehrungen oder Mitteilungen, die noch nicht in die Rechtsstellung des Adressaten eingreifen würden. Mangels derartiger Rechtswirkungen sei der Betroffene durch den angefochtenen Ausspruch nicht beschwert, weshalb sein Rechtsschutzinteresse für den Rekurs zu verneinen sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Anfechtbarkeit des gerichtlichen Ausspruchs nach § 122 Abs 3 Satz 1 AußStrG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der dagegen gerichtete Revisionsrekurs des Betroffenen ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

[6] Der Betroffene bringt vor, das Rekursgericht sei zur Frage der Beschwer von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen. Der bekämpfte Ausspruch des Erstgerichts, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Eintritts der Vorsorgevollmacht vorliegen, bedeute den Ausspruch seiner Geschäftsunfähigkeit. Dieser Ausspruch greife daher massiv in seine Persönlichkeitsrechte ein. Liege der bekämpfte Ausspruch vor und werde der Eintritt des Vorsorgefalls nicht im ÖZVV registriert, sei der Betroffene gar nicht geschäftsfähig. Werde die Vorsorgevollmacht widerrufen, so komme es zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters, die von Anfang an bekämpft gewesen sei. Der Betroffene sei durch den bekämpften Ausspruch in vergleichbarer Weise in seiner Geschäftsfähigkeit eingeschränkt wie durch die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters.

Dazu war zu erwägen:

[7] 1. Gemäß § 263 Abs 1 ABGB sind die Vorsorgevollmacht und der – hier in Frage stehende – Eintritt des Vorsorgefalls von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einem Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG) im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis einzutragen. Der Eintritt des Vorsorgefalls darf nur insoweit eingetragen werden, als der Vollmachtgeber die zur Besorgung der anvertrauten Angelegenheiten erforderliche Entscheidungsfähigkeit verloren hat.

[8] Hegt der Notar, der Rechtsanwalt oder der Mitarbeiter des Erwachsenenschutzvereins begründete Zweifel am Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Errichtung der Vorsorgevollmacht, am Eintritt des Vorsorgefalls oder an der Eignung des Bevollmächtigten, so hat er die Errichtung der Vorsorgevollmacht bzw die Eintragung des Vorsorgefalls abzulehnen und bei begründeten Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Wohles der volljährigen Person unverzüglich das Pflegschaftsgericht zu verständigen (§ 263 Abs 2 ABGB).

[9] Mit Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls entsteht die Vertretungsbefugnis der Vorsorgebevollmächtigten (§ 245 Abs 1 ABGB).

[10] 2. Verfahrensrechtlich sieht § 122 Abs 3 Satz 1 AußStrG für den Fall der Einstellung eines Verfahrens über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters vor, dass das Gericht im Beschluss über die Einstellung oder mit gesondertem Beschluss auch aussprechen kann, dass die Voraussetzungen für die Errichtung einer Vorsorgevollmacht, für die Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls oder für die Eintragung einer gewählten oder gesetzlichen Erwachsenenvertretung im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis vorliegen.

[11] Diese Möglichkeit dient der Verwirklichung der Subsidiarität der gerichtlichen Erwachsenenvertretung gegenüber den anderen Arten der Vertretung. Zugleich soll durch Abs 3 leg cit Rechtssicherheit geschaffen werden. Zufolge der Erläuterungen (1461 BlgNR 25. GP S 68) ist diese gerichtliche Feststellung „vor allem dann notwendig, wenn der Notar, Rechtsanwalt oder Erwachsenenschutzverein die Errichtung oder Registrierung ablehnen, weil sie Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen haben. In diesem Fall kann in einem Bestellungsverfahren geklärt werden, ob die Voraussetzungen für eine der genannten Vertretungsformen vorliegen und daher kein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt werden muss. ...“ (ebenso Hengl in Barth/Ganner Handbuch des Erwachsenenschutzrechts3 857; ähnlich Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 122 Rz 14; krit Mondel in Rechberger/Klicka AußStrG3 § 122 Rz 5, demzufolge die Urkundsperson die entsprechenden Voraussetzungen unmittelbar und ausschließlich selbstständig zu prüfen habe).

[12] 3.  Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren auf Bestellung einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung eingestellt und gleichzeitig ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls vorliegen. Auch wenn hier für diesen Ausspruch nicht die unmittelbar in den Materialien angesprochene Konstellation vorliegt, ist er schon vom Wortlaut des Gesetzes klar umfasst und damit zulässig.

[13] 4. Auch im Außerstreitverfahren ist nur derjenige rechtsmittellegitimiert, der durch die bekämpfte Entscheidung (formell oder materiell) beschwert ist (RS0041868 [T19]). Materielle Beschwer – wie sie hier fraglich ist – liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt (RS0041868). Sie muss auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel vorliegen (RS0041770 [T83]). Bei der Prüfung der Anfechtbarkeit ist nach dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung rechtlicher Interessen kein kleinlicher Maßstab anzulegen (RS0006327 lit c und [T2]). Die Frage nach dem Rekursinteresse betrifft die Zulässigkeit des Rechtsmittels (RS0006598).

[14] 5. Durch den bekämpften Ausspruch, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls vorliegen, wird die Vorsorgevollmacht zwar noch nicht wirksam, weil erst die entsprechende Eintragung konstitutive Wirkung entfaltet (oben Pkt 1.). Dennoch ist einer betroffenen Person ein Interesse daran zuzugestehen, den ihrer Ansicht nach unrichtig festgestellten Ausspruch überprüfen zu lassen, weil er bei Beurteilung des Eintritts des Vorsorgefalls im Eintragungsverfahren geeignet ist, keine Zweifel der Urkundsperson (§ 263 Abs 2 ABGB) über das Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen aufkommen zu lassen oder solche Zweifel zu zerstreuen, womit aber die Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls in gegebenenfalls unrichtiger Weise befördert würde. Dagegen kann auch nicht ins Treffengeführt werden, dass eine unrichtige Eintragung im ÖZVV durch gerichtliche Entscheidung iSd § 246 Abs 1 Z 2 ABGB sanierbar ist, weil bis dahin die Vertretungsbefugnis bestünde (vgl Stefula in KBB6 § 245 Rz 2). Auch die Möglichkeit eines Widerrufs der Vorsorgevollmacht bietet keinen adäquaten Schutz, wenn sich die betroffene Person nicht gegen die Errichtung der Vorsorgevollmacht, sondern nur gegen die Eintragung des Eintritts des Vorsorgefalls richten will. Da mit dem Ausspruch insoweit auch die Geschäftsunfähigkeit der betroffenen Person deklariert wird, handelt es sich auch nicht um eine bloße Ankündigung, Belehrung oder Mitteilung des Gerichts im Sinne der Rechtsprechung (RS0006327 [T18]). Bei der Prüfung der materiellen Beschwer des Betroffenen hat das Rekursgericht damit einen zu strengen Maßstab angelegt.

[15] 6. Da der Revisionsrekurs danach berechtigt ist, ist die Entscheidung des Rekursgerichts aufzuheben und diesem eine inhaltliche Entscheidung über den Rekurs des Betroffenen aufzutragen.

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